Auslandsreportage

Die jungen Schrauberinnen von Ouagadougou

Zwei Frauen in einer Werkstatt, auf dem Tisch Motoren und Autobatterien
Zwei Frauen in einer Werkstatt, auf dem Tisch Motoren und Autobatterien
Bérénice Zigani (rechts) lernt zusammen mit einer Kollegin, wie der Stromkreislauf eines Autos funktioniert. Foto: Sascha Montag.

In den Kfz-Werkstätten Burkina Fasos arbeiten fast ausschließlich Männer. Ein Ausbildungszentrum will das ändern.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Auf einem klapprigen Fahrrad fährt eine junge Frau durch die burkinische Hauptstadt Ouagadougou. Die Reifen des Fahrrads sind rot wie die Erde. Ihre Haare hat sie zum Schutz vor dem Staub unter ein rotes Tuch gesteckt. Doch es ist ihr blauer Werkstattanzug, der ins Auge fällt. Er zeigt, dass sie Ehrgeiz hat, im Leben etwas erreichen will und sich vor den abfälligen Bemerkungen der Männer nicht fürchtet. Bérénice Zigani ist in ihrem letzten Ausbildungsjahr als Kfz-Elektrikerin. Ein Beruf, den in dem westafrikanischen Krisenstaat fast nur Männer ausüben. „Viele Leute haben mich ausgelacht“, sagt die 17-Jährige, „aber man darf sich nie entmutigen lassen.“

Über den Hof des CFIAM-Ausbildungszentrums schallt der Lärm aus drei Lernwerkstätten. Dort schweißen, schrauben und hämmern angehende Karosseriebauerinnen, Lackiererinnen und Kfz-Elektrikerinnen. Schuldirektor Bernhard Zongo trinkt wie jeden Morgen einen löslichen Kaffee in der Schulkantine, die nicht viel mehr ist als eine Bretterbude. Ein letzter Schluck noch, dann geht er gemächlich über den staubigen Hof in sein Büro. Hinter seinem Schreibtisch, auf dem sich haufenweise Zettel stapeln, lässt er sich in einen schwarzen Ledersessel fallen. „Die Idee, Frauen in nicht traditionelle Berufe einzubinden, entstand Mitte der 1990erJahre“, sagt er. Schon damals habe es nur wenige zukunftsträchtige Berufe gegeben, die von Frauen ausgeübt wurden. „Praktisch alle fortschrittlichen Berufe waren in den Händen von Männern.“

Raus aus der Armutsspirale

Zusammen mit anderen gründete der Lehrer die Hilfsorganisation „ATTous-Yennenga“. Der Name erinnert an Prinzessin Yennenga, eine legendäre Kriegerin, die im 12. Jahrhundert für ihr Königreich, aber auch für ihr Recht auf Selbstbestimmung kämpfte. Nach ihrem Vorbild macht sich die Hilfsorganisation seit mehr als 25 Jahren für die berufliche Zukunft von Mädchen stark. Vier Ausbildungszentren betreibt der Verein landesweit und bildet dort Mädchen und junge Frauen auch in Berufen aus, die bislang traditionell Männern vorbehalten waren. Der Wandel ist dringend nötig: Viele burkinische Mädchen werden trotz gesetzlicher Schulpflicht nicht eingeschult, nur etwa 40 Prozent von ihnen schließen eine weiterführende Schule ab. Das Resultat: Noch immer ist fast jede dritte junge Frau in Burkina Faso arbeitslos.

Bérénice Zigani will später ihr eigenes Geld verdienen. Unbedingt. Gerade lernt sie, wie der Stromkreislauf eines Autos funktioniert. Hupe, Licht, Ventilator. Der Wagen, an dem die Auszubildende und ihre Kolleginnen in der Werkstatthalle arbeiten, ist ein 30 Jahre alter weißer Peugeot. Autos, die bei uns längst Oldtimer-Status hätten, sind im Straßenbild der Hauptstadt Ouagadougou die Norm. Rostige Karosserien, fehlende Rücklichter, Türen, die sich nicht mehr öffnen lassen. Die Lernwerkstatt hat sich der Realität auf der Straße und den vielen kleinen Werkstätten im Land angepasst. Modernes Werkzeug, hochwertige Ersatzteile oder Computertechnik sucht man vergeblich.

Die 17-jährige Bérénice Zigani kommt mit dem Fahrrad in die Ausbildungswerkstatt. Foto: Sascha Montag
Die 17-jährige Bérénice Zigani kommt mit dem Fahrrad in die Ausbildungswerkstatt. Foto: Sascha Montag

Bérénice Zigani bastelt den Stromkreis aus dünnen, bunten Kabeln zusammen. Die Ventilatoren laufen schon, dann erklingt die Hupe. „So ist es gut“, sagt die Lehrerin Prudence Segueda, 28. Die studierte Mechatronikerin unterrichtet seit einem Jahr im Ausbildungszentrum. „Ich bin wie eine große Schwester für die Mädchen.“ Die Lehrerin nimmt sie in den Arm, flüstert mit ihnen, lacht. „Sie können mit ihren Problemen immer zu mir kommen.“ Oft treiben Geldsorgen die Familien um. Mal fehlt den jungen Frauen das nötige Kleingeld für ein Mittagessen oder den Bus. Dann hilft Prudence Segueda ihnen aus. Sie weiß, wie schwer es viele von ihnen haben.

