Kolumne : Rufe in der Finsternis

Illustration: Stefan Bachmann

Kolumnistin Nele Gerber mag Waldkäuze – altem Aberglauben zum Trotz.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

In meiner Nachbarschaft leben Waldkäuze. Gleich nach meinem Einzug in die Wohnung schaute eine der Eulen bei mir vorbei, saß auf dem Baum direkt vor meinem Schlafzimmerfenster und huhute in die Nacht. Damals habe ich mich noch gefreut, sobald das Hu-Huhuhu-Huuuu des Männchens ertönte. Irgendwann antwortete auch seine Partnerin: „Kuwitt“, lautmalen heute die Ornithologen. „Komm mit“, hörten die Menschen im Mittelalter – ein Aberglaube, der in dem Kauz einen Todesvogel sah: Wenn das „Komm mit“ des Waldkauzes ertönt, sei das eine Einladung ins Jenseits. Ein Mensch wird sterben.

Es ist schon schräg, was unsereins manch armem Tier so alles andichtet. Schwarze Katze: Hexengehilfin! Fledermaus: mit dem Teufel im Bunde! Wolf: durchtrieben und böse! Klar, man kann statt „Kuwitt“ schon „Komm mit“ heraushören. Aber hey, ich glaube doch nicht alles, was ich höre! Dass man damit vorsichtig sein muss, habe ich schon als Kind gelernt. Damals war ich felsenfest überzeugt, Gott habe ­neben Jesus noch einen zweiten Sohn namens Owi. Dass es in der Liedzeile zu „Stille Nacht“ nicht „Gottes Sohn Owi lacht“ heißt, sondern „Gottes Sohn, oh wie lacht“, musste mir erst meine ältere Schwester erklären. ­Seitdem habe ich angenommen, gegen krude Einflüsterungen gefeit zu sein.

Aber dann starben seit dem Einzug in meine Wohnung vor fünf Jahren lauter mir liebe Menschen: Freund:innen, Nachbarinnen, Eltern … Scheinbar immer angekündigt durch das „Kuwitt“ der Kauzdame. Irgendwann saß ich bei ihren Rufen wie versteinert da und dachte entsetzt: „Wen wird es nun wieder erwischen?“ Einmal gab es ein fürchterliches Gezeter draußen in der Dämmerung – und mein Bruder brach auf dem Sport-platz zusammen. Er konnte zum Glück ­wiederbelebt werden, ist dem Tod also von der Schippe gesprungen. Vielleicht waren sich die Eulen uneins über sein Ableben und haben daher laut gestritten?

Ich muss es nüchtern betrachten: Mit dem eigenen zunehmenden Alter werden logischerweise auch die ­Menschen im Freundes- oder Bekanntenkreis älter. Und damit häufen sich ­irgendwann auch die schlechten Nachrichten von bösen Krankheiten oder Tod. Nicht schön, aber leider völlig normal. Ich klinge kaltherzig, aber ich bin nur um Sachlichkeit in Bezug auf meine tierischen Nachbarn bemüht.Zum Glück habe ich nun schon länger keine Todesbotschaften mehr erhalten. Auch das „Kuwitt“ der Kauzdame ist verstummt. Letzteres liegt aber wohl eher an dem großen Neubaugebiet in meiner Nachbarschaft. Viele Bäume mussten dafür weichen – und Herr und Frau Kauz gleich mit. Was soll ich sagen? Ich vermisse ihr Rufen in der Nacht. So geht es nämlich zu in dieser Welt: Damit wir Menschen wohnen und leben können, vertreiben wir die Tiere. Damit bringen wir oftmals ­ihnen den Tod – nicht umgekehrt.

 

Artikel aus der Ausgabe:

Zuhause gesucht!

Unserer Gesellschaft fehlt der soziale Zusammenhalt? Das Gefühl scheint aktuell weit verbreitet. Wir haben das Projekt „Tausch & Schnack“ in Hamburg-Eimsbüttel besucht und mit dem Wissenschaftler Thomas Lux über die Kraft von sogenannten Triggerpunkten gesprochen und festgestellt: Der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland ist gar nicht so klein. Außerdem: Weihnachten steht vor der Tür und wir bei Hinz&Kunzt haben bereits begonnen uns darauf einzustimmen. 

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