In ihrem Buch „Der Große Rausch“ erzählt die Historikerin Helena Barop die Geschichte der Prohibition nach. Hier erklärt sie, wieso Drogenverbote nur wenig mit dem Gesundheitsschutz der Konsumierenden zu tun haben.
Dass Drogen verboten sind, ist seit nun bald einem Jahrhundert in den meisten Ländern der westlichen Welt ganz normal und fühlt sich für die meisten Menschen selbstverständlich an. Doch das war nicht immer so: Wer vor 200 Jahren Drogen kaufen wollte, ging in die Apotheke. Drogen, das waren Heilmittel aller Art, getrocknete Heilpflanzen, Wässerchen, Tinkturen und Salben, die unterschiedlichste Wirkungen hatten. Medikamente und Drogen waren das Gleiche, Drogenverbote gab es nicht.
Das änderte sich im Lauf des 19. Jahrhunderts. Die Pharmazie entwickelte in dieser Zeit aus den natürlichen Heilpflanzen immer potentere Stoffe: Aus Opium machte man Morphium und später Heroin, aus Kokablättern wurde Kokain. Euphorisch feierte man die neuen Wundermittel – bis auffiel, dass diese Stoffe auch gefährliche Nebenwirkungen haben. Die Hintergründe, die dazu führten, dass Drogen zunehmend verteufelt und später auch verboten wurden, hatten jedoch nur am Rand mit dem Gesundheitsschutz zu tun. Wichtiger war, dass Rausch und Enthemmung in den Augen vieler Menschen Sitte und Anstand gefährdeten.
Rausch gefährdete Sitte und Anstand.
Seit Ende des 18. Jahrhunderts experimentierten in Europa und Amerika junge Künstler:innen mit Rauschmitteln, um die dunklen Geheimnisse und Abgründe ihrer Seelen zu erforschen. Weil sie darüber Bücher und Gedichte schrieben, steckten sie auch ihre Leser:innen mit einer morbiden Faszination für den Kontrollverlust an. Diese Erfindung des Freizeitkonsums stieß jedoch besonders in den USA auf strengen Widerspruch.
Rausch, Entgrenzung und Ekstase vertrugen sich nur schlecht mit den puritanischen Moralvorstellungen, die in den USA im 19. Jahrhundert stark die Alltagskultur prägten: Wer ein guter Christenmensch sein wollte, hatte sich diesen Vorstellungen zufolge zusammenzureißen, hielt sich an die Regeln und hoffte auf Glückseligkeit im Himmelreich. Pfarrer, Staat und Nachbarschaft wachten streng darüber, wie Menschen mit ihren Körpern umgingen. Rausch hatte in diesem Anstandskorsett keinen Platz. Die ersten Drogenverbote wurden in diesem Zusammenhang erlassen – und zwar zunächst gegen solche Drogen, die in der öffentlichen Wahrnehmung mit Eingewanderten oder Afroamerikaner:innen verbunden waren.
Die USA merkten schnell, dass nationale Verbote wenig Aussicht auf Erfolg haben: Als sie zwischen 1919 und 1933 den Alkoholkonsum verboten, wurde sofort wild geschmuggelt. Als die amerikanische Kolonialverwaltung versuchte, auf ihrer Kolonie Philippinen den Opiumkonsum zu verbieten, blühten auch dort Schmuggel und Schwarzmarkt. So entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Idee, dass nationale Drogenverbote nur funktionieren würden, wenn der Handel mit Opium, Kokain und Co. auch international reguliert wäre.
Wieso Deutschland kein Interesse an Drogenverboten hatte
Das Deutsche Kaiserreich hatte an einer solchen Regulierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts kein Interesse. Die Produktion von Heroin, Morphium und Kokain war für die deutsche Pharmaindustrie ein wichtiger Geschäftszweig. Entsprechend zurückhaltend reagierten deutsche Diplomaten auf die amerikanischen Forderungen nach Drogenprohibition – bis Deutschland den Ersten Weltkrieg verlor. Danach hefteten die Siegermächte die Drogenkonventionen an den Versailler Vertrag.
Daraufhin wurde auch in Deutschland ein Opiumgesetz verabschiedet, das die Opiate, Kokain und Cannabis unter Kontrolle stellte – ohne dass es in Deutschland ein nennenswertes Drogenproblem gegeben hätte. Es war die Grundlage für das Prohibitionssystem, das später in Reaktion auf die Hippies verschärft wurde: US-Präsident Richard Nixon erklärte 1971 den Drogen den Krieg. Im eigenen Land griff er mit harter Hand durch und traf mit seiner Repression vor allem afroamerikanische Communities und die Freigeister der Gegenkulturen. Nixon bekämpfte entlang der Lieferketten Schmuggel, Anbau und Handel in vielen Teilen der Welt.
Kein Einfluss auf Drogenkonsum
Zwar hatte diese Politik – abgesehen von kurzfristigen Schwankungen – keinen messbaren Einfluss darauf, wie viele Drogen die Menschen in den USA zu sich nahmen. Dennoch setzte Nixon seine Alliierten unter Druck, den Kampf gegen die Drogen zu eskalieren. Als enge Verbündete konnte die Bundesrepublik sich diesen Forderungen nicht widersetzen und verabschiedete 1972 das Betäubungsmittelgesetz. Auch in Westdeutschland wurden so die Drogen mithilfe von Repression, Strafverfolgung und Abschreckung verschärft verfolgt. Trotzdem stiegen die Konsumzahlen vor allem für Cannabis und Heroin weiter an.
50 Jahre später wissen wir: Diese Politik ist krachend gescheitert. Der „War on Drugs“ hat Leid über Menschen gebracht, die von Abhängigkeitserkrankungen betroffen sind. In den Anbauländern hat er Instabilität und Kriminalität nicht verringert, sondern verstärkt. Nie hat er irgendwo dazu geführt, dass die Konsumzahlen gesunken wären. Deshalb ist es nun Zeit, umzudenken und neue Lösungen zu suchen. Dass die Ampel-Regierung gegen die Widerstände der internationalen Regelwerke den Cannabiskonsum zumindest unter bestimmten Bedingungen legalisiert hat, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Wenn es gelingt, Ängste abzubauen, neue, wirksame Präventionskonzepte zu entwickeln und den Substanzkonsum mit neuen Regeln zu regulieren, anstatt ihn erfolglos zu unterdrücken, wäre vielen geholfen.
