Karsten (✝), 51, verkauft Hinz&Kunzt vor dem Rewe-Markt am Eppendorfer Weg/Ecke Moltkestraße.
Vor wenigen Tagen ist Karsten in eine Housing-First-Wohnung gezogen. „Ein Glücksfall“, sagt der Hinz&Kunzt-Verkäufer, der sich lange vergeblich um eigene vier Wände bemüht hat. Aber auch eine Herausforderung nach Jahren im Zelt oder in Notunterkünften: „Ich war frei wie ein Vogel, konnte machen, was ich wollte. Nun habe ich Verpflichtungen, muss das Treppenhaus putzen und mit dem Sozialarbeiter Gespräche führen.“ Er habe „ein bisschen Angst, dass ich mich sozial nicht integrieren kann“, sagt Karsten. Noch schläft der 51-Jährige auf dem Fußboden des Wohnzimmers – ein Bett und weitere Möbel sollen bald folgen. Das Wichtigste für ihn ist: „Ich kann die Tür hinter mir abschließen und hab meine Ruhe.“
Obwohl sein Vater alkoholkrank war, beschreibt Karsten seine ersten Lebensjahre als „sehr schön“: „Ich bin bei meiner Oma aufgewachsen. Zu ihr hatte ich einen engeren Draht als zu meiner Mutter, die oft arbeiten gehen musste.“ Doch der Vater neigt im Rausch zu Gewalt. Eines Tages sagt die Oma zur Mutter: „Entweder du trennst dich oder ich schmeiß euch alle raus.“ Die Familie zieht nach Schleswig-Holstein, die Probleme werden nicht kleiner: „Wenn mein Vater besoffen war und meine Mutter zur Arbeit musste, hat sie mich im Zimmer eingeschlossen – zu meinem Schutz.“
Als Karsten 12 ist, steckt das Jugendamt ihn in eine Pflegefamilie, mit 14 kommt er in ein Kinderheim. Als er das mit 18 Jahren verlassen muss, kommt er im Wohnwagen eines Onkels unter. Die Arbeitsagentur fragt nach, was er lernen will. Etwas mit Tieren oder Pflanzen, antwortet Karsten. Da hat der Berater eine Idee: Er vermittelt ihn in einen Gartenbaubetrieb, der Unterkünfte für seine Lehrlinge anbietet.
Karsten schließt die Ausbildung ab und arbeitet für verschiedene Arbeitgeber. „Vor sechs Jahren habe ich noch ein ganz normales Leben geführt“, sagt er. Zwar bekommt er nur Saisonverträge und muss im Winter zum Jobcenter. Richtig knapp wird das Geld aber erst, als der Vermieter die Geschäfte an seine Tochter übergibt. Die Miete steigt und mit ihr die Schulden: „Eines Tages stand der Schwiegersohn des Vermieters vor der Tür, mit einer Kündigung, die er in meinem Namen verfasst hatte. Er sagte: ‚Wenn Sie unterschreiben, sind wir quitt. Wenn nicht, klage ich Sie raus. Eine neue Wohnung bekommen Sie dann so schnell nicht mehr.‘“
Karsten landet auf der Straße. In einer Obdachlosen-Notunterkunft empfiehlt ihm ein Leidensgenosse Hinz&Kunzt. Ende 2023 beginnt Karsten, das Straßenmagazin zu verkaufen. „Ich wollte einfach wieder etwas machen.“ Heute träumt er von „einem richtigen Job, im Gartenbau oder anderswo“.
Bald wird ihn seine Schwester besuchen, erzählt Karsten mit Vorfreude in der Stimme, der Kontakt zu ihr sei immer eng geblieben. „Sie will mir ein paar schöne Bilder für mein Wohnzimmer mitbringen.“