Meldungen: Politik und Soziales

(aus Hinz&Kunzt 215/Januar 2011)

Elbtreppenhäuser bleiben erhalten
Erfolgreicher Protest: Nachdem der Bezirk Altona sich im Dezember das Bürgerbegehren zum Erhalt der Elbtreppenhäuser zu eigen gemacht hat, will die Saga das 150 Jahre alte Ensemble nicht mehr abreißen. „Wir akzeptieren die politische Vorgabe“, so ein Sprecher. Das Unternehmen werde nun die Kosten für die Modernisierung der Häuser ermitteln und Fördermöglichkeiten prüfen. „Die Ergebnisse werden wir im Frühjahr im Bezirk vorstellen.“ UJO

Musterprojekt vor dem Aus?
Zwei Jahre lang hat „Lohn&Wohnen“ Obdachlose unterstützt – meist erfolgreich: 46 der 58 Teilnehmer sind in eigene vier Wände gezogen, mehr als 20 haben Job oder Lehrstelle gefunden. Nun droht dem Projekt der Lawaetz Service GmbH das Aus, die Förderung aus EU-Geldern endet. Bislang hat sich nur der Bezirk Mitte bereit erklärt, ein Drittel der jährlich benötigten 150.000 Euro zu übernehmen. Bei der Sozialbehörde „stehen Entscheidungen aus“, die Arge erklärte, sie könne das Projekt nicht mit Geld unterstützen. UJO

Bürgerschaft: Helft Obdachlosen!
Die Bürgerschaft hat den Senat aufgefordert, die Hilfe für Obdachlose zu verbessern. Die Abgeordneten schlossen sich einem Antrag der SPD-Fraktion an, in dem unter anderem ein kurzfristiger Ausbau der öffentlichen Unterbringung und die Umstellung der Notunterkünfte auf Einzelzimmer gefordert werden. Auch die GAL stimmte einem Großteil des Antrags zu, obwohl sie bis vor Kurzem noch Teil des beim Kampf gegen die Obdachlosigkeit eher tatenlosen Senats war. HAN

Städtische Notunterkünfte: Es wird immer enger
415 Flüchtlinge drängen sich in der „Wohnunterkunft“ am Billstieg. Nach dem Willen der Sozialbehörde sollen es bald 600 sein. „Zwei nicht genutzte Gebäudeflügel“ würden die Aufstockung ermöglichen, so Behördensprecherin Julia Seifert. Die Bewohner, vor allem Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und Afghanistan, werden derzeit von einem Sozialarbeiter, einem Erzieher und einer Jugendamtsmitarbeiterin betreut. Die Bezirksversammlung Mitte fordert „eine deutliche Aufstockung“ der Sozialarbeiter und einen Wachdienst vor Ort. Die Sozialbehörde hat beides zugesagt. UJO

Ausgezeichnet mit dem Bundesverdienstvkreuz: Der Arzt Stanislaw Nawka behandelt seit 15 Jahren ehrenamtlich Obdachlose.
Ausgezeichnet mit dem Bundesverdienstkreuz: Der Arzt Stanislaw Nawka behandelt seit 15 Jahren ehrenamtlich Obdachlose.

Obdachlosen-Helfer ausgezeichnet
Dr. Stanislaw Nawka von der Mobilen Hilfe und Jo Tein vom Kieler Straßen-magazin „Hempels“ haben das Bundesverdienstkreuz erhalten. Bundespräsident Christian Wulff ehrte sie für ihr Engagement für Obdachlose. Nawka fährt seit 15 Jahren als ehrenamtlicher Arzt bei der Mobilen Hilfe der Caritas Hamburg mit, die als rollende Praxis rund 600 Obdachlose pro Monat behandelt. „Hempels“-Vorsitzender Tein war Mitte der 90er-Jahre Mitbegründer des Straßenmagazins und organisierte 2006 die erste Deutsche Meisterschaft im Straßenfußball. BEB/HAN

Genossenschaft fürs Gängeviertel
Die Initiative „Komm in die Gänge“ hat eine Genossenschaft gegründet, um 3,8 Millionen Euro zu sammeln und das Viertel vor Immobilienspekulation zu schützen. Interessierte zahlen ein einmaliges „Eintrittsgeld“ von 50 Euro und können dann Anteile von je 500 Euro erwerben. Mithilfe des Geldes soll nach der Sanierung ein Erbpachtvertrag mit der Stadt abgeschlossen werden. UJO
Infos im Internet: www.das-gaengeviertel.info

