Fahren ohne Fahrschein

Was hat die Reform der Ersatzfreiheitsstrafen gebracht?

Illustration: Julia Pfaller
Illustration: Julia Pfaller
Illustration: Julia Pfaller

Vor allem Menschen mit wenig Geld landen im Gefängnis, weil sie ohne Ticket Bus oder Bahn gefahren sind und Geldstrafen nicht zahlen können. Wie es besser laufen könnte, zeigt das Beispiel Schweden.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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7000 Menschen jährlich kommen in Deutschland ins Gefängnis, weil sie wiederholt ohne Fahrschein Bus oder Bahn gefahren sind. Das hat die Kölner Kriminologin Nicole Bögelein anhand regionaler Daten aus Nordrhein-Westfalen hochgerechnet. Die überwiegende Mehrzahl der Inhaftierten muss eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, weil sie eine oder mehrere Geldstrafen (wie zuvor das Ticket) nicht bezahlen konnte. Betroffen, so Studien, sind vor allem Menschen mit wenig Geld.

Seit 2002 erfasst die Bundesjustizstatistik nicht mehr, wie viele Menschen jährlich wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe – meist einige Wochen – einsitzen. Erhoben werden allenfalls regionale Stichtagszahlen. So verbüßten in Hamburg am 20. November 2024 sechs Betroffene eine Ersatzfreiheitsstrafe, weil sie wiederholt ohne Ticket erwischt worden waren. Knapp zwei Jahre zuvor, am 21. Februar 2023, waren es noch dreimal so viele (19) gewesen, so die Justizbehörde.

Eine Erklärung für die gesunkene Zahl ist die veränderte Berechnung der Strafen: Seit einer Gesetzesreform im vergangenen Jahr müssen Betroffene für die gleiche Geldstrafe nur noch halb so lange ins Gefängnis. Hinzu kommt, dass Hamburg im November den Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen für sechs Monate ausgesetzt und 30 Betroffene entlassen hat, weil die Haftanstalten voll sind. Die Strafen seien allerdings „nicht gelöscht“, so die Justizbehörde, „sondern sollen lediglich zu einem späteren Zeitpunkt vollstreckt werden“.

Fachleute wie die Kriminologin Bögelein fordern, den Paragrafen 265a im Strafgesetzbuch („Erschleichen von Leistungen“) ersatzlos zu streichen. Die Verfolgung von Menschen, die sich Tickets nicht leisten können, habe „schwerwiegende und unverhältnismäßige Konsequenzen“ – bis hin zum Verlust der Wohnung. Weil es für diese Idee im Bundestag bislang keine Mehrheit gab, haben Städte wie Köln und Düsseldorf ihre Verkehrsverbunde angewiesen, keine Strafanzeigen mehr gegen Menschen zu stellen, die wiederholt ohne Fahrschein Bus oder Bahn gefahren sind. Einen entsprechenden Antrag der Hamburger Linken lehnten SPD, Grüne, CDU und AfD im Mai 2024 in der Bürgerschaft ab.

Wie es besser laufen könnte, zeigt das Beispiel Schweden. Dort müssen nur diejenigen eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten, die willentlich nicht bezahlen – pro Jahr weniger als 20 Menschen, so Wissenschaftlerin Bögelein. Überprüft werden die Einkommens- und Vermögensverhältnisse dort von der Staatsanwaltschaft, die Zugriff auf die Daten der Betroffenen hat – und bei gut 40 Prozent auch nach fünf Jahren zum Ergebnis kommt, dass sie nicht bezahlen können. Die Folge: Die Verurteilten bekommen die Geldstrafe erlassen.

Weitere Infos: www.freiheitsfonds.de

Artikel aus der Ausgabe:
Ausgabe 384

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Schwerpunkt Wahlen: Wie wollen die Parteien in Bürgerschaft und Bundestag Wohnungslosigkeit und Armut bekämpfen? Außerdem: Baulücken in Hamburg, Reisen für arme Menschen mit schweren Behinderungen und 100 Jahre alte Nachrichten.

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Autor:in
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas schreibt seit vielen Jahren für Hinz&Kunzt - seit 2022 als angestellter Redakteur.

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