Momentaufnahme : „Das ist Leben, was kann ich machen?“

Ioan Fota, 55, verkauft Hinz&Kunzt vor Aldi in Barmbek.

(aus Hinz&Kunzt 246/August 2013)

Wusste lange nicht wohin: Die letzten Wochen waren für Ioan ein reiner Albtraum. In Altona hat er einen neuen Schlafplatz gefunden.
Wusste lange nicht wohin: Die letzten Wochen waren für Ioan ein reiner Albtraum. In Altona hat er einen neuen Schlafplatz gefunden.

Zwei Mal innerhalb der letzten sechs Monate hat ein Feuer seinen Schlafplatz zerstört. Anfang Juni verlor Ioan seinen besten Freund. Inzwischen macht der 55-Jährige Platte im Stadtteil Altona. „Ich schlafe alleine. Alleine ist besser. Leute bescheißen einen immer. Du schläfst in der Nacht. Und morgens schaust du in deine Taschen: Geld, Handy, Personalausweis, alles weg.“

Anfang der 1990er-Jahre kam der gebürtige Rumäne zum ersten Mal nach Deutschland. Er lernte Deutsch, wenn auch nicht perfekt, und fand in Bremen Arbeit als Verpacker in einem Lager für Spülmittel. „Ich hatte Papiere, ein Haus und ein Auto.“ Doch 1995 läuft sein Aufenthaltsstatus aus. Er geht nach Jugoslawien, Österreich und zurück nach Rumänien. Wo man ihn braucht, dort arbeitet Ioan.

Doch er hat zu wenig Geld zum Leben. Als sein Bruder vor vier Jahren stirbt, entscheidet er sich, wieder nach Deutschland zu gehen, zusammen mit seinem besten Freund Christian, „Banane“, wie ihn Ioan nennt. Sie suchen sich einen Platz unter der Kersten-Miles-Brücke. Und Ioan findet einen Job: „Seit zwei Jahren verkaufe ich Hinz&Kunzt in Hamburg.“ Er spart. Gerne hätte er eine Wohnung. Aber zurzeit hat Ioan andere Sorgen.

Ein Feuer hat im März sein Lager zerstört. Die Polizei verdächtigt eine junge Obdachlose. Sie soll das Feuer unter der Kersten-Miles-Brücke verursacht haben. Ioan kam mit einem Schreck davon. Aber er verlor Kleidung, Papiere und auch Geld. Zusammen mit einigen anderen Obdachlosen fand er eine neue Bleibe in einem verlassenen Haus. Ruhig gelegen, am Rande von Buxtehude. Doch in der Nacht auf den 29. Juni brach auch hier ein Feuer aus. Zwei Männer aus Slowenien stehen laut Polizei in Verdacht, den Brand mindestens fahrlässig verursacht zu haben. „Das war richtig kriminell“, platzt es aus Ioan heraus. „Die haben einen Molotowcocktail geschmissen.“ In höchster Not konnte er sich mit den anderen aus dem brennenden Haus retten. „Ich war wegen einer Rauchvergiftung im Krankenhaus auf der Intensivstation. Zur Reanimation.“ Erst nach fünf Tagen durfte er das Krankenhaus verlassen. „Ich hatte schwarzen Husten und Kopfschmerzen“, erzählt Ioan.

Als er aus dem Krankenhaus kommt, erkennt Banane ihn plötzlich nicht mehr. „Zu viel Alkohol, oder ich weiß nicht, was passiert ist“, sagt Ioan. „Ich habe ihm gesagt, dass er keinen Wodka trinken soll. Das ist sehr, sehr gefährlich.“ Ioan wirkt erschöpft und traurig. Wenig später fischte die Polizei die Leiche von Banane aus dem Alsterfleet. Ioan erfährt es aus der Zeitung. Wie er das alles aushält? „Mir geht es gut bis jetzt“, versucht Ioan zu erklären. Doch ein richtiges Lächeln will ihm nicht gelingen. Nach einer kurzen Pause fügt er mit einem Achselzucken an: „Das ist Leben, was kann ich machen?“

Er wird weiter Hinz&Kunzt verkaufen. Und er wird weiter auf der Straße leben. „Im Sommer kein Problem“, meint Ioan. Aber im Winter? Bietet das Winternotprogramm keine Alternative? Ioan schüttelt den Kopf. „Ich war eine Woche dort. Immer Schlägerei, ständig kommt die Polizei.“

Hinz&Kunzt: Wo wohnst du zurzeit?
Ioan: Auf der Straße. In der Nähe vom Altonaer Rathaus. Ich schiebe zwei Mülltonnen zurecht und dahinter habe ich dann meinen Platz.

Text: Jonas Füllner
Foto: Mauricio Bustamante