Flaschensammler am Flughafen

Spende dein Pfand!

Aufmucken lohnt sich! Nach unseren Berichten und den Protesten unserer Leser ist Flaschensammeln am Hamburger Flughafen nicht mehr verboten. Noch besser: Ab sofort arbeiten drei Hinz&Künztler dort als professionelle Leergutbeauftragte. Am 1. September startet das Projekt „Spende dein Pfand“.

Meldungen: Politik und Soziales

(aus Hinz&Kunzt 208/Juni 2010)

Gegen Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger
Arbeitsvermittler sprechen sich für eine Lockerung der strengen Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger unter 25 Jahren aus. Sie befürchten, dass Jugendliche dadurch in die Verschuldung gedrängt oder kriminell werden. Zudem werde eine Integration in den Arbeitsmarkt erschwert. Dies hat eine Studie des
Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit ergeben. Das Gesetz sieht vor, bei Verweigerung einer zumutbaren Tätigkeit oder eines Ein-Euro-Jobs die Unterstützung für drei Monate zu streichen. Damit bliebe nicht einmal das Existenzminimum. Die Betroffenen könnten Lebensmittelgutscheine beantragen, hätten aber keinen Anspruch darauf. Bei einem erneuten Verstoß würden Wohn- und Heizkosten nicht mehr erstattet. Die Bundesanstalt für Arbeit will trotz der Kritik an den Sanktionen festhalten. LEU

Schufa-Auskunft künftig kostenlos
Seit April können Bürger einmal jährlich bei Auskunfteien wie der Schufa kostenlos die Einschätzung ihrer Kreditwürdigkeit überprüfen und gegebenenfalls korrigieren. Wie wichtig diese Selbstauskunft ist, zeigt eine Studie von 2009: Fast 45 Prozent der gespeicherten Daten waren nicht vollständig oder fehlerhaft. LEU

Mindestlohn für Pflegekräfte gefährdet
Der neue Mindestlohn in der Pflege kann möglicherweise erst ab 1. August in Kraft treten. Das teilte das Arbeitsministerium auf Nachfrage mit. Verantwortlich für die mögliche Verzögerung ist Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Er hatte eine Befristung der Regelung, die ursprünglich zum 1. Juli wirksam werde sollte, bis 2011 gefordert. Der nun ausgehandelte Kompromiss sieht eine Laufzeit bis Ende 2014 vor. Die Pflegekommission hat eine Lohnuntergrenze für Hilfskräfte von 8,50 Euro die Stunde in West- und 7,50 Euro in Ostdeutschland ausgehandelt. Anfang 2012 und Mitte 2013 soll der Lohn um jeweils 25 Cent steigen und dann bei 9 beziehungsweise 8 Euro stabil bleiben. In der Pflegebranche arbeiten 800.000 Beschäftigte, 2,25 Millionen Menschen sind auf ihre Hilfe angewiesen. LEU/UJO

Schutz für Schuldner verbessert
Wer Schulden hat, kann sich vom 1. Juli an ein „Pfändungsschutz-Konto“ einrichten lassen und seine Einkünfte so vor Zugriffen von Gläubigern schützen. Das sogenannte P-Konto sei „ein großer Schritt in die richtige Richtung“, so Matthias Brömmel von der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung Hamburg. Bislang bekommen Betroffene immer wieder Probleme, weil Gläubiger ihnen Geld wegpfänden, obwohl sie dieses zum Leben brauchen. Das neue Gesetz, das noch von der Großen Koalition auf den Weg gebracht wurde, ermöglicht das P-Konto aber nur Menschen, die bereits ein Girokonto bei einer Bank haben. Die Hamburger Sparkasse erklärte entsprechend auf Nachfrage von Hinz&Kunzt: „Diese Regelung betrifft bestehende Girokonten.“
Vor allem Menschen mit Schulden haben oft Probleme, ein Girokonto bei einer Bank zu eröffnen. Die Ablehnung erfolgt meist aus vorgeschobenen Gründen, da die Geldinstitute sich in einer Erklärung dazu verpflichtet haben, jedem ein Konto einzurichten, der es wünscht. Schuldnerberater fordern deshalb weiterhin, das Recht auf ein Girokonto gesetzlich festzuschreiben. UJO
Mehr Infos unter www.lag-sb-hh.de/p-konto

Niederlage für Fluggastkontrolleur
Rund 6200 der 7000 Sicherheitskontrolleure an deutschen Flughäfen arbeiten für private Sicherheitsfirmen, werden aber deutlich schlechter bezahlt als ihre Kollegen im öffentlichen Dienst. Das Arbeitsgericht Bremen hat mit Urteil vom 27. April die Musterklage eines Fluggastkontrolleurs abgewiesen, der die gleiche Bezahlung fordert. Der Klägervertreter kündigte Berufung an. LEU

