Annika Woydack ist seit November Hamburger Diakonie-Chefin und Landespastorin – und nun Herausgeberin von Hinz&Kunzt. Im Interview erklärt sie, wie sie zur Überwindung der Wohnungsnot beitragen will.
Hinz&Kunzt: Sie sind seit vergangenem November Landespastorin und Chefin der Hamburger Diakonie. Sind Sie gut im neuen Job angekommen?
Annika Woydack: Es gibt so viel zu lernen! Als Landespastorin bin ich Vertreterin und Gesicht eines Verbandes mit knapp 20.000 Mitarbeiter:innen. Inzwischen habe ich viele Diakonie-Träger kennengelernt, von der Jugendhilfe über Pflegeeinrichtungen bis hin zu Kitas. Ich bin also auf dem Weg anzukommen.
Nun sind Sie Herausgeberin von Hinz&Kunzt geworden. Kriegen Sie das unter einen Hut?
Das passt total gut zusammen, weil Hinz&Kunzt eine wichtige Stimme in der Stadt ist, die Partei für diejenigen ergreift, die oft nicht gehört werden. Die Berichterstattung auf Augenhöhe gefällt mir sehr gut! Ich habe großen Respekt vor der Arbeit der Redaktion.
Was glauben Sie, welche Herausforderungen auf das Magazin zukommen?
Die spannende Frage ist ja, wohin es sich entwickelt. Mit der Einführung des bargeldlosen Bezahlens ist Hinz&Kunzt einen wichtigen Schritt gegangen. Aber wo bleiben die Verkäufer:innen, wenn man alles ins Digitale verlegt? Ich erlebe die Redaktion als sehr agil und lösungsorientiert und bin sicher, dass sie einen guten Weg finden wird.
Wir denken, dass eine soziale Stimme, die in der Stadt Gehör findet, gut geeignet ist als Herausgeberin unseres Magazins. Welche Veränderungen wollen Sie in Hamburg anstoßen?
Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen! Alle Themen sind verbunden mit Wohnungen, sei es bei der Pflege oder der Kinderarmut. Wie gestaltet man Quartiere so, dass die zunehmende Zahl älterer Menschen dort gut wohnen bleiben kann? Wie schaffen wir es, dass arme Familien nicht mit fünf Menschen in zwei Zimmern leben müssen? Wir suchen dringend Fachkräfte, die müssen irgendwo wohnen. Fast alle Themen in Hamburg enden beim Thema Wohnungen.
Das klingt ein wenig wie das „Bauen, bauen, bauen!“-Mantra des Senats. Sind Sie mit dessen Lösungsansätzen zufrieden?
Bauen ja, aber so, dass wir einen guten Mix haben. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind, priorisiert bezahlbare Wohnungen finden. Und gleichzeitig müssen wir beim Aus- oder Um- oder Neubau auf Nachhaltigkeit setzen, um das Leben für kommende Generationen weiter zu gestalten.
„Fast alles in Hamburg endet beim Thema Wohnungen.“
Annika Woydack
Dass es zu wenige Wohnungen in Hamburg gibt, ist unbestritten. Erklärtes Ziel von Bund und Ländern ist es, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden. Glauben Sie, dass das noch gelingen kann?
Das ist immer noch eine richtige politische Zielsetzung. Alle Beteiligten sehen ein, dass der Status quo nicht zufriedenstellend ist. Ich würde auch allen unterstellen, dass sie ernsthaft an diesem Ziel arbeiten. Aber nach der Absichtserklärung braucht es einen konkreten Plan für dieses ehrgeizige Ziel und überprüfbare Zwischenschritte. Es ist ein mühseliger, langer Weg, und ich kann es mir gerade noch nicht vorstellen, dass es in fünf Jahren gelingt.
Was kann die Diakonie tun, damit es doch klappt?
Wir müssen alle etwas tun, auch die Kirche hat Immobilien. Das Trinitatis-Quartier in Altona ist ein schönes Beispiel, dort sind auf einem Kirchengrundstück Wohnungen für Wohnungslose entstanden. Wir bauen ja auch mit unserem Diakonie-Haus im Münzviertel. Und Hinz&Kunzt hat hier in der Minenstraße auch schon bewiesen, dass es möglich ist. Davon brauchen wir viel mehr, da müssen wir richtig ranklotzen. Und ich hoffe, dass wir als Diakonie beim Senat gehört werden.
Was wäre in diesem Fall Ihr Rat an die Stadtregierung?
Das Thema Wohnungslosigkeit ist zentral. Wenn Ungerechtigkeit größer und größer wird, dann werden die Extreme mächtig. Dass will keiner, deswegen müssen wir klug agieren und gute Kompromisse finden. Aus unserer Sicht ist es wesentlich, bei Neubauten den Anteil von Sozialwohnungen deutlich zu steigern, von derzeit einem Drittel auf bis zu 50 Prozent. Und wir sollten gemeinsam schauen, wie wir Quartiere entwickeln. Dazu braucht es eine Verwaltung, die dies stützt, und eine Finanzierung der Quartiersentwicklung, die langfristig angelegt ist.
Sie waren bis 2024 als Landesjugendpastorin für den ganzen Bereich der Nordkirche zuständig, also auch viel in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern unterwegs. Welche Erfahrungen bringen Sie von dort mit, von denen wir Großstädter:innen lernen können?
In dieser Zeit habe ich gelernt, dass Beteiligung ganz zentral ist. Auf dem Land sind die Themen andere, etwa: Wann kommt der Bus? Das Prinzip ist aber in der Stadt dasselbe. Wenn ich frei nach Jesus frage: „Was möchtest du, dass ich dir tu?“, dann gelingt deutlich mehr, als wenn ich einfach sage, was ich meine, was richtig ist. Wenn man große Prozesse wie die Überwindung der Wohnungslosigkeit initiieren will, muss man die Menschen in der Stadt beteiligen. Das ist manchmal mühselig, aber das braucht es.
Beteiligung wird vermutlich nicht ausreichen, um die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden. Während Ihres Einführungsgottesdienstes fanden in der Stadt Proteste gegen den Hamburg-Besuch von AfD-Chefin Alice Weidel statt. Haben Sie die Hoffnung, dass die Jugend sich gegen den Rechtsruck stellt?
Ja – die Hoffnung habe ich! Junge Menschen sind – das zeigen aktuelle Studien – politisch interessierter und engagierter. Die Parteien – und letztendlich auch wir und alle Player in der Sozialpolitik – brauchen Formate, bei denen junge Menschen einsteigen, „reinklicken“ oder mitmachen.
Wir freuen uns auf den weiteren Austausch mit Ihnen. Herzlichen Dank!