„Meine Tochter war schon immer eine Kämpferin“

Die meisten Eltern müssen sich die Schulgebühren wortwörtlich vom Mund absparen. 50.000 CFA-Franc pro Schuljahr, umgerechnet etwa 75 Euro. Im Vergleich zu anderen Schulen ist das nicht teuer. Doch für arme Familien ist es viel Geld. Der Druck auf die Mädchen ist hoch. Wer in Burkina Faso gut verdient, entlastet die Familie und kann sie im besten Fall finanziell unterstützen. Daher müssen viele Absolventinnen ihren Traum von einer eigenen Werkstatt oder einer zusätzlichen Ausbildung in einer der großen Werkstätten Ouagadougous hintanstellen und sich einen Job in einer der kleinen Werkstätten am Straßenrand suchen.

Nach Feierabend machen die Auszubildenen gemeinsam Pause im Hof der KFZ-Werkstatt. Foto: Sascha Montag
Nach Feierabend machen die Auszubildenen gemeinsam Pause im Hof der KFZ-Werkstatt. Foto: Sascha Montag

Am späten Nachmittag sitzt Bérénice mit ihrer Mutter Guéné Zigani an einem Tisch vor ihrem Haus, ein kleiner rechteckiger Bau mit einem großen Metalltor zur staubigen Straße hin. Tauben flattern von Dach zu Dach. Der Hund bellt, sobald sich jemand dem Tor nähert. „Meine Tochter war schon immer eine Kämpferin“, sagt sie. Viel zu früh sei sie auf die Welt gekommen, zwei Monate haben die Eltern um sie gebangt, dann durften sie ihr Baby aus dem Krankenhaus mit nach Hause nehmen. Ein schüchternes Kind sei Bérénice gewesen, habe in der Grundschule immer gute Noten geschrieben.

Auf einer weiterführenden Schule war Bérénice nie. Dafür reichte das Geld nicht. Der Besuch des Ausbildungszentrums war ein finanzieller Kraftakt für die Eltern. „Aber wir haben den Gürtel enger geschnallt und es geschafft“, sagt Guéné Zigani. Ein Mädchen, das Mechanikerin wird, das sei schon etwas Besonderes. „Das ist eine Premiere in unserer Familie.“ Gerade erst hat Bérénice ein Praktikum in einer „großen, modernen Autowerkstatt“ in der Hauptstadt gemacht. „Ich bin stolz auf meine Tochter. Sie ist motiviert und hat an Selbstbewusstsein gewonnen“, sagt ihre Mutter. Nun hofft sie, dass ihre Tochter nach dem Abschluss schnell eine Stelle findet, Geld nach Hause bringt.

Auch Theorie ist Teil der Ausbildung. Foto: Sascha Montag
Auch Theorie ist Teil der Ausbildung. Foto: Sascha Montag

Bildung als Chance auf ein besseres Leben

Armut, häusliche Gewalt, Hunger. Die Not der Menschen in dem krisengeschüttelten Land ist erdrückend. Burkina Faso zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Seit Jahren überschwemmt eine Welle der Gewalt das Land. Der Terror im Namen eines radikalen Islams breitet sich wie ein Flächenbrand aus. Über große Teile des Landes hat die Regierung längst die Kontrolle verloren. Die prekäre Sicherheitslage facht die Armut weiter an. An den Ampeln stehen Kinder, drängen sich an die wartenden Autos und führen ihre Hände immer wieder an den Mund. Ihre Kleider zerrissen, die Gesichter mit rotem Staub bedeckt. Bildung als Chance auf ein besseres Leben bleibt vielen jungen Menschen im Land mittlerweile verwehrt. Rund ein Viertel aller Schulen musste aufgrund der Terrorgefahr schließen.

Die Tore des CFIAM-Ausbildungszentrums in Ouagadougou stehen auch am nächsten Morgen wieder offen. Bérénice ist schon 15 Minuten vor Unterrichtsbeginn da und schaut sich zusammen mit einer Mitschülerin Musikvideos auf dem Handy an. Zwei Ventilatoren quietschen an der Decke ihres Klassenraums. Die Hitze vertreiben sie nicht, machen sie aber angenehmer. An der Tafel steht das Thema des heutigen Unterrichts: Bremskreise. Gerade diskutieren die Schülerinnen lautstark über die Vorteile von Scheibenbremsen. Ein Mädchen hat den Kopf auf das Holzpult gelegt, schläft. Die Lehrerin weckt sie nicht auf. Eine andere ist schwanger. Auch das stört hier niemanden.

Im Ausbildungszentrum lernen die jungen Frauen auch, zu schweißen. Foto: Sascha MontagIm Ausbildungszentrum lernen die jungen Frauen auch, zu schweißen. Foto: Sascha Montag

Frauen in Burkina Faso bekommen im Durchschnitt knapp fünf Kinder. Bis 2050 soll sich nach Schätzungen der Vereinten Nationen die Bevölkerung fast verdoppelt haben. Für den Schuldirektor ist eine Schwangerschaft kein Grund, die Ausbildung abzubrechen. Neben einem schulpsychologischen Dienst und einer kleinen Ambulanz gibt es auch eine Krippe an der Schule. „Wenn die Frauen entbunden haben, können sie ihre Kinder dort sicher unterbringen“, sagt Schuldirektor Zongo.

Auch nach ihrem Abschluss unterstützt die Schule die Absolventinnen. Sogar ein Mikrokreditfonds wurde eingerichtet. Mit dem Geld werden die Mechanikerinnen bei der Gründung ihrer eigenen Werkstatt unterstützt. Viele haben es geschafft. In einem Raum hängen Plakate, auf denen Frauen stolz und lachend inmitten ihrer Werkstätten stehen. Die erfolgreichen Automechanikerinnen sollen den nachfolgenden Generationen als Vorbild dienen. Sie anspornen, sich große Ziele zu stecken. Auch Bérénice träumt groß: „Ich möchte die beste Mechanikerin in Burkina Faso und auf der ganzen Welt werden.“

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Kristin Kasten

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