Geplante Sozialreform

Bürgergeld-Totalsanktionen haben keinen Effekt

Ein Mann im dunkelblauen Anzug mit rot-weiß gemusterter Krawatte steht am Rednerpult des Bundestags
Ein Mann im dunkelblauen Anzug mit rot-weiß gemusterter Krawatte steht am Rednerpult des Bundestags
Macht oft Stimmung gegen Bürgergeld-Empfänger:innen: Bundeskanzler Merz. Foto: Bundesregierung/Sandra Steins

Studie zeigt: Bürgergeld komplett zu streichen hat „keine verhaltenslenkende Wirkung“. An welcher Stelle die Diakonie stattdessen Reformbedarf sieht.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Wie viele Menschen in Deutschland Bürgergeld beziehen und sich beharrlich weigern, eine vom Jobcenter vermittelte Arbeit anzunehmen, wird rege diskutiert. Eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt nun: es dürften sehr wenige sein.

Aus Zahlen der Bundesagentur für Arbeit schlussfolgert das Institut, dass die wegen Totalverweigerung von Jobcentern verhängten Sanktionen zwischen April 2024 und Juni 2025 wohl deutlich weniger als 100 Menschen betrafen. „Dies ist eine sehr geringe Zahl angesichts von mehr als fünf Millionen Personen, die im Laufe des Jahres 2024 zumindest vorübergehend zur Gruppe der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten gehörten“, heißt es im Bericht des zur Bundesagentur für Arbeit gehörenden Forschungsinstituts.

Was die IAB-Fachleute der Regierung empfehlen

Untersucht wurde, wie viele Bürgergeldempfänger:innen von einer Gesetzesänderung betroffen waren, die der damalige Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf den Weg gebracht hatte. Demnach kann Menschen, die sich weigern, eine vermittelte Arbeit, eine Ausbildung oder ein gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen und bereits im Vorjahr deswegen Geld gestrichen bekamen, der Regelsatz für zwei Monate komplett gestrichen werden. Offenbar ohne den gewünschten Effekt: Die Regelung „dürfte kaum eine verhaltenslenkende Wirkung haben, die zu deutlich mehr Arbeitsaufnahmen“ führt, urteilen die IAB-Fachleute.

Dennoch will die aktuelle Bundesregierung laut Koalitionsvertrag „Mitwirkungspflichten und Sanktionen im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern verschärfen“. CDU, CSU und SPD wollen auch einen „vollständigen Leistungsentzug“ ermöglichen. Die IAB-Fachleute raten davon angesichts ihrer Untersuchung allerdings ab. Sie empfehlen stattdessen, die Leistungen eher länger zu kürzen und dafür weniger stark.

„Armut wurde immer wieder stigmatisiert“
Helena Steinhaus über Bürgergeld
„Armut wurde immer wieder stigmatisiert“
Debatten über den angeblich zu großzügigen Sozialstaat lenken von wichtigeren Fragen ab, meint Helena Steinhaus vom Verein „Sanktionsfrei“ im Interview. Das Bürgergeld hält sie für viel zu gering.

Diakonie: Viele Sozialleistungen kommen nicht bei Betroffenen an

Die Diakonie sieht den Reformbedarf bei den Sozialleistungen an anderer Stelle: Viele arme Menschen würden nicht alle Leistungen erhalten, auf die sie einen Anspruch haben, heißt es in einer aktuellen Mitteilung „Gerade bei den verschiedenen Leistungen für Familien wie Kinderzuschlag, Elterngeld, Unterhaltsvorschuss, Kindergeld und Bürgergeld verlieren Anspruchsberechtigte schnell den Überblick: Leistungen bleiben ungenutzt, Fehler führen zu Rückforderungen“, sagt Elke Ronneberger, Vorstand Sozialpolitik bei der Diakonie Deutschland. „Das schafft Folgeprobleme wie eine anhaltend hohe Kinderarmut.“

Die Diakonie schlägt deshalb vor, Leistungen nach dem Motto „ein Antrag, ein Bescheid“ zu bündeln. Dafür sollen zentrale Existenzsicherungsstellen eingerichtet werden. Außerdem müsse regelmäßig überprüft werden, ob Leistungen wirklich bei den Bedürftigen ankommen.

Artikel aus der Ausgabe:
Ausgabe 391

Armes reiches Hamburg

Wo sich Arm und Reich in Hamburg besonders nah sind, wann Väter und Söhne Händchen halten und was ein Dokumentarfilm über den Umgang mit Opfern rassistischer Gewalt erzählt.

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Autor:in
Benjamin Buchholz
Benjamin Buchholz
Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD für das Onlinemagazin.

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