Bedrohte Stadttiere

Die Spatzen von St. Pauli

Der Haussperling nistet gerne unter Dächern. Im Volksmund wird der gesellige Vogel Spatz genannt. Foto: Imke Lass
Der Haussperling nistet gerne unter Dächern. Im Volksmund wird der gesellige Vogel Spatz genannt. Foto: Imke Lass
Der Haussperling nistet gerne unter Dächern. Im Volksmund wird der gesellige Vogel Spatz genannt. Foto: Imke Lass

Auf St. Pauli liegt ein Spatzenparadies. Es ist eines der letzten in Hamburg, seit 2019 gilt der Vogel als gefährdet.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Simon Hinrichs zeigt mit ausgestrecktem Zeigefinger auf eine Plastikpalme und sagt, so etwas sollte man jetzt nicht unbedingt pflanzen, im Sinne der Spatzen. Er grinst ein wenig, weil so etwas – also: echte Palmen – hier auf St. Pauli ja generell nicht allzu gut wachsen. Es wachsen allerdings so einige andere Pflanzen, wenn man sich um sie bemüht; das wird Hinrichs einem auch gleich ausführlich zeigen. Er ist nämlich nicht nur ein Experte für Spatzen und Vögel im Allgemeinen, er erkennt auch nahezu jeden Busch und jede Blüte. Es ist erstaunlich, was man alles lernen kann, während man ihm einfach hinterherläuft und er berichtet, was er gerade so sieht – Zitronenmelisse, Hundsrosen, Weißdorn. Ach so, und natürlich all die Spatzen.

Hier, rund um den Park Fiction, liegt nämlich ein Hamburger Spatzen-Hotspot. Er ist einer der wenigen in Hamburg, an denen sich die Vögel noch wohlfühlen; aus vielen Vierteln sind die Spatzen, die vor ein paar Jahrzehnten noch die häufigsten Vögel Hamburgs waren, schon ganz verschwunden. Seit 2019 steht der Haussperling (so heißt der in der Stadt lebende Spatz eigentlich) in Hamburg sogar auf der Roten Liste, er gilt also als gefährdete Art. Hier auf St. Pauli aber schlafen rund 80 Spatzen, hier tanzen sie, hier pflanzen sie sich fort und gehen ihrem Alltag nach, mit schönstem Ausblick auf Hafen und Elbphilharmonie. Spatzen lieben die Sonne und das Wasser, doch der Ausblick allein, so viel darf man schon vorwegnehmen, war nicht entscheidend für die Ansiedlung der Vögel. Die Gründe dafür sind ein bisschen komplexer, wie Simon Hinrichs erklären kann.

„Dornen sind ein guter Schutz vor Feinden.“

Simon Hinrichs

Gefährdet seien die Spatzen deshalb, weil sie in Hamburg unter Wohnungsnot leiden. Viele der Vögel finden an modernen Gebäuden keine Nistplätze mehr. Eigentlich nisten die Spatzen nämlich gerne unter Dächern, nur werden Häuser heute häufig flach gebaut, kastig, da bleibt kein Raum für Vogelnester. Auch werden Nistkästen häufig falsch angebracht; sie sollten eher auf der dem Wetter abgewandten Seite eines Hauses stehen und mit etwas Abstand zueinander. Wichtig sind aber vor allem auch die Pflanzen rund um die Spatzen herum: Die Vögel brauchen Sträucher, in denen sie sich verstecken können und generell heimische Pflanzen, die Insekten anlocken; sie sind schließlich die Nahrung der Vögel. Exotische Pflanzen, versiegelte Böden und fehlende Grünflächen bringen all das aus dem Gleichgewicht. „Dann verhungern die Spatzen“, sagt Hinrichs.

Der Hamburger Verein „Neuntöter“, dem auch Simon Hinrichs angehört, hat deshalb im Jahr 2020 ein umfassendes Spatzenrettungsprogramm ins Leben gerufen. Er hat begonnen, Nistkästen für die Vögel aufzuhängen – vor allem an Orten, die langfristig gepflegt werden können, wie die Gärten von Kitas oder Schulen. „Ein Nistkasten ist schön und gut, allein bringt er aber nicht viel“, sagt Simon Hinrichs. Denn wenn das Nahrungsangebot nicht stimme und niemand auf die Spatzen achte, dann könnten die Nester allein auch keine Spatzen retten.

