Seemannsmission : „Seenotrettung ist ein Gebot der Menschlichkeit“

Die Schwimmweste in der Seemannsmission Altona erinnert an eine Rettungsaktion aus dem Jahr 2006. Foto: ATW

Wer darf Flüchtende auf dem Mittelmeer in Sicherheit bringen? Während Politiker um Zuständigkeit streiten, zeigt die Hamburger Seemannsmission Haltung und fordert Freiheit für Seenotretter.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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In der Seemannsmission Altona steht eine Rettungsweste auf der Fensterbank. „The Baywatch Crew“ steht darauf, dazu eine lange Reihe von Namen: die Besatzung der MT Seadevil, die im Juni 2006 rund zwanzig Flüchtende vor dem Ertrinken aus dem Mittelmeer rettete. „Die Weste steht symbolisch für den einen Menschen, der nicht lebend gerettet werden konnte“, erzählt Mona Rentsch, die ihren Bundesfreiwilligendienst in der Seemannsmission leistet.

Nach wie vor ertrinken Menschen auf der Flucht auf dem Meer. Doch heute müssen Retter mit Strafen rechnen – wie Pia Klemp, die Kapitänin des Schiffs Iuventa, die zurzeit auf ihren Prozess wartet. Weil sie Geflüchtete rettete und nach Lampedusa brachte, drohen ihr 20 Jahre Haft. Wie es für Carola Rackete weitergeht, die trotz Verbots der italienischen Behörden ein Schiff mit Geretteten in den Hafen von Lampedusa steuerte, ist noch offen. Ihr droht ein Gerichtsprozess in Italien, der Vorwurf: Beihilfe zur illegalen Einwanderung.

Der Hamburger Seemannsclub Duckdalben hat dazu eine klare Meinung: „Wir fordern Freiheit für die Seenotretter*innen.“ Seenotrettung sollte selbstverständlich sein, erklärt Jan Oltmanns, Diakon und Leiter des Seemannsclubs Duckdalben, im Gespräch mit Hinz&Kunzt. „Jeder Seemann kann sich vorstellen, selber in Seenot zu geraten“, sagt er. In so einer hilflosen Situation allein gelassen zu werden, sei ein quälender Gedanke.

Jan Oltmanns, Diakon im internationalen Seemannsclub Duckdalben, spricht sich für Seenotrettung aus. Hier auf einem Archivbild von 2013. Foto: Mauricio Bustamante

Wer im Mittelmeer unterwegs ist, muss immer wieder damit rechnen, das Sterben aus nächster Nähe mit ansehen zu müssen. „Das Problem bei den großen Containerschiffen ist, dass die Seeleute helfen wollen, aber nicht helfen können“, erklärt Jan Oltmanns. „Die haben so hohe Bordwände, dass sie die Menschen oft nicht an Bord kriegen.“ Manchmal versuchen sie es trotzdem. „Aber wenn die Leute entkräftet sind und es nicht schaffen, da hoch zu klettern, fallen sie und gehen unter vor den Augen der Menschen die versuchen, sie zu retten.“

Zudem fehle es den Schiffen an Kapazität, um Gerettete an Bord aufzunehmen und zu versorgen. Denn trotz ihrer Größe fahren die Containerriesen meist nur mit rund 20 Mann Besatzung. „Da ist die Möglichkeit zu helfen unheimlich klein. Und wenn sie dann mitbekommen, dass niemand sonst hilft – das macht was mit den Seeleuten.“

„Seeleute springen selber über Bord und begehen Suizid, weil sie es nicht mehr aushalten.“– Jan Oltmanns, Seemannsdiakon

Im Duckdalben selbst kreisen nur wenige Gespräche um das Sterben der Flüchtenden auf See. „Bei uns herrscht eher das Gefühl: Ich habe jetzt endlich  Landgang und will mit dem Thema gerade mal nichts zu tun haben“, sagt der Diakon. Auch in der Seemannsmission Altona sind viele froh, Abstand nehmen zu können.

Anders sieht es in den Standorten an der Mittelmeerküste aus: Dort handelten die allermeisten Gespräche zwischen Seeleuten und Seelsorgern von traumatisierenden Begegnungen mit Schiffbrüchigen. „Laut meinem Kollegen aus Alexandria geht das so weit, dass Seeleute selber über Bord springen und Suizid begehen, weil sie es nicht mehr aushalten“, berichtet Jan Oltmanns.

Die Hilflosigkeit der Helfenden erlebt auch er als Seelsorger, wenn ein Gast das Gespräch sucht. „Ich kann nur Verständnis äußern“, sagt der Diakon. „Und kann mich mit dem Seemann zusammen darüber aufregen, dass nicht viel mehr von den Leuten geholfen wird, die es können.“

Effektive und rechtlich klar geregelte Rettungsmissionen gab es ja bereits – von staatlicher Seite. „Was mich unglaublich beeindruckt hat: Als die deutsche Marine zum Retten aufgebrochen ist. Weil die Schiffe wie die ‚Berlin‘ haben, wo es gar kein Problem ist, hunderte von Leuten zu versorgen“, sagt Oltmanns. „Da müssten wir wieder viel mehr machen.“

Hamburg soll Schiffbrüchige aufnehmen

Inzwischen hat sich der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) bereit erklärt, gerettete Bootsflüchtlinge in der Stadt aufzunehmen. Der Senat habe dem Bundesinnenministerium das schriftlich mitgeteilt, erklärte er im im Hamburg Journal des NDR. Das Ministerium kann dann beantragen, dass die Geretteten nach Hamburg geschickt werden. Flüchtlingsschiffe in sichere Häfen zu bringen, sei humanitäre Pflicht, sagte Tschentscher. Eine gezielte Aufnahme von Flüchtenden, die aus Seenot gerettet wurden, gab es in Hamburg zum ersten Mal im November 2018. Auch Bremen und Berlin haben sich bereiterklärt, als „sichere Häfen“ gerettete Schiffbrüchige aufzunehmen.

Doch wie kommen die Menschen dort an? Die Lücke, die das Ende der EU-weiten Marine-Hilfseinsätze hinterlassen haben, füllen nun private Seenotretter  – auf eigenes Risiko.

Autor:in
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein schreibt als freie Redakteurin für Politik, Gesellschaft und Kultur bei Hinz&Kunzt - am liebsten über Menschen, die für sich und andere neue Chancen schaffen.

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