Suizidversuch in Abschiebehaft
Ein 22-Jähriger hat Anfang Dezember aus Angst vor der Abschiebung nach Serbien versucht, sich in der JVA Billwerder zu erhängen. Nach Angaben seines Anwalts Enno Jäger wurde Miroslaw R., der der Minderheit der Roma angehört, in die Psychiatrie eingeliefert. Er soll nun am 5. Januar abgeschoben werden. Von seinem zweiten Lebensjahr an hatte er bis zu einer Abschiebung 2004 in Niedersachsen gelebt. 2002 hatte sich sein Vater aus Angst vor einer Abschiebung umgebracht. Miroslaw R. war 2010 wieder nach Deutschland gekommen. Sein Anwalt will die Abschiebung stoppen. HAN

Hamburg hat einen neuen Bauwagenplatz
Die Bauwagengruppe Zomia hat ein Winterquartier in Wilhelmsburg bekommen. Bis zum 30. April darf die Gruppe auf einer Fläche am Ernst-August-Kanal bleiben. Anfang November hatten 15 Menschen eine andere leer stehende Fläche besetzt und dann mit dem Bezirk Mitte und der Stadtentwicklungsbehörde verhandelt. Sie fordern einen Wagenplatz für sich, aber auch die Abschaffung des Hamburger Wagengesetzes. Das Gesetz wurde zuletzt 1999 von Rot-Grün überarbeitet und untersagt generell das Wohnen im Bauwagen. HAN

Leiharbeit: Lohndumping wird schwerer
Das Bundesarbeitsgericht hat Dumpinglöhnen in der Zeitarbeitsbranche einen Riegel vorgeschoben. Es sprach der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) die Tariffähigkeit ab (1 ABR 19/10). Damit sind Tarifverträge für geschätzt 280.000 Leiharbeiter in Deutschland ungültig. Sie schreiben Dumpinglöhne von teils unter fünf Euro die Stunde fest. Das wollten die Gewerkschaft verdi und das Land Berlin nicht hinnehmen, zogen gemeinsam vors Gericht – und gewannen nun auch in der letzten Instanz.
Das Urteil kann weitreichende Folgen haben: Betroffene können vor dem Arbeitsgericht Lohnnachzahlungen in zum Teil beträchtlicher Höhe einklagen. Nach dem Gesetz müssen Leiharbeiter genauso bezahlt werden wie reguläre Mitarbeiter des Betriebs, in dem sie eingesetzt werden, sofern es keinen gültigen Tarifvertrag für Zeitarbeiter gibt. Zudem könnten Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherungs-Träger von den Verleihern Nachzahlungen in Höhe von geschätzt zwei Milliarden Euro fordern. UJO

Neue Anträge, keine fünf Euro mehr?
Arbeitslosengeld-II-Empfänger müssen auf die fünf Euro mehr Hilfe im Monat voraussichtlich noch warten. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) teilte nach dem Scheitern der Regierungsvorlage im Bundesrat mit, sie könne ihr System „nicht von einem Tag auf den anderen umstellen“. Im Januar gebe es deshalb wie gehabt 359 Euro. Die fünf Euro würden rückwirkend ausbezahlt, sobald das Gesetz verabschiedet sei. Auch Zuschüsse für Nachhilfe oder Sportvereine – Teil des sogenannten Bildungspakets – würden „erst bewilligt, wenn es eine gesetzliche Grundlage gibt.“ Sozialverbände und Opposition fordern einen deutlich höheren Regelsatz und Nachbesserungen beim „Bildungspaket“. UJO

Obdachloser bei Celle angezündet
Ein 48-jähriger Obdachloser ist Ende November in Faßberg bei Celle angezündet worden und kurz danach an seinen schweren Verletzungen gestorben. Bereits einen Tag nach der Tat verhaftete die Polizei einen Tatverdächtigen. Der 39-jährige Mann, der ebenfalls obdachlos ist, soll das Opfer erst verprügelt und dann angezündet haben. Derzeit sitzt er in Untersuchungshaft und leugnet, mit der Tat etwas zu tun zu haben. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Celle dauerten bei Redaktionsschluss an. HAN

