Der ehemalige Haftanstaltsleiter und heutige Rechtsanwalt Thomas Galli will Gefängnisse abschaffen. Warum fordert er das, und wie soll das gehen?
Hinz&Kunzt: Herr Galli, die meisten Menschen kennen Gefängnisse nur aus Filmen. Wie ist das Leben dort tatsächlich?
Thomas Galli: Zumindest an der Oberfläche nicht so spannungsgeladen. Es herrscht eher eine lethargische, gedrückte Stimmung, mit immer gleichen Abläufen und Routinen, nicht sehr lebendig. Viele Außenstehende haben auch eine falsche Vorstellung davon, wer in Haftanstalten landet: Da sitzen nicht vor allem Totschläger und Vergewaltiger, sondern überwiegend Menschen, die wegen Vermögensdelikten ins Gefängnis müssen. Und sehr viele – 50.000 pro Jahr –, die zu Geldstrafen, etwa wegen Schwarzfahrens, verurteilt wurden und in Haft müssen, weil sie diese nicht bezahlen können.
Sitzt in den Gefängnissen also vor allem die schlecht ausgebildete Unterschicht?
Das Gefängnis ist kein Querschnitt der Gesellschaft. Ärzte und Topmanager sind selten. Die absolute Mehrheit stammt aus prekären sozialen Verhältnissen. Das ist ja auch eine Kritik am heutigen System: dass es soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit verschärft. Menschen mit wenig Geld und ohne Lobby können sich viel schwerer verteidigen. Und Staatsanwälte und Richter kommen aus ganz anderen Welten als sie.
Sie haben viele Jahre lang Haftanstalten geleitet und sagen heute: „Gefängnisse nützen niemandem.“Wie kommen Sie darauf?
Es ist nicht sinnvoll, mehrere Hundert meist jüngere Männer gemeinsam in einer geschlossenen Anstalt einzusperren. Das weckt vor allem Aggression und Frustration. Und das reißt sie heraus aus ihren sozialen Bezügen. Wir erreichen damit das Gegenteil von dem, was wir wollen: die Täter richtig zu sozialisieren. Die meisten haben große Probleme, mit Sucht, mit Arbeit, im Beziehungsbereich. Wir müssen diese Menschen stärken, damit wir die Chance vergrößern, dass sie nicht weiter oder wieder straffällig werden. Nur den wirklich gefährlichen Menschen sollten wir weiterhin die Freiheit entziehen.