„Ich bin so ein Normaler.“

Konstantin Graudus fand sich lange mittelmäßig und scheu. Dann wurde er Schauspieler; ein gefragter dazu. In diesem Monat steht er im Altonaer Theater auf der Bühne – und spielt einen Mörder, der die Hoffnung entdeckt.

(aus Hinz&Kunzt 227/Januar 2012)

Konstantin Graudus: „Mittlerweile denke ich manchmal, dass ich Schauspieler bin.“

Würde jetzt das Telefon Würde jetzt das Telefon klingeln und würde man ihm eine Rolle in einem Fernseh- oder Kinofilm anbieten, Konstantin Graudus müsste wohl ablehnen. Denn so wie er gerade aussieht, taugt er nicht für viele Rollen. Zerzaust sieht er aus, ein bisschen derangiert – und dann dieser Bart! Ganz anders als auf den perfekt ausgeleuchteten Fotos seiner Agentur. Das ist nicht etwa Nachlässigkeit, sondern beste Absicht: Konstantin Graudus hat sich für eine Theaterrolle eigens einen Bart wachsen lassen.

„Zweimal lebenslänglich“ heißt das Stück,
das diesen Monat im Altonaer Theater auf dem Plan steht. Es basiert auf dem amerikanischen Spielfilm „Die Verurteilten“, mit Tim Robbins und Morgan Freeman, eine Gefängnisgeschichte. Graudus spielt eine der Hauptrollen: einen Häftling namens Red. Verurteilt wegen Mordes zu 20 Jahren.

Sie sind noch mitten in den Proben, im tiefsten St. Georg, wo das Altonaer Theater seine Probebühne hat. Kantige Bühnenelemente geben den Hintergrund; Streifen aus Klebeband markieren auf dem Boden, wo die Bühne zu Ende ist. Auf dem Tisch für die Requisiten liegen jede Menge Zigarettenschachteln und ein Paar Handschellen. Seine Mappe mit dem Text unter dem Arm, lässt sich Graudus auf ein Sofa fallen, trinkt erst mal einen Kaffee. Dann legt er los: „Der Red ist einer, der ist schon seit Urzeiten in diesem Knast. Der stellt jedes Jahr einen Antrag auf Begnadigung, aber nie wird der auch nur angenommen, keine Chance. Also hat er jede Hoffnung, dass er da noch mal lebend rauskommt, aufgegeben. Er hat sich arrangiert. So wie die anderen auch.“

Graudus schiebt sich
die Mütze ein wenig aus dem Gesicht und bekommt nun nahezu leuchtende Augen: „Aber dann kommt einer zu ihnen in den Knast, der ist anders: Der hat Pläne. Der will sich nicht abfinden, der wehrt sich. Der wird von den Brutalos, den Idioten, die es in jedem Knast gibt, zusammengeschlagen, die brechen ihm jeden Knochen. Aber er gibt nicht auf. Er will Freundschaften schließen. Er hat Hoffnung. Meine Figur aber sagt: ‚Ich will hier keine Freunde haben. Freunde kann man wieder verlieren, da hab ich doch lieber keine.‘“ Und Hoffnung, dass eines fernen Tages das Leben wieder besser wird, hat er schon mal gar nicht.

Graudus kann dieses Gefühl verstehen: „Wenn du in einer ausweglosen Situation bist, kann Hoffnung zum Problem werden. Hoffnung setzt immer voraus, dass man eine Perspektive hat. Wenn die nicht da ist, ist Hoffnung nur noch Leid. Dann lieber nicht hoffen und sich mit dem arrangieren, was ist. So guckst du höchstens auf den nächsten halben Tag; dass du den überlebst. Und dann kommt der nächste halbe Tag. Und so geht es immer weiter.“ Natürlich sei das jetzt eine Rolle, er spiele Theater, er sei Schauspieler. Das dürfe man nicht durcheinanderbringen. Und trotzdem: Ihm ist anzumerken, wie ihn die Rolle beschäftigt, während er sich durch den so ungewohnten Bart streicht: „Man sagt so leicht ,Geteiltes Leid ist halbes Leid.‘ Aber das ist Scheißdreck; das ist was fürs Phrasenschwein. Das fühlt sich ganz anders an – da auf der Bühne.“

Mit ihm sind elf Männer auf der Bühne. Mithäftlinge, Wärter, der sadistische Gefängnisdirektor. Keine Frau. Er lächelt: „Das fällt beim Proben gar nicht besonders auf.“ Er legt den Kopf etwas zurück, sagt dann: „Es ist sogar fast angenehm, nur unter Männern zu sein: Keiner muss besonders gut sein, wie das manchmal bei Proben passiert, wenn man einer Schauspielerin imponieren und also besonders toll sein will.“

