Bettelverbot
Darmstadt verbietet ansprechen

Ein Platz mit einer großen Säule in der Mitte, über den Menschen spazieren
Ein Platz mit einer großen Säule in der Mitte, über den Menschen spazieren
Der Luisenplatz in Darmstadt. Foto: Actionpress/Imagebroker

Wer auf Almosen angewiesen ist, darf in Darmstadt niemanden mehr danach fragen. Das Einkaufserlebnis soll dadurch „angenehm und störungsfrei“ werden.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Im hessischen Darmstadt ist es bettelnden Menschen neuerdings verboten, andere anzusprechen, um sie um Geld zu bitten. War vor dem 15. Mai nur „nachdrückliches und hartnäckiges“ Ansprechen untersagt, verschärfte die Großstadt das Verbot zuletzt, weil es viele Beschwerden gegeben haben soll. Zuständig für das Ansprechverbot ist Ordnungsdezernent Paul Georg Wandrey (CDU).

Die Änderung sei auf den Wunsch vieler Gewerbetreibenden im Einzelhandel erfolgt, teilte die Stadt dazu mit. Ziel der Verschärfung ist es demnach, eine „respektvolle Atmosphäre im öffentlichen Raum zu schaffen und das Einkaufserlebnis für alle Bürgerinnen und Bürger zu verbessern“. Die Innenstadt soll für Einkaufende „angenehm und störungsfrei“ sein.

Rechtlich begibt die Kommune sich damit auf dünnes Eis. So hatte etwa der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geurteilt, dass es ein „der Menschenwürde innewohnendes Recht“ sei, seine „Notlage darzulegen und zu versuchen, seine Grundbedürfnisse durch Betteln zu decken“.

René gegen den HVV
Klage gegen Bettelverbot
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Weil er in der U-Bahn bettelt, soll ein Wohnungsloser immer wieder Strafen zahlen. Dagegen zieht er nun mit Unterstützung vor Gericht. Ein Präzedenzfall.

Wieso das Ansprechverbot rechtswidrig sein könnte

Dagegen würde das Darmstädter Ansprechverbot nicht verstoßen, meint ein Sprecher der Stadt auf Nachfrage von Hinz&Kunzt: „Dies ist beispielsweise durch ein Pappschild oder einen sonstigen schriftlichen Hinweis gut umsetzbar.“ Die Stadt habe zwischen den Interessen der Bettelnden und denen von Passant:innen abgewogen und das Verbot als verhältnismäßig bewertet.

Scharfer Widerspruch kommt vom früheren Professor für Staats- und Verfassungsrecht Wolfgang Hecker. Es gebe anders als von der Stadt behauptet kein „Recht auf ungestörtes Passieren“, schreibt er in einer Stellungnahme. Deshalb sei ein Bettelverbot nur dann zulässig, wenn das Betteln über das bloße Ansprechen hinausgehe – etwa durch ein In-den-Weg-Stellen, körpernahes, bedrängendes Betteln oder hartnäckiges Verfolgen von Passant:innen. Der Darmstädter Jurist hält es deshalb für unverhältnismäßig und sehr wahrscheinlich, dass das Ansprechverbot von Gerichten kassiert werden würde.

Autor:in
Benjamin Buchholz
Benjamin Buchholz
Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD für das Onlinemagazin.

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