Urteil gegen Lohndumping
Ein Stundenlohn von sechs Euro brutto für eine Fachverkäuferin im Einzelhandel ist sittenwidrig, wenn sie den Laden faktisch allein führt, entschied das Arbeitsgericht Leipzig (Az: 2 Ca 2788-709). Es gab der Klägerin Recht, die auf 8,50 Euro pro Stunde geklagt hatte. Das entspricht zwei Dritteln des Tariflohns in Sachsen von 12,34 Euro. LEU

Ausgang mit Porgy und Mandy

Einen Hund und doppelt verglaste Fenster, mehr braucht man nicht im Münchhausenweg in Flughafennähe

(aus Hinz&Kunzt 152/Oktober 2009)

Unverhohlenes Misstrauen: „Wollen Sie uns auch aufschreiben?“, fragt Gertrud, und Georg hält die Leine von Hund Porgy etwas fester. Vor ein paar Tagen stand schon mal ein Fremder mit Notizblock vor ihnen – 35 Euro hat die Begegnung gekostet.

Endstation für Sir Alfred

Seit 1988 harrt ein Iraner auf einem Pariser Flughafen aus – Vorlage für den Steven-Spielberg-Film „Terminal“

(aus Hinz&Kunzt 142/Dezember 2004)

Da sitzt er also vor mir aus Fleisch und Blut. Eher müsste ich sagen: aus Haut und Knochen. Eingefallene Wangen, ein schütterer Schnauzbart, ein unendlich müder und mitunter abwesender Blick. Kein Vergleich mit dem jung und knackig wirkenden Tom Hanks im Film „Terminal“ von Steven Spielberg. Wir befinden uns auch nicht am John F. Kennedy Airport in New York, sondern im Untergeschoss des Aéroport Charles de Gaulle in Roissy bei Paris. Und der wichtigste Unterschied: Dies ist kein Film, sondern das wirkliche Leben.

Nachtschicht

Wenn andere schlafen oder feiern, gehen sie zur Arbeit

(aus Hinz&Kunzt 121/März 2003 – Die Jugendausgabe)

22.20 Uhr

Flughafen – Terminal 4 – Gepäckermittlung

Seit 15 Uhr sitzt sie schon am Schalter. Nele spürt ihr Blut in den Adern pochen. Wenn sie Kopfschmerzen hat wie heute, findet sie das Licht unerträglich.

In der Gepäckhalle herrscht die Ruhe vor dem Sturm. Zwei Reinigungskräfte verputzen schwatzend ihre mitgebrachten Stullen. Ihr Lachen hallt durch den leeren Raum. Die Drehtür wird in Bewegung gesetzt. Im Nu wird die Stille von Gemurmel und Gemecker und klappernden Absätzen übertönt. Nele greift nach dem Stift und streicht den nächsten Flug auf der Liste durch. „Das ist meine kleine Neurose. Besonders abends, wenn nicht mehr viel zu tun ist.“ Ein sichtlich überforderter älterer Herr steht vor dem Tresen der Gepäckermittlung. „Mein Gepäck ist nicht aus Amsterdam angekommen!“ Nele lächelt. „Das kriegen wir schon wieder hin. Mit welcher Fluggesellschaft reisen Sie?“

Von ihren Kopfschmerzen ist nichts zu merken. Die 25-Jährige hat sich mit ihrer Aufgabe im Bereich Gepäckermittlung arrangiert: Verluste und Schadensfälle und damit genervte Fluggäste gehören zur Tagesordnung. „Hier kommt keiner, um sich für seinen schönen Flug zu bedanken.“ Schon gar nicht tagsüber, wenn die gestressten Geschäftsleute mit ihren nervtötenden Handys durch die Halle rasen. Das ist ein positiver Aspekt der Spätschicht. Doch Nele ist dafür momentan nicht zu begeistern. Gähnend blickt sie auf die Uhr.

„Normalerweise gehe ich um diese Zeit ins Bett. Hier kann ich nicht schon mal meine Pyjamahose anziehen.“ Um Mitternacht ist ihr Arbeitstag voraussichtlich zu Ende, bei verspäteten Maschinen erst eine Stunde später. Der Flughafen wirkt dann wie ausgestorben. „Wir haben dann alles für uns. Manchmal singen und steppen wir über die Pier.“

0.47 Uhr

St. Pauli – Nightcruiser

180 Beats per Minute wummern aus den Boxen. Tausend kleine Lämpchen blinken im Takt der Techno-Sounds. Im Bus ist kein Sitzplatz mehr frei, doch die meisten kümmert es wenig. Sie drängen sich im hinteren Teil des Busses und wippen mit den Beats. Dort ist die Musik am lautesten. Und dort steht die Bar. Viele sind Stammgäste, kennen sich gegenseitig und kennen Ronny, den Busfahrer. Sechsmal fährt er heute die Tour von den Lan-dungsbrücken über den Kiez bis zum Rathausmarkt.

