Winternotprogramm : Wer mobil ist, muss raus

Das Winternotprogramm in der Friesenstraße. Foto: Mauricio Bustamante.

Anfang 2021 brachte die Stadt besonders kranke Obdachlose in einer eigenen Einrichtung unter. Künftig finden sie wieder im Winternotprogramm ihren Platz.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Ein kühler Morgen Anfang Oktober. Von einem ehemaligen Bürogebäude in der Friesenstraße in Hammerbrook schleppen sich einige Männer und Frauen langsam in Richtung der nahe gelegenen S-Bahn-Station. Manche sind zu Fuß unterwegs, manche auf Rollatoren gestützt, einige bewegen sich im Rollstuhl fort. Gesund wirkt keine:r von ihnen.

Sie alle kommen aus einer Unterkunft für „besonders vulnerable“ Obdachlose: Menschen, denen die Stadt ein Leben auf der Straße nicht zumuten möchte, weil sie „physisch und psychisch so erkrankt sind, dass Gefahr für Leib und Leben droht, wenn sie auf der Straße leben müssten“, wie die Behörde zuletzt im Sozialausschuss der Hamburger Bürgerschaft erklärte.

Ins Leben gerufen wurde das Angebot für besonders kranke Obdachlose im Februar 2021. Nachdem es zu einer dramatischen Häufung von Todesfällen unter Obdachlosen gekommen war, hatte die Behörde zunächst eine Unterkunft mit 35 Einzelzimmern in der Eiffestraße eröffnet. Im Unterschied zum Winternotprogramm durften die Betroffenen tagsüber in ihren Zimmern bleiben. Im Mai dieses Jahres zog das Angebot mit nunmehr 80 Plätzen in Einzel- und Doppelzimmern nach Hammerbrook um – in die Unterkunft, die seit Anfang November wieder als Winternotschlafstätte dient.

Die Menschen, die hier bislang untergebracht waren, dürfen laut Sozialbehörde weiterhin bleiben. Im anderen Standort des Winternotprogramms, einem ehemaligen Hotel in der Halskestraße, seien außerdem bis zu 60 Plätze für besonders kranke Obdachlose vorgesehen. Dass das Angebot nicht mehr in einem eigenen Gebäude, sondern im Winternotprogramm untergebracht ist, hat auch damit zu tun, dass der Stadt keine räumlichen Alternativen zur Verfügung stehen – insbesondere, seitdem durch den Ukraine-Krieg wieder mehr Geflüchtete nach Hamburg kommen. „Weitere Flächen stehen uns derzeit nicht ohne Weiteres zur Verfügung“, erklärt Sozialbehördensprecher Martin Helfrich.

Gegenüber Hinz&Kunzt klagten einige der kranken Obdachlosen zuletzt darüber, dass sie die Unterkunft morgens verlassen müssen. Eine Sprecherin des städtischen Betreibers Fördern & Wohnen (F&W) sagt dazu: „Wer wieder mobil ist, soll tagsüber die regulären Angebote für obdachlose Menschen aufsuchen.“ Wer in den frei gehaltenen Zimmern für besonders vulnerable bleiben darf und wer nicht, darüber entscheidet laut F&W ein Team aus Sozialarbeiter:innen, Pflegekräften und Ärzt:innen.

Nachvollziehbar wirken diese Entscheidungen für manche Betroffene nicht. Einer von ihnen setzt an diesem Morgen seinen Weg Richtung S-Bahn langsam fort. Auf die Frage, warum einige die Unterkunft verlassen müssen und andere bleiben dürfen, sagt er schulterzuckend: „Keine Ahnung.“

 

Artikel aus der Ausgabe:

Tafeln vor dem Kollaps

Schwerpunkt Ehrenamt: Wie mehr als 1200 Freiwillige Hamburgs Obdachlosen helfen und wieso das problematisch ist. Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) spricht im Interview über die Überwindung der  Obdachlosigkeit. Außerdem: Wieso Antiquariate ums Überleben kämpfen und manchen Geflüchteten aus der Ukraine die Abschiebung droht.

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Autor:in
Lukas Gilbert
Lukas Gilbert
Studium der Politikwissenschaft in Hamburg und Leipzig. Seit 2019 bei Hinz&Kunzt. Zunächst als Volontär, seit September 2021 als Redakteur.

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