In ihrer Ausstellung „Ley-Bude“ zeigen die Fotografen Enver Hirsch und Philipp Meuser, wie Bewohner:innen ihre Behelfsheime nach dem Zweiten Weltkrieg umgestalteten.
Enver Hirsch und Philipp Meuser glaubten lange, ein zum Fachwerkhaus aufgestocktes Behelfsheim an der Bille fotografiert zu haben. Bis sie genauer hinsahen. „Von der Konstruktion her ergab das Fachwerk keinen Sinn. Das Holz war tatsächlich aufgemalt“, sagt Meuser. Als sein Kompagnon Enver Hirsch und er auf der Suche nach Behelfsheimen durch die Stadt streiften, erlebten sie immer wieder Überraschungen: Weil sie sonst nicht unter einen Vorsprung gepasst hätte, hat der Bewohner eine Lampe verkehrt herum angeschraubt. In einem anderen Gebäude wurde ein Fenster unter ein Dach gequetscht, an einem weiteren Bau führt eine Treppe zu einem zweiten, bauwagenartigen Geschoss aus Holz. „Diese Häuser sind oft sehr individuell gestaltet. Sie sehen so ganz anders aus. Das interessierte uns“, sagt Hirsch.
Es war Zufall, dass die beiden Fotografen eines dieser ungewöhnlichen Gebäude entdeckten und den Entschluss fassten, daraus ein Projekt zu machen. Die anarchische Ästhetik geriet in den Hintergrund, als sie begannen, die wenig bekannte Geschichte der Notunterkünfte zu recherchieren. Deren Keimzelle waren oft 20 Quadratmeter kleine Holzgebäude, im Volksmund „Ley-Buden“ genannt. Es sind die einzigen zivilen Gebäude, die während des Zweiten Weltkriegs im Deutschen Reich errichtet werden durften.
Die Bombenangriffe der Alliierten hatten bis Sommer 1943 die Hälfte aller Wohnungen in der Stadt zerstört. Daher hatte der Reichskommissar für sozialen Wohnungsbau, Robert Ley, auf Anweisung Hitlers eine Behelfsheim-Aktion gestartet. In Selbsthilfe sollten die Ausgebombten einfache Mini-Eigenheime bauen, die auf mindestens 200 Quadratmeter großen städtischen Grundstücken stehen durften. In den zwei Räumen, die durch einen Ofen beheizt wurden, lebten bis zu sechs Personen. Ein Badezimmer gab es nicht.
Wer eine Notunterkunft brauchte, musste beim jeweiligen Bürgermeister eine „Baukarte“ beantragen. Besonders häufig entstand der „Reichseinheitstyp“, dessen Abmessungen mit maximal 4,10 mal 5,10 Meter genau vorgeschrieben waren. Die Bauanleitung stand in einer Heimwerker-Fibel. Darin wurde dem „luftkriegsbetroffenen Volksgenossen“ auferlegt, „allen Möglichkeiten nachzuspüren, wie du in deinem Heimatort oder in deinem Heimatkreis rechtmäßig zu Baustoffen kommst“. Die zuständigen NSDAP-Ortsgruppenleiter und Bürgermeister sollten dabei Unterstützung leisten. Nach Fertigstellung zahlte die Gemeinde 1700 Reichsmark, die als pauschale Baukosten galten.
Das Ley-Programm konnte wenig gegen die Wohnungsnot ausrichten. Von den für 1944 geplanten eine Million Buden im Deutschen Reich wurde nur ein Bruchteil gebaut. Auch in Hamburg fehlte es an Material und Menschen. 1950 wurden 28.000 Behelfsheime in Hamburg gezählt. Wie viele davon Ley-Buden waren, ist nicht bekannt, da nach dem Krieg aus den Trümmern weitere Notunterkünfte gebaut wurden. Hinzu kam: Weil die Buden den Bewohner:innen gehörten und das Verbot der Nazis, den sogenannten Reichseinheitstyp zu verändern, nicht mehr galt, begannen viele Eigentümer:innen, die Gebäude nach ihren Vorstellungen zu erweitern.
Nur wenige Ley-Buden sind daher im Originalzustand erhalten. Eine davon ist seit dem 30. Mai im Freilichtmuseum am Kiekeberg zu sehen. Gleichzeitig läuft die Ausstellung „Ley-Bude“ mit den Behelfsheimfotos von Enver Hirsch und Philipp Meuser.

verstorbenen Ehepaar bewohnt. Foto: Enver Hirsch und Philipp Heuser
„Wir haben in Hamburger Schrebergärten fotografiert, wo die Mehrzahl der Behelfsheime steht. Meist im Winter, wenn die Häuser nicht zugewachsen sind“, berichtet Meuser. Ihm und seinem Kompagnon erzählten die Bewohner:innen, wie es ist, dauerhaft in einem Provisorium zu leben. Sie dürfen bis heute in ihren Häuschen wohnen, obwohl das nach dem Bundeskleingartengesetz eigentlich verboten ist. Wer vor Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 1983 in einem Behelfsheim lebte, genießt dort sogar lebenslanges Wohnrecht.
Für die Fotografen war die Arbeit an ihrem Buch „Behelfsheim“ ein Wettlauf mit der Zeit. Weil die Generation der „Festbewohner:innen“ allmählich ausstirbt, wurden viele ihrer Häuser abgerissen. Die Fotografen schätzen, dass die Hälfte der 800 Behelfsheime, die es in Hamburg vor zehn Jahren noch gab, aus dem Stadtbild verschwunden ist. Auch das Fake-Fachwerkgebäude, das auf der Billerhuder Insel wie ein Palast thronte, ist längst Geschichte. Enver Hirsch ärgert sich: „Dass man ein intaktes Gebäude, das frisch renoviert war, plattmacht, finden wir und viele, mit denen wir gesprochen haben, ziemlich bescheuert.