„Ich hab Spaß an meiner Arbeit“, schwärmt Ronny und legt eine neue CD ein. Die Musik für den Bus hat er selbst zusammengestellt. Seit der Geburtsstunde des Nightcruisers vor drei Jahren sitzt der „Hobby-DJ auf Rädern“ Freitag und Samstag nachts hinter dem Steuerrad. „Das ist ein ganz anderes Busfahren. Es sind jüngere Leute im Bus, man lernt sich viel besser kennen!“

Der blinkende Bus rollt durch die leeren Straßen. Keine Staus, keine Autoschlangen vor roten Ampeln, nur ein paar Taxis sausen durch die Innenstadt. Innerhalb der Woche arbeitet der 32-Jährige mittlerweile auch nur noch in der Spätschicht. „Ich bin nicht so der Typ, der gern früh aufsteht!“ Dreieinhalb Runden hat er noch abzufahren, dann geht es zum Betriebshof. Manchmal ist er dann froh, dass alles vorbei ist, dass er seine Ruhe und seinen Schlaf haben kann. Ans Aufhören wird er jedoch nie denken.

3.37 Uhr

Lerchenstr. 82 – Polizeikommissariat 16

Stille auf der Wache. Die grauen Vorhänge sind zugezogen, die Kollegen sind fast alle auf Streife, das Telefon steht still. „It’s like raiaaaain…“, seufzt Alanis Morissette durch das Radio. „Meldung an PK 16“ tönt es plötzlich über den Polizeifunk. Im Nu schiebt sich Sandra auf ihrem blauen Drehstuhl gen Schreibtisch und drückt einen der vielen Knöpfe vor sich. „16 hört“, antwortet sie. „Wir brauchen zwei Abschlepper in die Bernstorffstraße“, meldet ihr Gegenüber. Die 23-Jährige ist heute für den Dienst auf der Wache eingeteilt worden. Lieber fährt sie jedoch im Streifenwagen mit, „da vergeht die Zeit schneller.“ Diese Nacht gab es viele Ruhestörungen, zwei Vermisstenanzeigen und eine Anzeige wegen Einbruchs.

Heute ist eine ruhige Nacht. Für Sandra kein Grund zur Müdigkeit. „Ich bin eher ein Nachtmensch. Außerdem habe ich ja nicht jeden Tag Nachtdienst. Das geht schon“, sagt sie lächelnd. Sandra hat ihre dreijährige Ausbildung zur Polizistin im gehobenen Dienst im April abgeschlossen. Der Schichtdienst hat sie dabei nie gestört. „Das wäre der letzte Grund gewesen, warum ich nicht zur Polizei gegangen wäre.“

5.22 Uhr

Hafen – Fischmarkt

Früher hat er mal Pizza verkauft. Seit acht Monaten hat Kambiz andere Arbeitszeiten. Heute ist er um 2 Uhr in Berne losgefahren. Zwei Stunden später hat er angefangen, den Fisch am Tresen auszulegen. An die Nachtarbeit hat Kambiz sich gewöhnt. „Für Geld mache ich alles!“, sagt er augenzwinkernd. Seine großen, orangefarbenen Handschuhe greifen in eine Styropor-Schachtel mit der Aufschrift „Tip-Top Fiske Industri Denmark“.

Jede Scholle wird fein säuberlich einzeln auf dem Fischstapel ausgebreitet. „Kommse her, kommse ran“, schreit der gebürtige Iraner in perfektem Hamburgisch den ersten Marktbesuchern zu. Ihm ist nicht anzumerken, dass er die Nacht durchgemacht hat. Beim Arbeiten wird er eigentlich nie müde. „Der Fischmarkt ist das Beste“, schwärmt er, während er Deko-Plastikobst auf die ausgebreiteten Meeresfrüchte plumpsen lässt. „Da kann man Scherze machen, Leute kennen lernen…, es sind auch schöne Chicas hier.“ Für die weibliche Welt hat der 27-Jährige ohnehin viel übrig. Wenn er mal wieder unpünktlich zum Dienst erscheint, hat er entweder die Bahn verpasst oder aber eine Frau kennen gelernt.

Kathi Mohr