Hinz&Künztler Benjamin

„Ich bin wieder aufgestanden“

Ein Mann mit Glatze im schwarzen T-Shirt schaut lieb in die Kamera
Ein Mann mit Glatze im schwarzen T-Shirt schaut lieb in die Kamera
Benjamin musste in seinem Leben viele Schicksalsschläge ertragen. Foto: Mauricio Bustamante

Benjamin, 36, verkauft Hinz&Kunzt vor dem Levantehaus in der Mönckebergstraße.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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„Die habe ich von einem Granatsplitter“: Benjamin zieht seinen Ärmel hoch und zeigt auf eine breite Narbe. „Sie ist das Einzige, das man noch sieht von dem Scheiß in Afghanistan“, sagt der 36-Jährige und deutet dann auf seinen Kopf. „Der Rest ist da drin.“ Drei Mal wurde der ehemalige Soldat in den Krieg geschickt. Die Folgen begleiten ihn bis heute – vor allem psychisch. „Morgens und abends muss ich eine Handvoll Pillen schlucken.“

Benjamin wuchs in Worms auf, mit 18 wurde er Vater. Kurze Zeit später habe ihn sein eigener Vater aus dem Elternhaus rausgeworfen, da er etwas gegen die Prügel sagte, die er regelmäßig bekommen habe. Eine Zeit lang lebte er dann auf der Straße. Um seine junge Familie finanziell absichern zu können, ging er zur Bundeswehr. Doch die Mutter seiner Tochter habe ihn bereits kurz nach deren Geburt verlassen.

Nach über fünf Jahren bei der Bundeswehr konnte er nicht mehr, erzählt er. Er habe den Dienst nicht verlängert und wieder auf der Straße gelebt. Benjamin trank immer mehr und rauchte Heroin, um seine Kindheit und später auch den Krieg zumindest zeitweise vergessen zu können.

„Ich habe trotzdem immer alles für meine Kleine getan.“ In Gegenwart seiner Tochter habe er nicht getrunken und keine Drogen genommen. Sie habe ihm die Kraft gegeben weiterzumachen.

Trotzdem hatte er das Gefühl, einen Neuanfang wagen zu müssen. Vor 13 Jahren zog er nach Hamburg. „Das Tor zur Welt“, sagt er und lächelt schwach. „Ich dachte, vielleicht geht hier ein neues Kapitel los.“ Er begann Hinz&Kunzt zu verkaufen. Der Kontakt mit den Stammkund:innen, ein klarer Tagesrhythmus – das hilft ihm bis heute. Vom verdienten Geld fuhr er oft zu seiner Tochter, die mit ihrer Mutter mittlerweile in Köln lebte. „Die Besuche waren das Schönste.“

Nach Monaten auf der Straße machte Benjamin einen Entzug, zog in eine betreute Wohneinrichtung und begann nachts als Wachmann zu arbeiten. „Ich bin wieder aufgestanden“, sagt er, doch stolz klingt er dabei nicht.

Als er weitererzählt, schaut er zu Boden, spricht schnell und abgehackt. An einem Tag im Frühjahr vor acht Jahren klingelte sein Telefon, beginnt er. „Meine Kleine ist gestorben. Bei einem Wohnungsbrand. Kurz vor ihrem zehnten Geburtstag.“ Er seufzt schwer. „Ich bin nach Köln gefahren, musste gemeinsam mit ihrer Mutter unsere Tochter identifizieren, bin wieder zurückgefahren und habe meine Nachtschicht begonnen.“ Doch lange habe er den Schmerz nicht unterdrücken können. „Ich hatte einen Rückfall.“

Bis heute weiß Benjamin nicht, wie er es trotzdem schaffte, erneut aufzustehen. Doch: „Ich hab’s geschafft.“ Jetzt liegt doch etwas Stolz in seiner Stimme. Nach einer Therapie lebt er heute in eigenen vier Wänden und arbeitet wieder einige Nächte bei einer Sicherheitsfirma. Seine Augen sind traurig, auch wenn er lächelt. Doch Benjamin bleibt zuversichtlich: „Es geht bergauf.“ •

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Autor:in
Luca Wiggers
Luca Wiggers
1999 in Hannover geboren, hat dort Germanistik und Anglistik studiert und ist Anfang 2022 nach Hamburg gezogen. Seit Juni 2023 Volontärin bei Hinz&Kunzt.