So richtig bekannt wurde Graudus durch seine Rolle als Ermittler Mike Lehmann in der TV-Serie „Doppelter Einsatz“, die ihr Revier im Schanzenviertel hatte. Er gehörte zum Ensemble des Schauspielhauses, hatte Engagements am Thalia Theater und an den Kammerspielen. Er hat Brecht gespielt, ist immer wieder im Tatort zu sehen und in Serien wie Großstadtrevier oder Die Stein. Er spricht Hörbücher und Hörspiele, außerdem arbeitet er als Synchronsprecher und spricht, als ob das noch nicht reicht, Werbung ein: „Ich weiß, es gibt Kollegen, die bedienen nur ein Metier; die machen nur Fernsehen oder nur Film; die machen nur Ernstes oder nur Komödien, aus Angst, sie hätten – wie heißt das heute? – kein eindeutiges Profil. Aber das ist mir von der Denke her zu kompliziert und auch zu langweilig: Das ist ja wie ein Tischler, der nur noch Trockenbau macht, keine Möbel mehr – schrecklich.“ So hat er Film für Film gedreht und Folge für Folge: „Ich hab gar nicht gemerkt, wie darüber die Jahrzehnte vergangen sind.“

Geboren wird er als Konstantin Erich Wilhelm Graudus 1965 in Westfalen: „Die Großen wie Gustav Peter Wöhler oder Ulrich Wildgruber kommen aus Bielefeld. Die Kleinen wie ich kommen aus Gütersloh“, lacht er. Dort geht er zur Schule, gehört weder zu den sehr Guten noch zu den besonders Schlechten, die dadurch auffallen. Nur entdeckt er eines Tages, dass er geschriebenen Figuren Leben einhauchen kann. „Dabei war ich eher scheu, war überhaupt nicht der Klassenclown – auch wenn die, die mich aus alten Zeiten kennen, heute sagen: Ach, das war doch immer klar, dass du mal so was machst.“

Er wedelt kurz mit der Hand: „Ich hab mit Oliver Welke zusammen Abi gemacht. Welke, den heute alle kennen; die heute-show, na, der Welke eben. Damals waren wir zwei Deppen. Aber wir mussten auf ’ne Bühne klettern, wir mussten Theater spielen. Wir wollten raus aus der Mittelmäßigkeit. Denn wir waren anders als diese super gefragten Typen, denen die Mädels hinterherrannten; die sich nie recken, nie anstrengen mussten. Die gar nicht wussten, was Probleme sind.“ Er sagt mit einem Lächeln: „Ich bin ja so ein Normaler.“

Soll er dennoch Schauspieler werden?
Was er dazu braucht, ist ein solides Urteil, eine Überprüfung, dass er auf dem richtigen Weg ist: „Ich kannte so Typen, die wollten Schauspieler werden und die liefen dann barfuß durch die Gegend. Ich dagegen trug damals Cordhosen und Pullunder, und meine Mutter hatte mir beigebracht, dass man sich ordentlich vorstellt: also sein Gegenüber erst anguckt, dann seinen Namen sagt und dazu einen Diener macht.“

Er spricht nach der Schule an staatlichen Schauspielschulen vor, auch an der Hamburger Hochschule für Theater und Musik: „Ich wollte mich nicht bei irgendeiner privaten Schule einkaufen. Ich wollte, dass die Leute ganz amtlich sagen: ‚Der kann was; das hat ’ne Chance.‘“ Wundersamerweise habe das geklappt: „Mittlerweile denke ich wirklich manchmal, dass ich Schauspieler bin.“

Er holt noch mal Luft: „Weil, wenn man so wie ich aus einem kleinbürgerlichen Milieu kommt und nicht aus einer Schauspielerfamilie, wo man diese Welt von Anfang an kennt, und dann in so einer großen Stadt wie Hamburg landet, das ist schon eine ordentliche Sache.“ Mittlerweile lebt er die längste Zeit seines Lebens in Hamburg, fühlt sich als Hamburger: „Dabei bin ich eigentlich ein westfälisches Kleinkind.“

„Konstantin“, ruft leise die Regieassistentin, die im Hintergrund die Bühne für die Proben hergerichtet hat: Stühle stehen an ihrem Platz, das Textheft ist aufgeschlagen, Bücherstapel am Rande der Bühne deuten die Gefängnisbibliothek an, die in dem Stück eine wichtige Rolle spielt. Sie zeigt auf die Uhr. Konstantin Graudus atmet tief aus, entschuldigt sich, schält sich aus dem Sofa. Er ist morgen früh wieder dran, sollte fit sein. Spielt dann wieder den Red, zieht sich dessen schwere Jacke an, schiebt sich also die Mütze tief ins Gesicht, um in die Haut eines Mörders zu schlüpfen, der eines Tages das Hoffen wieder lernt.

Altonaer Theater, Museumstraße 17, Premiere: 14.1., 20 Uhr, bis 19.2., Infos unter www.altonaer-theater.de, Tickets: 9–29 Euro

Altonaer Theater, Museumstraße 17, Premiere: 14.1., 20 Uhr, bis 19.2., Infos unter www.altonaer-theater.de, Tickets: 9–29 Euro

Text: Frank Keil
Foto: Daniel Cramer