Bergedorf : Razzia in Mietshaus

Im obersten Stockwerk kann man auch von außen Mängel an dem Wohnhaus im Reetwerder 3 erkennen. Foto: Jonas Füllner

Die Sozialbehörde hat am Donnerstag mit einer groß angelegten Aktion Überbelegung und Mietwucher in einem Wohnhaus in Bergedorf überprüft. Wie es für die Bewohner jetzt weitergeht, ist unklar.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Gheorghe ist aufgewühlt. Um sechs Uhr klingelte es an der Tür des Hinz&Kunzt-Verkäufers. Zoll und Jugendamt hätten sich höflich, aber sehr bestimmt an der Tür vorgestellt. „Die Straße war abgesperrt und alles voller Polizei“, sagt der 31-Jährige. „Wir hatten Angst.“

Verantwortlich für den Einsatz war die Sozialbehörde. Mit dem dritten „Aktionstag Sozialleistungsmissbrauch“ will die Behörde die Zustände in dem Wohnhaus am Reetwerder 3 überprüfen: Es geht unter anderem um Überbelegung, Baumängel und möglichen Sozialbetrug. Deswegen waren neben den Fachstellen des Bezirksamtes auch der Zoll und das Jobcenter zugegen.

Seine Unterlagen wären alle in Ordnung gewesen, berichtet der Rumäne. Seit etwa vier Jahren wohnt er mit seiner Familie am Bergedorfer Bahnhof. Ein wunderschöner Altbau. Von außen. Innen bröckelt Putz von den Wänden, Fenster sind kaputt und die Küchenzeile in Gheorghes Apartment ist in einem desolaten Zustand. Schuld ist der Eigentümer, der sein Haus seit Jahren verfallen lässt.

Die Straße war abgesperrt, alles voller Polizei. Wir hatten Angst– Gheorghe

Zudem hat er offenbar eine Überbelegung in Kauf genommen. Denn Wohnungsgeberbescheinigungen stellt der Vermieter aus. Laut Bezirk waren in den kontrollierten 63 Zimmern zuletzt 139 Erwachsene und 61 Kinder gemeldet. Der Grund, warum Bezirk und Sozialbehörde aktiv wurden.

Gheorghe selber teilt sich Küche, Klo und Bad mit einer anderen Familie. Für sein Zimmer hat er lediglich einen Untermietvertrag. Pauschal drückt er pro Monat 500 Euro an einem Mittelsmann ab, erzählt er. Der junge Rumäne hat mit den gleichen Problemen zu kämpfen, die bereits bei den beiden vorherigen Kontrollen in den Häusern in der Seehafenstraße in Heimfeld (vgl. H&K 297) und in der Parallelstraße in Wilhelmsburg zu Tage traten: Überbelegung, überhöhte Miete, mangelhafte Instandhaltung und leider auch Schimmel und eine Kakerlaken-Plage.

Um gegen Ungeziefer vorzugehen, hat Gheorghe selber Fußleisten erneuert und Löcher verspachtelt. Er hat sein kleines Zimmer für sich und seine Familie versucht so schön wie möglich herzurichten. Aber es gibt Dinge, die kann auch Gheorghe nicht ändern: Die Heizung ist kaputt und der Wind pfeift in der Küche durch ein undichtes Fenster.

Die Probleme in Bergedorf sind schon lange bekannt: Bereits 2014 berichtete die Bergedorfer Zeitung, dass sich der Müll vor dem Haus stapelte. Kein Wunder, wenn etwa drei Mal so viele Menschen wie üblich dort wohnen. Damals gab es eine einfache Lösung: Die Stadtreinigung ließ vier weitere Mülltonnen aufstellen. Über die Bewohner machte sich offenbar keiner Gedanken.

Das Wohnhaus von Gheorghe: leider nur aus der Ferne ein wunderschöner Altbau. Foto: Jonas Füllner

Inzwischen hat die Sozialbehörde eine Wende vollzogen. Sie will konsequenter gegen Vermieter vorgehen, die die Not der Menschen ausnutzen. Aber bislang ist unklar, ob der Druck auf die Vermieter auch wirkt. Zwar ließen die Bezirksämter Kellerräume und Dachgeschosse schließen. Den Eigentümern wurden Auflagen erteilt. Sie mussten beispielsweise Feuermelder und Brandschutztüren einbauen. Einige der Auflagen hätte der Vermieter bereits umgesetzt, heißt es aus dem Bezirksamt Harburg. Tatsächlich hatte der Eigentümer der Seehafenstraße 9 auch gegenüber Hinz&Kunzt eine „schrittweise Sanierung“ angekündigt. Verbliebene Vermieter wiederum berichteten Hinz&Kunzt noch Ende 2017, dass sich bislang kaum etwas verändert hätte. Sie sind – so wie jetzt auch die Mieter in Bergedorf – vielmehr verunsichert.

Schießlich geht es um ihr Zuhause. Das mag klein sein. Aber zumindest leben die Rumänen nicht auf der Straße. Gheorghe war froh, als er das Zimmer in Bergedorf fand. Endlich konnte der Hinz&Kunzt-Verkäufer seine Kinder zu sich holen, die bis dahin noch bei der Großmutter in Rumänien lebte. Jetzt besuchen sie Grundschule und Kita und sprechen längst besser Deutsch als ihre Eltern.

Vor allem wegen seiner Kinder ist Gheorghe beunruhigt. Ein Nachbar erzählt, dass seine Tochter jeden Tag weint. Sie wolle nicht mehr länger in dem Haus wohnen. Aber er findet genauso wie Gheorghe einfach keine normale Wohnung. So ergeht es sogar einem Nachbarn, der regulär als Dachdecker arbeitet. Auf dem Wohnungsmarkt haben sie als Rumänen schlichtweg keine Chance. Sie alle suchen seit Jahren nach einer eigenen Wohnung.

Auch wenn sich die Kontrollen eigentlich gegen die Vermieter richten. Als erstes sind die Mieter betroffen. Sollte das Fachamt bauliche Mängel bei der Überprüfung feststellen, wären sie die Leittragenden. Sie würden ihre Bleibe verlieren. „Sollte es dazu kommen, bekommen diese eine Ersatzunterkunft in Wandsbek“, versichert allerdings eine Sprecherin des Bezirksamts Bergedorf auf Hinz&Kunzt-Nachfrage. Das Ergebnis der Kontrollen steht noch aus. Unterkunftsbetreiber fördern und wohnen (f&w) konnte im Laufe des Tages noch keine Zahlen bekannt geben, wie viele Menschen das Haus verlassen mussten.

Update: 26 Menschen mussten nach den Kontrollen nach Angaben von f&w das Haus verlassen. Sie wurden in einer städtischen Unterkunft untergebracht. Neun Menschen lehnten das Angebot ab. Sie hätten bei Bekannten unterkommen wollen, teilt f&w auf Hinz&Kunzt-Nachfrage mit.

Autor:in
Jonas Füllner
Jonas Füllner
Studium der Germanistik und Sozialwissenschaft an der Universität Hamburg. Seit 2013 bei Hinz&Kunzt - erst als Volontär und inzwischen als angestellter Redakteur.

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