Organisationen wie „Sea-Eye“ retten im Mittelmeer Menschenleben. Dafür sollen sie keine finanzielle Unterstützung der Bundesregierung mehr bekommen. Welche Folgen die Kürzung haben könnte.
Gerade erst haben sie Bilanz gezogen: In zehn Einsatzjahren auf dem Mittelmeer seien zivile Schiffe an der Rettung von 175.595 Menschenleben beteiligt gewesen, erklärten die Organisationen „United4Rescue“, „Sea-Watch“, „Sea-Eye“ und „SOS Humanity“ Mitte Juni. „Nach 10 Jahren ziviler Seenotrettung auf dem Mittelmeer, wissen wir: Diese Situation ist kein Zufall. Sie ist politisch gewollt“, sagte Sea-Watch-Sprecherin Giulia Messmer und forderte den Start von staatlichen Rettungsmissionen.
Wenige Tage später dreht die Bundesregierung den Organisationen den Geldhahn zu. Mehrere Medien berichten am Mittwoch übereinstimmend, dass im neuen Haushaltsplan von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) nach Angaben des Auswärtigen Amtes künftig keine Mittel für private Hilfsorganisationen mehr vorgesehen seien. Zuletzt waren demnach jährlich 2 Millionen Euro an sie geflossen.
Was sagt Außenminister Wadephul?
Das Auswärtige Amt bestätigte die Meldungen gegenüber Hinz&Kunzt am Donnerstag. Außenminister Johann Wadephul (CDU) sagte am Vormittag, er halte es nicht für die Aufgabe des Auswärtigen Amtes, für diese Form der Seenotrettung Mittel zu verwenden: „Meine Politik wird darauf gerichtet sein, mit diplomatischen Mitteln dafür zu sorgen, dass derartige Fluchtbewegungen eingegrenzt werden können.“ Der Minister beabsichtigt demnach, sich den Ursprung der Fluchtbewegungen anzusehen. „Ich glaube, Deutschland muss dort aktiv sein, wo die Not am größten ist – zum Beispiel im Südsudan.“
Die Hamburger Organisation „Sea-Eye“ reagiert empört. „Die Förderung der Seenotrettung durch die Bundesregierung darf nicht still und unkommentiert gestrichen werden“, sagt der Vereinsvorsitzende Gorden Isler. „Wir füllen seit zehn Jahren die Lücke auf dem Mittelmeer, die eigentlich von europäischen Staaten – und somit auch von Deutschland – geschlossen werden müsste.“
Wofür benötigen die Seenotretter Fördergelder?
Nach eigenen Angaben hat Sea-Eye erstmals 2022 staatliche Unterstützung in Anspruch genommen. Damit seien gestiegene Kosten für Treibstoff, Liegegebühren und Personal ausgeglichen und so die Präsenz der Rettungsschiffe im Mittelmeer gewährleistet worden. „Die finanzielle Unterstützung hat für Sea-Eye zusätzliche Missionen ermöglicht und ganz konkret Menschenleben gerettet“, sagt Vorsitzender Isler: „Jetzt kann es passieren, dass wir trotz Seenotfällen im Hafen bleiben müssen.“
Außenminister Johann Wadephul (CDU) hatte sich schon 2023 gegen die Förderung ausgesprochen. „Faktisch, wenn natürlich auch ungewollt, ermöglichen die Rettungsorganisationen den menschenverachtenden Schleuserbanden deren Geschäft“, sagte er damals. Dass die Organisationen durch ihre Arbeit Menschen ermutigen, die Flucht über das Mittelmeer anzutreten, widerlegte im selben Jahr eine Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung. Demnach gibt es keinen „Pull-Effekt“ durch Seenotrettung.
Auch trotz der zivilen Rettung ertrinken jedes Jahr Tausende Menschen im Mittelmeer. Am Donnerstagmorgen verbreitete Sea-Watch eine traurige Nachricht aus dem Einsatzgebiet: Bei einem Aufklärungsflug habe die Besatzung des Flugzeugs „Seabird 1“ die Leichen von fünf Menschen in internationalen Gewässern vor der lybischen Küste entdeckt. Es sei wahrscheinlich, dass sie Opfer eines Schiffsunglücks geworden seien. Wie wichtig die Arbeit der Hilfsorganisationen ist, wurde eine Woche zuvor deutlich: Da vermeldete die NGO die Rettung von 70 Menschen aus dem Mittelmeer, darunter ein einjähriges Kind.
Hinweis: Wir haben die Meldung am Donnerstagmittag um das Statement des Außenministers ergänzt.