Seenotrettung : Kapitänin Pia Klemp drohen 20 Jahre Haft

Pia Klemp auf der Brücke der "Sea Watch 3". Foto: Paul Lovis Wagner

Pia Klemp war als Kapitänin an der Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer beteiligt. Bald steht sie in Italien wegen „Beihilfe zur illegalen Migration“ vor Gericht. Ihr drohen bis zu 20 Jahre Haft.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Wenn Pia Klemp rauskommt, wäre sie fast 60 Jahre alt. Bis zu 20 Jahre Gefängnis, damit drohen sizilianische Staatsanwälte der 35-jährigen Kapitänin aus Bonn. Und sie fahren dafür einiges auf: abgehörte Telefonate, verdeckte ­Ermittler und eine angekündigte Anklage wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Es wäre nur zu verständlich, wenn man es da als Beschuldigte mit der Angst zu tun bekäme. Aber wenn Klemp welche hat, gibt sie es nicht zu: „Ich habe keine Angst, aber ich bin sauer“, sagt sie beim Telefonat mit Hinz&Kunzt.

Pia Klemp sagt, sie habe in sechs Einsätzen als Kapitänin der privaten Rettungsschiffe Sea-Watch 3 und Iuventa etwa 5000 Menschen das Leben gerettet. Dass sie dafür jetzt vor Gericht gezerrt wird, macht sie wütend. „Absolut erbärmlich“, findet sie die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft. Und sie glaubt, dass sie politisch motiviert sind.

In Zeiten, in denen in Italien ein Rechtsnationaler Innen­minister ist, der immer wieder gegen zivile Seenotretter poltert und rassistische Stimmung gegen Migranten macht, scheint das möglich. Die Anklage gegen sie und neun weitere Crewmitglieder der Iuventa sieht Pia Klemp als Versuch, die privaten Seenotretter einzuschüchtern und von der Arbeit abzuhalten. In gewisser Weise schon mit Erfolg, denn gerade ist sie an Land und nicht auf dem Mittelmeer, wo sie Menschen vor dem Ertrinken retten könnte, weil ihr in dem Fall Untersuchungshaft drohen würde. Und das quält sie am meisten.

Ein Schiff zu führen lernt Klemp bei „Sea Shephard“

Denn so lange am selben Ort wie gerade jetzt war sie seit Jahren nicht mehr. „Ich habe schon lange keinen festen Wohnsitz mehr, sondern ziehe mit meinem Rucksack durch die Lande und über die Meere“, erzählt sie. Direkt nach ihrem Biologie-Studium in Bonn zog sie vor zehn Jahren nach Indonesien. Eine Anstellung im Labor, das wäre nichts für sie gewesen. Viel lieber jobbte sie als Tauchlehrerin und erkundete die Korallenriffe im Indischen Ozean. Doch mit jedem Tauchgang bemerkte sie mehr und mehr, wie sehr die wunderschöne Unterwasserwelt durch die Verschmutzung der Meere bedroht ist.

Also heuerte sie nach drei Jahren auf einem Schiff der Meeresschutzorganisation Sea Shepherd an, zunächst als Aushilfskraft. Dort lernte sie dazu, wurde Bootsfrau, später Kapitänin. Seitdem verbringt sie einen Großteil ihrer Zeit auf dem Meer. „Ich möchte so viel wie es nur irgendwie geht von der Welt sehen“, sagt Klemp. „Es gibt so viele spannende Orte, Menschen, Geschichten und Tiere zu entdecken, das treibt mich immer weiter an.“ Dass sie dafür auf Komfort verzichten muss, stört sie nicht weiter: „Ich bin ein recht genügsamer Mensch“, sagt sie. „Ich bin sehr glücklich mit dem, was in meinen Rucksack passt. Mehr habe ich bis jetzt noch nie gebraucht.“

„Als Seefrau kann ich mir nichts Fieseres vorstellen, als im Meer ertrinken zu müssen.“– Pia Klemp

Als private Seenotretter anfingen, Menschen aus dem Mittelmeer zu ziehen, weil die EU ihre staatlichen Rettungsmissionen zurückfuhr, war Klemp schnell zur Stelle. „Ich kann mir als Seefrau nichts Fieseres vorstellen, als alleingelassen im Meer ertrinken zu müssen“, begründet sie die Entscheidung, sich 2017 bei Sea-Watch und Iuventa als Schiffsführerin zu bewerben. Und eine politische Begründung hat sie freilich auch: „Ich bin als Teil dieser Gesellschaft mitverantwortlich für viele der Fluchtursachen und habe die seefahrerischen Fähigkeiten.“ Es klingt, als hätten die Umstände ihr gar keine andere Wahl gelassen.

Im Juni 2017 läuft sie das erste Mal mit der Iuventa aus. „Es ging direkt in die Vollen“, sagt Klemp. Gleich am ersten Einsatztag sei die Crew auf 15 Boote mit jeweils 120 bis 150 Menschen in Seenot gestoßen. Da war sie geschockt: Vom schlechten Zustand der Boote, dem psychischen und physischen Zustand der Menschen und von der Tatsache, dass ihnen außer den privaten Helfern niemand zu Hilfe kam. Haben sie es damals geschafft, alle zu retten? Klemp muss nachdenken. „Ich glaube, an dem Tag hatten wir keine Toten“, sagt sie dann. Aber sicher ist sie sich nicht.

