Vor Penny-Markt in Rahlstedt : Brutaler Angriff auf jungen Obdachlosen

Am hellichten Tag hat ein noch unbekannter Mann den 19-jährigen obdachlosen Niculaie L. überfallen und schwer misshandelt. Das Opfer liegt im Krankenhaus.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Vergangener Mittwoch, 13.21 Uhr: Der junge Obdachlose Niculaie L. sitzt auf dem Parkplatz vor dem Penny-Markt am Hegeneck in Rahlstedt. Seit einem halben Jahr erbettelt sich der 19-jährige Rom hier ein bisschen Geld zum Überleben. Vor ihm auf dem Boden steht ein Pappbecher für Spenden, auf ein altes Kartonstück hat er geschrieben, dass er als Diabetiker auf Insulin angewiesen ist.

„Ein Wagen fuhr auf den Parkplatz, darin saßen zwei Männer und einer Frau“, sagt er. Aus dem Wagen habe laut Musik gedröhnt. Während die Frau und einer der Männer in den Supermarkt gegangen seien, habe sich der Dritte vor ihm aufgebaut. „Er hat mit der Hand gezeigt, dass ich weiter soll, weg, weg!“, sagt Niculaie.

Er beschreibt den Mann als circa 1,85 Meter groß, höchstens 30 Jahre alt, kräftig und muskulös, Glatze. Der Unbekannte habe den Pappbecher und sein Kartonschild gepackt sowie eine weiße Plastiktüte. Diese ist für Nicoalie besonders wichtig, denn darin bewahrt der Diabetiker seine Insulinampullen und sein Diabetikerbesteck auf. „Der Mann hat alles genommen und in einen Mülleimer geschmissen“, so Niculaie.

Er hat mir voll ins Gesicht geschlagen.– Niculaie
Der 19-Jährige ist schmächtig für sein Alter. Er wiegt nur 50 Kilo. Er habe die Situation noch entschärfen wollen, sagt er: „Ich habe gesagt: ‚Entschuldigung, Entschuldigung, Chef, kein Problem!’“, habe aber seine Medikamente zurück haben wollen. Das habe den Mann aber nicht interessiert. Als er gesehen habe, wie Niculaie kurze Zeit später im Müll nach seinen Sachen gesucht habe, sei er zurückgekommen.

Plötzlich sei alles ganz schnell gegangen, sagt Niculaie: „Er hat mir voll ins Gesicht geschlagen.“ Als der junge Rom versucht zu fliehen, habe der Unbekannte ihn verfolgt und ihn fünf bis sechs Mal von hinten mit voller Wucht in den Rücken und die Beine getreten. Der letzte Tritt habe ihn zwischen den Beinen getroffen. „Ich bin auf dem Asphalt gelandet. Ich hatte unglaubliche Schmerzen“, sagt er. Die Ärzte im Krankenhaus werden später bei einer Notoperation einen doppelte Fraktur des rechten Schienbeins und diverse Prellungen feststellen.

Polizei ermittelt wegen des Verdacht der gefährlichen Körperverletzung

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Niculaie L. liegt seit einer Woche im Krankenhaus. Sein rechtes Schienbein ist nach dem Überfall doppelt gebrochen. Foto: Simone Deckner

Mindestens eine Zeugin habe die Szene beobachtet. „Sie ist danach zu mir gekommen und hat mir über den Kopf gestreichelt“, sagt Niculaie. Dann habe sie sogar den mutmaßlichen Täter angesprochen, der aber auch sie angepöbelt habe, woraufhin die Frau selbst Schutz gesucht habe. Der Unbekannte wollte dann erneut auf ihn losgehen, sagt Niculaie. Erst als er sein weinendes Opfer mit verdrehtem Bein gesehen habe, sei er über den Parkplatz geflohen. Eine andere Frau, die den Überfall ebenfalls aus der Ferne beobachtet habe, sei in der Zwischenzeit in den Supermarkt gelaufen. „Nach einer halben Stunde war der Rettungswagen und die Polizei da“, so Niculaie. Wo die Insassen des Wagens zu diesem Zeitpunkt waren, könne er nicht sagen.

Polizeisprecher Andreas Schöpflin bestätigt gegenüber Hinz&Kunzt, dass wegen des Verdachts auf gefährliche Körperverletzung ermittelt werde. „Wir stehen aber noch am Anfang unserer Ermittlungen.“ Sofortige Fahndungsmaßnahmen nach dem Überfall hätten nicht zum Erfolg geführt. Weitere Zeugen würden noch in dieser Woche befragt. Der Parkplatz vor dem Penny-Markt wird nicht videoüberwacht.

Ich will nicht in Hamburg draufgehen.– Niculaie
Sieben Tage nach dem Überfall liegt Niculaie noch immer im Krankenhaus. Er hat durchgehend Schmerzen, auch wenn sie nicht mehr ganz so schlimm sind wie zu Anfang, sagt er und versucht zu lächeln. Womöglich kommen zu dem Schock über den gewalttätigen Überfall jetzt auch noch hohe Kosten auf das Gewaltopfer zu. Niculaie ist in Deutschland nicht krankenversichert, ob das rumänische Sozialamt die Kosten für seine Behandlung übernimmt, ist derzeit noch offen. „Wenn er entlassen wird, wird er wieder unter der S-Bahn-Brücke schlafen“, sagt Andrei Schwartz, der Niculaie kennt, seitdem er über die Roma in Namaesti für einen Dokumentarfilm recherchiert (Hinz&Kunzt berichtete).

Die Pendler von Namaesti
Bettler in Hamburg
Die Pendler von Namaesti
Dokumentarfilmer Andrei Schwartz besuchte zusammen mit Mitarbeiter des Vereins Hoffnungsorte und der Sozialbehörde Hamburger Bettler in ihrem rumänischen Dorf.

Niculaie will zunächst nicht mehr auf seinen Platz vor dem Penny-Markt zurück. „Ich habe Angst. Ich will nicht in Hamburg draufgehen.“ Seine Eltern teilen seine Sorge. Sie planen, mit ihrem Sohn im Oktober die Stadt zu verlassen.

Übersetzung: Andrei Schwartz

Autor:in
Simone Deckner
Simone Deckner
Simone Deckner ist freie Journalistin mit den Schwerpunkten Kultur, Gesellschaft und Soziales. Seit 2011 arbeitet sie bei Hinz&Kunzt: sowohl online als auch fürs Heft.

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