Winternotprogramm für Obdachlose : Einzelzimmer frei

In diesem ehemaligen Hotel bringt die Stadt Obdachlose unter – auch in Einzelzimmern. Foto: Mauricio Bustamante

60 Einzelzimmer bietet Hamburg im Winternotprogramm für Obdachlose an. Sie stehen großteils leer – rein kommen trotzdem nicht alle, die dringend Ruhe bräuchten.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Eigentlich müssten die 60 Zimmer heiß begehrt sein: eigenes Bad, eigener Fernseher und viel Privatsphäre, weil man sich mit niemandem den Raum teilen muss – und ihn anders als sonst üblich nicht jeden Morgen verlassen muss. Im Hamburger Winternotprogramm für Obdachlose gibt es sonst nur Mehrbettzimmer, die Einzelzimmer in einem ehemaligen Hotel in Billbrook sind die Ausnahme. Und trotzdem stehen sie zum Großteil leer: Laut Sozialbehörde war in der Spitze nicht einmal jedes zweite Bett der insgesamt 60 Einzelplätze belegt. Wie kann das sein?

Für alle Obdachlosen sind die Zimmer nicht gedacht, erklärt eine Sprecherin der Sozialbehörde: „Die Einzelzimmer in der Halskestraße werden Personen vorgehalten, die Obdach­losenunterkünfte auch im Winter ­meiden und schon lange ausschließlich auf der Straße leben.“ Auch wer ­eine psychische Erkrankung hat oder suchtkrank ist, soll demnach dort ­Ruhe finden. Zweifellos leben auf Hamburgs Straßen etliche Menschen, auf die das zutrifft – und die dringend ein solches Angebot benötigen.

Wer spontan selbst nach einem Einzelzimmer fragt, hat jedoch eher schlechte Chancen. Denn im Winternotprogramm entscheiden darüber nicht die Sozialarbeiter:innen vor Ort, sondern deren Vorgesetzte. Sie müssen einen „Härtefall“ feststellen, erklärt eine Sprecherin des Betreibers Fördern & Wohnen (F&W). Andere Einrichtungen und Straßensozialarbeiter:innen können per E-Mail einen Platz im Einzelzimmer beantragen und sollen eine Fallbeschreibung mitschicken. Manchmal klappt das, manchmal nicht: Teilweise, so wird gegenüber Hinz&Kunzt beklagt, müssten sie so lange auf eine Antwort warten, bis der Kontakt zum obdachlosen Menschen wieder abgerissen ist. Mitunter herrscht im Hilfesystem auch Unklarheit über das Aufnahmeprozedere und die Kriterien, denen die Obdachlosen entsprechen müssen.

In der Sozialbehörde vermutet man, das Angebot habe sich bislang nicht ausreichend herumgesprochen. „Es wird daran gearbeitet, den eher etwas ruhigeren Standort Halskestraße bekannter zu machen und für mehr Akzeptanz zu werben“, teilt eine Sprecherin mit. Die Kriterien für eine Aufnahme erweitern oder die Vergabe erleichtern will man jedoch nicht.

Dabei wäre es wichtig, möglichst viele Menschen in Einzelzimmern unterzubringen. Expert:innen fordern das schon lange, weil sich Obdachlose dort viel besser stabilisieren und erholen als in Mehrbettzimmern. Auch das Bundesbauministerium will darauf im „Nationalen Aktionsplan Wohnungs­losigkeit“, den es gerade erarbeitet, setzen. In Hamburg stehen die Zimmer trotzdem vielfach leer.

Artikel aus der Ausgabe:

Frauen im Hafen

Der Hamburger Hafen ist eine Männerdomäne? Von wegen! Wir stellen Frauen vor, die den Hafen verändern. Außerdem: Philosophin Eva von Redecker im Interview über die Rolle von Frauen in Revolten, eine Reportage über Menschen am Hauptbahnhof und ein Porträt von Boxweltmeisterin Dilar Kisikyol, die für Inklusion und Feminismus kämpft.

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Autor:in
Benjamin Buchholz
Benjamin Buchholz
Früher Laufer, heute Buchholz. Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD Digitales.

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