Bullauge, sei wachsam!

Besuch in der umstrittenen Schifffahrtsausstellung von Peter Tamm, die bis 2007 zu einem öffentlichen Museum werden soll

(aus Hinz&Kunzt 153/November 2005)

Elbchaussee 277, Nähe Jenischpark. Auf den Klingelschildern der weißen Villa steht nur „Wissenschaftliches Institut“. Nichts deutet darauf hin, dass sich im Haus eine der größten und wertvollsten Schifffahrtssammlungen der Welt befindet.

Für 17 Uhr sind wir angemeldet: Die Hinz&Kunzt Redaktion will das Lebenswerk von Peter Tamm kennen lernen. Tamm gehörte als Vorstand des Springer-Verlages zu den bestbezahlten Managern Deutschlands. Sein Leben lang hat der 77-Jährige Maritimes gesammelt: 26.000 Schiffsmodelle, 5000 Gemälde und Zeichnungen, 40.000 Konstruktionspläne, Bücher ohne Ende. Ausstellungsstücke vom historischen Knochenschiff bis zum Bord Aschenbecher, vom Admiralsstab des Hitler-Nachfolgers Dönitz bis zu Briefen Admiral Nelsons stapeln sich im Haus, sodass zwischen den Vitrinen nur schmale Gänge bleiben. Nun soll aus Tamms privater Sammlung ein öffentliches Museum werden. Die Bürgerschaft hat dafür den Kaispeicher B in der HafenCity und 30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Grund genug, das Vorhaben mal genauer zu betrachten. Bullauge, sei wachsam!

Wir haben noch etwas Zeit, spazieren ums Haus herum und stehen auf einem Kiesplatz mit wunderbarem Blick auf die Elbe. Um uns herum ist einige Feuerkraft versammelt: historische Kanonen, graue Geschütztürme, ein Torpedoboot der Nationalen Volksmarine der DDR. Will der Peter Tamm von hier oben die Elbe kontrollieren? Oder die Airbus-Werft auf dem anderen Ufer ins Visier nehmen? Über der Waffenparade flattert sein Familienwappen. Zum Schießen, dieser Empfang.

Nach der martialischen Begrüßung geht es drinnen kultiviert weiter. Uns empfängt die Kunsthistorikerin Russalka Nikolov, Geschäftsführerin von Tamms Wissenschaftlichem Institut. 30.000 Besucher pro Jahr melden sich an, um die Sammlung zu besichtigen. Darunter waren offenbar auch „feindliche U-Boote“. Kritiker, die hinterher auf die vielen Militaria hinwiesen; die sich über die fehlende Darstellung der maritimen Sozialgeschichte beklagen, dass man nichts erfahre über die Arbeitsbedingungen auf See, damals wie heute; die vor allem die NS-Relikte fotografieren und nicht die Tankermodelle. Und die fragten, ob das Museum später genauso aussehen soll. „Natürlich nicht!“, sagt Russalka Nikolov mit bebender Stimme. „Schmutzige Methoden“ würden die Kritiker anwenden, fügt sie hinzu. Auf Fotos im Internet seien kahlköpfige Männer zu sehen, die – scheinbar in Tamms Sammlung – Bilder betrachten. Nikolov empört: „Als hätten wir Skinheads im Haus“.

Aber das ist nicht das Niveau von Friedrich Möwe. Unter diesem Pseudonym hat ein bislang Unbekannter ein kenntnisreiches kritisches Werk über den Sammler, seine Kollektion und das geplante Museum verfasst (siehe Interview). Die Broschüre „Tamm-Tamm“, im Frühjahr erschienen, ist mittlerweile die Bibel der Kritiker. Sie trägt den Untertitel „Anregung zur öffentlichen Diskussion“. Und die ist seitdem mächtig in Schwung gekommen. Jeder der 121 Bürgerschaftsabgeordneten hat zum Beispiel die Broschüre zugeschickt bekommen – von ebenso vielen Künstlern und Kunstinteressierten, die mit den Parlamentariern über das geplante Museum ins Gespräch kommen wollen. Gelebte Demokratie.

Noch im Treppenhaus warnt Geschäftsführerin Nikolov: Die Sammlung sei kein Museum und sollte es bisher auch nicht sein. Nichts sei beschriftet, nichts erklärt. Wir passieren meterlange Modelle von Seenotrettungskreuzern, historische Plakate von Schifffahrtslinien, Gemälde von niederländischen Meistern, zwei der ältesten Schiffsmodelle der Welt (erbaut Mitte des 17. Jahrhunderts), ein Original-Schilfboot vom südamerikanischen Titicacasee.

An einer Vitrine mit schweren Metallringen will die Kunsthistorikerin einen Vorwurf entkräften: „Es wird gesagt, wir würden die Sklaverei nicht zeigen – hier ist Sklavengeld.“ Der Wert der Ringe sei einst beim Verkauf der Menschen mitgerechnet worden. „Das muss natürlich inszeniert werden“, so Nikolov mit Blick auf die künftige Ausstellung.

Einige Räume weiter, vor Baggerschiff-Modellen, betont Nikolov: „Wir stellen auch die Arbeits- und Sozialgeschichte dar.“ Eine Reaktion auf die Kritik an der Sammlung? „Nein, das war schon immer geplant.“ Und damit auch die Tierschützer zufrieden sind (die noch gar nicht protestiert haben), sagt sie vor der Walfang-Vitrine ungefragt: „Walfang wird auch ganz kritisch dargestellt.“

Schiffsmodelle, wohin das Auge blickt. Tamm hat im Schiff das Symbol seines Lebens gefunden. Er hat gesammelt, seit er sechs Jahre alt war, mit Energie und Leidenschaft, mit einem inneren Auftrag, mit Besessenheit und Ausschließlichkeit. „Können Sie noch?“, fragt Frau Nikolov und schreitet munter voran.