Im Kirchgarten der St. Pauli Kirche fühlen sich die Spatzen richtig wohl. Dazu tragen spatzenfreundliche Pflanzen bei und Simon Hinrichs vom Verein Neuntöter. Der Name des Vereins ist einem Vogel entlehnt, der seit 2002 nicht mehr in der Roten Liste gefährdeter Brutvogelarten geführt werden muss. Foto: Imke Lass
Im Kirchgarten der St. Pauli Kirche fühlen sich die Spatzen richtig wohl. Dazu tragen spatzenfreundliche Pflanzen bei und Simon Hinrichs vom Verein Neuntöter. Der Name des Vereins ist einem Vogel entlehnt, der seit 2002 nicht mehr in der Roten Liste gefährdeter Brutvogelarten geführt werden muss. Foto: Imke Lass

Am Park Fiction gibt es jemanden, der sich sorgt. Hier liegt die St. Pauli Kirche, der Garten wird von Pastor Sieghard Wilm gepflegt. So wie auch der Garten seines Pfarrhauses, in dem rund 100 unterschiedliche Pflanzen wachsen; das habe er mal nachgezählt, sagt Sieghard Wilm. Gerade zeigt er auf die Rosen – „Die Dornen, die sind ein guter Schutz vor Feinden!“, lobt Hinrichs. Vor zwei Jahren haben Hinrichs und Wilm gemeinsam angefangen, spatzengerecht zu pflanzen. Am Pfarrhaus hängen seitdem auch ein paar rote Nistkästen. Und sobald man den Garten betritt, hört man sie auch: Es wird so laut gezwitschert, dass man die Vögel gar nicht überhören kann.

Außerhalb des Gartens, ein paar Meter weiter, entdeckt Simon Hinrichs in einer Ligusterhecke eine weitere Spatzengruppe. Sie haben sich darin versteckt, doch Hinrichs versteht glücklicherweise ein bisschen Spatzen-Sprache, er kann das Zwitschern übersetzen. Er wirft ein paar Krumen vor die Hecke und sagt, jetzt brauche es einen Mutigen. „Das ist wie auf der Tanzfläche“, erklärt er; es gebe erst mal viele Diskussionen, wer sich zuerst traue, sich auf der freien Fläche die Blöße zu geben. Die attraktivsten Spatzen, sagt Hinrichs, seien übrigens die mit den dunklen Krawatten. Aus der Ligusterhecke wagt sich aber kein Mutiger, keine Krawatte in Sicht, stattdessen nur aufgeregtes Gezwitscher. „Jetzt warnen sie gerade“, übersetzt Hinrichs, schaut zum Himmel – dort fliegt gerade ein Sperber über ihn hinweg, ein Feind der Spatzen. Als der Greifvogel verschwunden ist, kommt prompt der erste Spatz heraus, pickt die ersten Krumen weg, vier andere folgen ihm langsam nach. „So viele Spatzen auf einmal in der Stadt zu sehen, ist leider ein seltenes Ereignis geworden“, sagt Hinrichs.

Im Neuntöter-Verein, der rund 60 Mitglieder zählt, engagieren sich zum Beispiel ältere Menschen, die den Spatzen-Sound in der Stadt vermissen; die mit dem Tschilpen aufgewachsen sind, aber nun keinen der Vögel mehr zu Gehör bekommen. In Winterhude, Barmbek oder Eppendorf, sagt Hinrichs, seien eigentlich gar keine Spatzen mehr zu sehen. Aber es gibt auch die Jüngeren im Verein, die schon seit ihrer Kindheit gerne Vögel beobachten und sich einfach für sie interessieren, so wie Simon Hinrichs. Dem Verein geht es auch nicht nur um Spatzen, sondern genauso um Insekten oder Wasservögel; im Grunde darum, die biologische Vielfalt zu bewahren.

Natürlich freut es die ehrenamtlichen Spatzenretter:innen, dass ihr Einsatz langsam wirkt. Es seien sogar neue Spatzenkolonien in Hamburg entstanden; beispielsweise in Steilshoop, Groß Borstel oder Rahlstedt. Und das, obwohl die Vögel eigentlich gern an einem Ort bleiben und sich nicht neu ansiedeln. Sie sind am liebsten unter Freunden, denn da hat jeder Spatz seine Aufgabe (manche beobachten meist, andere sind die Mutigen). Sowieso sind die Vögel sehr gesellig und machen alles gemeinsam; sie baden auch zusammen, am liebsten im Sand. Auch der ist nämlich wichtig, damit sich Spatzen wohlfühlen. Neben der Ligusterhecke, in der sich die Vögel gerade noch versteckt haben, liegt ein Sandkasten. Das Badezimmer also, in ihrem mittlerweile wieder reich ausgestatteten Zuhause.

Artikel aus der Ausgabe:

Ist das Heimat?

Was Heimat für unsere Verkäufer:innen bedeutet, wieso Heimatvereine als Gegengewicht zum Senat galten und was am Heimat-Begriff kritisch ist, erfahren Sie im Schwerpunkt. Außerdem: Spatzen von St. Pauli und ukrainische Kids auf dem Skateboard.

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Autor:in
Anna-Elisa Jakob
Anna-Elisa Jakob
Ist 1997 geboren, hat Politikwissenschaften in München studiert und ist für den Master in Internationaler Kriminologie nach Hamburg gezogen. Schreibt für Hinz&Kunzt seit 2021.

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