Wochenrückblick : Falsche Prioritäten

Sozialwohnungen, die auch von Gutverdienern angemietet werden dürfen. Senioren, die ihr Heim für eine Flüchtlingsunterkunft räumen sollen. Ein Mindestlohngesetz, das wohl gar nicht für alle gelten soll: die Nachrichten der Woche im Überblick, kommentiert von Hinz&Kunzt. 

Bindung
Falsche Prioritäten werden mancherorts auch bei der  Vergabe von Sozialwohnungen gesetzt: Zum Beispiel in Mümmelmannsberg dürfen auch Gutverdiener in sie einziehen.

Auch in dieser Woche ließ uns die Geschichte von Baby Miranda nicht los. Die Behörden hatten es den lettischen Eltern weggenommen, weil die im Winternotprogramm der Stadt lebten. Inzwischen ist die Familie wieder vereint und zunächst auf Kosten des Roten Kreuzes in einem Hotel untergekommen. Uns hatte die Mutter noch erzählt, sie sei von den Behörden zur Ausreise gedrängt worden. In einer Antwort auf eine Bürgerschaftsanfrage weist der Senat diesen Vorwurf jetzt zurück. Sie sei vielmehr darauf hingewiesen worden, dass sie im Fall einer Ausreise das Kind zurückbekäme, berichtet die taz. Den Unterschied suchen wir mit der Lupe, denn so oder so übt eine solche Äußerung Druck auf die Betroffenen aus.

Leider mussten wir auch erfahren, dass solche Geschichten nicht nur in Hamburg passieren. Wie unser ehemaliger Volontär Hanning Voigts in der Frankfurter Rundschau schreibt, hat das dortige Jugendamt einer rumänischen Familie das Kind weggenommen, weil sie in einer Gartenlaube ohne Heizung lebt. Für eine Wohnung fehlt demnach das Geld. Eine öffentliche Unterkunft für die Familie kam offenbar auch für die Frankfurter Behörden nicht in Frage, weil sie in Deutschland angeblich keine Ansprüche auf Sozialleistungen haben. Juristisch ist das umstritten, moralisch sollte eine Unterkunft für die Familie Priorität haben. So jedenfalls wird das Kind dafür bestraft, dass die Eltern arm sind. Wir finden nach wie vor: Das geht gar nicht, auch nicht in Frankfurt!

Zurück nach Hamburg. 19.000 Sozialwohnungen in der Stadt müssen die Vermieter nicht ausschließlich an diejenigen vermieten, für die sie gedacht sind. Eigentlich benötigt man als Mieter einer Sozialwohnung einen so genannten Dringlichkeitsschein, den man nur mit geringem Einkommen bekommt. In Mümmelmannsberg, Neuallermöhe-West, Steilshoop und Wilhelmsburg macht der Senat hiervon großzügig Ausnahmen, wie er in einer Antwort auf eine Anfrage der Linkspartei (Drs. 20/10649) einräumt. Damit soll, so ein Sprecher der Stadtentwicklungsbehörde in der taz, eine „positive Quartiersentwicklung“ erreicht werden: „Dem Versorgungsauftrag immer oberste Priorität einzuräumen, ist aus fachlicher Sicht nicht richtig.“ Ach so! Das heißt also: In Hamburg gibt es in jedem Jahr weniger Sozialwohnungen, weil weniger neue gebaut werden als alte aus der Mietpreisbindung fallen. Preiswerter Wohnraum wird so immer knapper. Noch knapper wird er durch diese Ausnahmeregelung des Senats. Da soll nochmal jemand sagen, der SPD-Senat setze in Sachen Wohnungsnot die falschen Prioritäten.

Ein seltsamer Streit ist in dieser Woche um ein Seniorenheim in Bahrenfeld ausgebrochen: Angeblich, weil der Betrieb sich nicht mehr lohnt, sollen die Bewohner ausziehen. Die Sozialbehörde hat das Gebäude gemietet und will darin eine Flüchtlingsunterkunft errichten. Das offensichtliche Kalkül des Eigentümers Pflegen und Wohnen: Mit Flüchtlingen lässt sich gerade mehr Geld verdienen, als mit Alten. Einen Platz zum Wohnen brauchen aber alle, auch Flüchtlinge und Senioren. Letztere im hohen Alter noch einmal umzusiedeln, kann eine enorme Belastung sein.

Die Lampedusa-Flüchtlinge hatten am vergangenen Wochenende auf einer Demonstration mit 4000 Teilnehmern betont, dass sie entgegen anderer Behauptungen noch in der Stadt sind. Mit einer neuen Kampagne will nun Friday Emitola darauf aufmerksam machen, was er und seine Mitstreiter noch sind: Mechaniker, Kunstschmied, oder Journalist zum Beispiel. In der Öffentlichkeit gehe oft unter, dass sie Ausbildungen haben, erklärte er dem NDR. Unternehmen werden aufgefordert, an der Aktion teilzunehmen: Die Flüchtlinge wollen sich an passenden Arbeitsplätzen fotografieren lassen.

Die Nordkirche kritisierte am Donnerstag, dass jugendliche Flüchtlinge in Hamburg von den Behörden häufig älter geschätzt werden, als sie wirklich sind. Wie das Hamburger Abendblatt berichtet, können die Asylbewerber leichter abgeschoben werden, wenn sie Volljährig sind. Deswegen würde das Alter der Jugendlichen oft nicht mehr auf Grund einer ärztlichen Untersuchung bestimmt, sondern anhand des äußeren Erscheinungsbildes geschätzt. „Ihre Volljährigkeit wird einfach festgelegt“, sagte Anne Harms von der kirchlichen Beratungsstelle Fluchtpunkt in der Zeitung. Priorität hat offenbar nicht die menschenwürdige Behandlung der Flüchtlinge, sondern die Frage, wie man sie wieder los wird.

Dass Flüchtlinge normale Menschen sind, die hier Schutz suchen, haben leider immer noch nicht alle verstanden. Im Gegenteil: 2013 ist die Zahl der Angriffe auf Asylbewerberheime in Deutschland auf das Doppelte angestiegen. 58 rechtsextreme Delikte hat das Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr in diesem Zusammenhang gezählt. Die Deutsche Welle vermutet, dass die Dunkelziffer „deutlich höher“ liegen könnte. Eine Entwicklung, die uns große Sorgen bereitet.

Etwas Erfreuliches gibt es in Sachen Mindestlohn zu berichten: Der steht nämlich kurz vor der Einführung. Wie die taz berichtete, soll bis Ostern ein Gesetzesentwurf vorliegen. Das war’s aber auch schon mit den guten Nachrichten. Denn derzeit überlegen die beteiligten Ministerien, welche Ausnahmeregelungen sie einbauen wollen, also: Wer alles doch keinen Mindestlohn bekommen wird. Deswegen schaltete sich Mitte der Woche der Deutsche Gewerkschaftsbund ein und startete eine Kampagne. Das Motto laut Frankfurter Rundschau: „Würde kennt keine Ausnahmen: Kein Lohn unter 8,50 Euro.“ Wir hoffen, dass das Mindestlohngesetz weder ein bürokratisches Monster noch ein zahnloser Tiger wird!

Text: Benjamin Laufer
Foto: Mauricio Bustamante