Jetzt ist der Sammler 77. Da wird es Zeit, sein Schiff zu bestellen. Seit Jahren haben Hamburger Bürgermeister – Voscherau, Runde, von Beust – darauf gedrängt, dass Tamms Sammlung in Hamburg bleibt. Es gab Abwerbeversuche, zum Beispiel aus Kiel. Bis in Hamburg der Kaispeicher B gefunden war. Er wird als Baudenkmal erhalten, und Tamm stiftet seine Sammlung. Dafür darf er, solange er lebt, das letzte Wort über die Ausstellung haben.

Am Treppenaufgang ein Porträt des Konvoischiffkapitäns Martin Tamm, den Peter Tamm bisher für seinen Vorfahren hielt. Der Autor der Broschüre „Tamm-Tamm“, Friedrich Möwe, wies jedoch nach: Das ist unmöglich, weil dieser einst kinderlos starb. Und außerdem sei jener Martin Tamm keiner, auf den man als Vorfahr stolz sein könne, denn er habe als Kapitän Waren unterschlagen. Nikolov räumt ein: „Da hat Herr Möwe weiter recherchiert als Herr Tamm.“ Und fügt an, für die Geschäftsführerin eines wissenschaftlichen Instituts vielleicht etwas zu leichtfertig:„Aber das ist ja auch egal.“

Im ersten Stock erreichen wir den Raum der deutschen Marine, vom Ersten Weltkrieg bis zur Bundeswehr; Modelle, Fotos, Gemälde. Eines zeigt den Untergang der „Bismarck“ im Mai 1941, grob und dilettantisch gemalt; von den wenigen, die übrig blieben, nachdem sie gehorsam ihr Schiff versenkten, statt sich zu ergeben. Und die das Bild der Witwe des Kapitäns schenkten. Ein groteskes Beispiel für männlichen Größenwahn – wenn man die Hintergründe erfährt.

„Mich interessieren die menschlichen Schicksale“, sagt Nikolov. „Entscheidend ist, wie das dargestellt wird.“ „Ganz modern“ werde es später präsentiert, jede Etage eine Erlebnisausstellung, mehr wolle sie jetzt nicht verraten. Allein die Flächenplanung beweise aber, dass das Maritime Museum keine Militaria-Kultstätte werden könne. 600 von 11.500 Quadratmetern seien für die Marinen der Welt eingeplant, nicht einmal nur für die deutsche.

Im ersten Stock erreichen wir die mit dunklem Holz vertäfelte „Schatzkammer“. Schiffsmodelle aus Tierknochen, die Franzosen in englischer Kriegsgefangenschaft während der Napoleonischen Kriege gebaut haben. Schiffe aus Silber, aus Bernstein, aus Elfenbein.

Dagegen wirkt das U-Boot-Modell einige Räume weiter, dessen silberner Torpedo als Zigarrenspender dient, etwas makaber. Es ist ein Geschenk des Springer-Blattes „Hörzu“ an den Vorstandschef Tamm. Um U-Boote im Zweiten Weltkrieg geht es in einem anderen Schaukasten. Wir lesen auf einem Teller: „Im Andenken an die unvergänglichen Heldentaten von U 9 und U 29“ und sehen auf einer samtbezogenen Platte die NS-Orden des U-Boot-Kommandanten Reinhard Suhren.

Weiter geht’s in die „Herrenbekleidungsabteilung“ im zweiten Stock: eine Großvit-rine mit rund 50 Marine Uniformen von der Kaiserzeit bis 1945. Die Uniform und die Orden des Großadmirals Tirpitz haben eine eigene Vitrine. Schließlich stehen wir vor den vier Großadmiralsstäben von Prinz Heinrich, Holtzendorff und – mit Hakenkreuzen verziert – von Dönitz und Raeder. Und fragen uns, warum jemand so etwas sammelt und hinter Glas legt.

Wir sehen Waffen vom Steinzeitbeil über Zierdegen bis zur Kalaschnikow und sind schon etwas müde, als wir bei den Schiffsmodellen im Maßstab 1 zu 1250 ankommen – es sind Tausende. Manche nutzte die Wehrmacht, um Schiffserkennung aus der Luft zu üben. Bei den Ölbildern oben im Treppenhaus verrät uns Russalka Nikolov noch ihren Traum: eine Ausstellung mit Seestücken – gemaltem Meer –, ergänzt durch Lyrik und Musik.

19.45 Uhr, es ist längst dunkel, als wir nach fast drei Stunden Kreuzfahrt durch die Ausstellung die weiße Villa verlassen. Bis 2007 soll aus der Sammlung ein Museum geworden sein, mit klug ausgewählten Exponaten, lehrreich präsentiert. Das Instituts-Team um Nikolov schreibt derzeit noch am Konzept, unterstützt von externen Beratern. Im Januar soll es im Kulturausschuss vorliegen.

Da ist also noch viel zu tun. Aber das kann wohl einen Seemann nicht erschüttern. „Wir arbeiten rund um die Uhr“, sagt Russalka Nikolov, bevor sie in ihr Büro zurückkehrt.

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