Tote gab es, als Klemp ein halbes Jahr später mit der Sea-Watch 3 zu einer Rettungsmission vor der libyschen Küste ausrückte. 150 Menschen auf Schlauchbooten waren in Seenot geraten. In einer aufwendigen Video-Dokumentation auf der Homepage der „New York Times“ kann man sehen, wie viele von ihnen ertrinken. Weil es zu viele sind, die im Wasser treiben, als dass die Retter der Sea-Watch sie alle gleichzeitig herausziehen könnten. Und weil die ebenfalls anwesende libysche Küstenwache kaum Anstalten macht, ihnen zu helfen – sondern sie im Gegenteil aktiv gefährdet.

Ich wäre lieber im Wasser gestorben, als nach Libyen zurückzukehren.“– geretteter Flüchtling

Die, die es an Bord des libyschen Schiffes schaffen, werden zudem misshandelt. Manche springen aus Panik wieder ins Meer, obwohl sie nicht schwimmen können. „Ich wäre lieber im Wasser gestorben, als nach Libyen zurückzukehren“, sagt einer der Männer im Video der New York Times. Denn dort drohen Folter und Versklavung. Er hat es an Bord der Sea-Watch geschafft, so wie 60 Menschen an diesem Tag. Mindestens 20 andere aber nicht. „Das Ergebnis von Entscheidungen, die Politiker weit weg in europäischen Hauptstädten getroffen haben“, kommentiert die New York Times.

Es ist beklemmend, sich dieses Video auf dem Sofa anzusehen. Pia Klemp war live dabei: auf der Brücke der Sea-Watch 3. Nimmt sie die Eindrücke mit nach Hause, bringen die Bilder von Ertrinkenden sie um den Schlaf? Wenn sie etwas belaste, dann das, dass das Sterben weitergehe – und sie gerade am Festland nichts dagegen tun könne. „Der eigentliche Schrecken widerfährt diesen Menschen auf der Flucht, nicht mir“, sagt sie.

Was ihr hilft, ist das Gefühl, nicht alleine zu sein. „Es ist super zu sehen, was alles möglich ist, wenn wir als Crew alle zusammenarbeiten“, resümiert die Kapitänin ihre Rettungseinsätze. Im Rücken haben die Seenotretter große Teile der Zivilgesellschaft. Immerhin 75 Prozent der Deutschen befürworten laut einer Emnid-Umfrage aus dem Jahr 2018 ihre Arbeit. Im April unterschrieben mehr als 250 Organisationen einen offenen Brief an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit der Forderung nach einem Notfallplan für Bootsflüchtlinge und einem Stopp der Rückführungen nach Libyen. Unterschrieben haben auch Amnesty International, die Diakonie und der FC St. Pauli. „Dass zivile Helfer*innen kriminalisiert werden, die der unterlassenen Hilfeleistung der europäischen Staaten nicht tatenlos zusehen wollen, ist ein Skandal“, steht in dem Brief. „Diese Politik muss beendet werden, denn sie bedroht nicht nur das Leben von Menschen, sie setzt auch unsere eigene Humanität und Würde aufs Spiel.“

Die „Iuventa“ im Einsatz im Mittelmeer. Foto: Moritz Richter

Klemp war auch dabei, als die Iuventa im August 2017 von den italienischen Behörden festgesetzt wurde. Die Notrufleitstelle in Rom habe sie nach Lampedusa gelotst, erzählt sie: „Wir wurden dort von vier Schiffen der Küstenwache mit Blaulicht und bewaffneter Besatzung an Deck in Empfang genommen.“ Das war der Beginn des Verfahrens gegen zehn Crewmitglieder. Seitdem darf das Rettungsschiff nicht mehr auslaufen, obwohl auf dem Meer weiter Menschen ertrinken. So wie andere Seenotretter auch, die von der italienischen und maltesischen Regierung in den vergangenen Monaten immer wieder festgehalten wurden.

Konkret wirft die Staatsanwaltschaft der Iuventa-Crew vor, sie habe mit Schleusern zusammengearbeitet und Schlauchboote zurückgeschickt, sodass sie erneut hätten benutzt werden können. „An den Haaren herbeigezogener, fingierter, dilettantischer Quatsch“, sagt Pia Klemp. Ein Gutachten, das die Seenotretter in Auftrag gegeben haben, spricht ebenfalls von haltlosen Anschuldigungen.

Dennoch: „Uns steht ein jahrelanger Schauprozess bevor“, befürchtet Klemp. Sie rechnet mit 500.000 Euro Prozesskosten, für die die Gruppe „Solidarity at Sea“ nun Spenden sammelt. Einschüchtern lassen wollen sie sich aber nicht, sagt Klemp über sich und ihre Mitstreiter: „Solange Menschen fliehen, werden wir versuchen, sie zu retten.“

Autor:in
Benjamin Laufer
Benjamin Laufer
Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD Digitales.

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