Kolumnistin Nele Gerber möchte ihr Insektenhotel nicht mehr missen.
Ich habe ein Insektenhotel auf meinem Balkon. First Class würde ich sagen: aus Schilfhalmen mit unterschiedlichem Durchmesser, damit mehrere Wildbienenarten ihre Brut darin einquartieren können. Regensicher aufgehängt, um das Schimmelrisiko zu minimieren. Die Schilfröhrchen schön glatt, damit zarte Flügelchen keinen Schaden nehmen. Und das Beste ist: Ich nehme keine Miete für die Zimmer.
Trotzdem wollte niemand bei mir einziehen. Vielleicht muss ich meinen Balkon stärker begrünen, dachte ich. Ich wählte Pflanzen, die bienenfreundlich sind und zu unterschiedlichen Zeiten des Jahres blühen. Und siehe da: In diesem Frühling ließen sich erstmals Gehörnte Mauerbienen blicken. Es war eine Freude, den fleißigen Weibchen dabei zuzusehen, wie sie Eier in die Schilfröhrchen legten und Letztere nach getaner Arbeit mit einem Pfropfen aus Sand und Lehm versiegelten. Im kommenden Frühjahr würde ich begeistert erleben, wie der erwachsene Nachwuchs mit dem leuchtend orangenen Hinterleib ins Leben hinausfliegt.
Doch dazu wird es nicht kommen. Vor meinen Augen geschieht ein Massaker!
Zuerst sah ich zerkrümelte Pfropfen auf dem Balkonboden liegen. Natürlich dachte ich sofort an einen Vogel, der sich an meinen Bewohnenden vergreift. Dann aber wurde ich Zeugin, wie ein geflügeltes Insekt, schwarz-gelb gestreift wie eine Wespe, an einem verschlossenen Röhrchen landete. Leider lag meine Brille mal wieder irgendwo und ich hatte Angst, das Schauspiel komplett zu verpassen, wenn ich die jetzt suchen würde. Also kann ich nur verschwommen davon berichten, wie das Wesen in den Lehm biss und die dadurch entstandenen Bröckchen mit den Vorderbeinen wegschaufelte – bis nichts mehr die Mauerbieneneier vor dem Draußen schützte. Inzwischen wurden all ihre Hotelzimmer gekapert. Statt mit grauem sind die Röhrchen nun mit einem grünlichen Pfropfen verschlossen.
Zunächst konnte ich mangels Sichtschärfe die Mörder nicht bestimmen. Egal, dachte ich. Denn auch die Eier dieser Art werden vermutlich nie zum flugfähigen Insekt reifen. Neuerdings macht sich nämlich eine Schlupfwespe am Hotel zu schaffen. Lang und dünn ist sie, rötliche Beinchen. Gelenkig reckt sie zunächst ihren Hinterleib in die Luft, um dann einen rund vier Zentimeter langen Legebohrer in ein Röhrchen einzuführen. Eine hübsche grün-orangene Goldwespe habe ich auch schon gesehen. Ebenfalls ein Parasit, der seine Eier zum Beispiel in die Nester von Faltenwespen legt. Das jedenfalls habe ich im Internet gelesen. Und hier schließt sich der Kreis: Faltenwespen sind schwarz-gelb gestreift, wie mir Fotos zeigten. Und sie erinnern mich verdammt an das unscharfe Bild der Mauerbienen-Mörder!
Das Bundesnaturschutzgesetz verbietet es, die Nester der geschützten Mauerbiene zu beschädigen oder zu zerstören. Aber ich verrate die Wespen nicht. Denn was sich auf meinem Balkon abspielt, ist spannender als jeder Krimi. Eine Ersatzbrille für scharfen Durchblick liegt nun jedenfalls immer bereit.