Studie: Reallöhne in Deutschland sinken
Arbeitnehmer in Deutschland haben heute faktisch weniger Geld zur Verfügung als vor zehn Jahren. Die Löhne seien im Zeitraum zwischen 2000 und 2009 inflationsbereinigt um 4,5 Prozent gesunken, so der neue Lohnbericht (Global Wage Report) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).
Neben moderaten Tarifabschlüssen macht die ILO die Ausweitung des Niedriglohnsektors und die Zunahme von 400-Euro-Jobs und Zeitarbeit für die sinkenden Reallöhne verantwortlich. Zum Vergleich: In Finnland stiegen die Gehälter zwischen 2000 und 2009 um 22 Prozent. UJO

Heimkinder erhalten Entschädigung
Mit einem Fonds in Höhe von 120 Millionen Euro sollen ehemalige Heimkinder entschädigt werden. Das ist das Ergebnis eines runden Tisches von Bund, Bundesländern sowie der evangelischen und der katholischen Kirche. 700.000 bis 800.000 Kinder wuchsen zwischen 1950 und 1975 in Heimen auf, rund jedes vierte unter unwürdigen Bedingungen. Viele mussten ohne Bezahlung arbeiten. Die Vertreter der Opfer sind vom Ergebnis enttäuscht. Statt einer Einmalzahlung von 2000 bis 4000 Euro pro Person verlangt der Verein ehemaliger Heimkinder vor allem monatliche Renten, da viele Heimkinder nie in ein normales Leben fanden und heute von Hartz IV leben. Einzelne Betroffene haben bereits Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof angekündigt. FK

Austauschbörse der Freiwilligen
Zum zwölften Mal lädt die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zur Aktivoli-Freiwilligenbörse ein. Im großen Börsensaal der Handelskammer können Menschen, die sich für ein Ehrenamt interessieren, mehr als 140 gemeinnützige Projekte kennenlernen. Die Vereine und Initiativen kümmern sich etwa um Kinder, Familien, Stadtteilkultur und Naturschutz. HAN

„Nennt uns nicht Hartz-IV-Empfänger!“
500 Euro Arbeitslosengeld II, kostenlose Bildungsangebote für Kinder, bezahlbare Tickets für Bus und Bahn ohne zeitliche Einschränkung und unabhängige Stellen zur Kontrolle der Argen: Diese Forderungen erheben Erwerbslose in der Studie „Armut und Ausgrenzung“ des Diakonischen Werks Hamburg. 35 Erwerbslose wurden in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Institut für Sozialforschung über einen Zeitraum von einem Jahr befragt. Weiteres Ergebnis: Die Betroffenen wollen als Arbeitslosengeld-II-Bezieher bezeichnet werden, nicht als „Hartz-IV-Empfänger“, da dieser Begriff von vielen als stigmatisierend empfunden wird. An die Medien geht der Appell, realistisch über den Alltag Erwerbsloser zu berichten und Vorurteile nicht noch zu bestärken. BEB
Zum Download der Studie „Armut und Ausgrenzung“

Kampf gegen Dumpinglöhne? Ohne die Arge
Die Hamburger Hartz-IV-Behörde geht weiterhin nicht gegen Arbeitgeber vor, die Beschäftigten so miese Löhne zahlen, dass diese auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Das ergibt sich aus der Senatsantwort auf eine Bürgerschaftsanfrage der Linkspartei. „In keinem Fall“ sei die Behörde bislang gegen Arbeitgeber vorgegangen, um Steuergelder einzutreiben. Es finde aber „ein regelmäßiger Infomationsaustausch“ der Hamburger Arge mit den Kollegen in Stralsund statt. Dort geht die Hartz-IV-Behörde seit Jahren gegen Arbeitgeber vor, die Dumpinglöhne bezahlen – mit Erfolg: Kürzlich bestätigte das Landesarbeitsgericht Rostock entsprechende Urteile des Stralsunder Arbeitsgerichts. UJO
Zum Archiv von Hinz&Kunzt: Das Vorbild aus Stralsund

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