Leben als Künstler : Aus vier Metern Höhe auf die Welt schauen

Der Berufsverband Bildender Künstler (BBK) kümmert sich auch um die sozialen Probleme von Künstlern. Seine Jahresausstellung widmet sich daher passend dem Thema Macht. Mit dabei ist auch das Künstlerduo Kroko.

Lesen auf gefundenen Polstern: eine Inszenierung des Künstlerduos Kroko für  ihre Fotoserie  „abgestellt“.
Lesen auf gefundenen Polstern: eine Inszenierung des Künstlerduos Kroko für ihre Fotoserie
„abgestellt“.

(aus Hinz&Kunzt 259/September 2014)

Ob ein ganz normaler Stadtteil, in dem es vielleicht ein paar unattraktive Ecken gibt, von der Stadtentwicklung für Höheres eingeplant ist, merkt man daran, dass plötzlich Künstler auftauchen. Mit einem Mal wandeln sich leer stehende Ladenwohnungen in Ateliers und Ausstellungsräume, das Regionalfernsehen empfiehlt ihren Besuch für das Wochenende. Wenn dann das Interesse an dem Stadtteil langsam steigt, sollen die Künstler wieder verschwinden. Sollen Platz machen und weiterziehen in den nächsten Stadtteil, der ein bisschen künstlerischen Schwung braucht.

„Wir setzen uns dafür ein, dass bei den neuen Bauprojekten in dieser Stadt auch bezahlbare Atelierwohnungen eingeplant werden“, sagt dagegen Siegfried Fuhrmann vom Berufsverband Bildender Künstler, Regionalverband Hamburg, der im Kunsthaus am Klosterwall sein Büro hat. Mehr als 700 Mitglieder hat der Verband. Aufgenommen wird jeder, der eine ernsthafte künstlerische Beschäftigung nachweisen kann – das sei in der Regel ein Hochschulstudium oder der Nachweis regelmäßiger Ausstellungen. Leben könnten die Künstler von ihrer Kunst allerdings eher selten; viele würden in prekären Verhältnissen leben. Schwierig sei es etwa, eine Wohnung und ein Atelier zu unterhalten.

Die Künstlersozialkasse, bei der die allermeisten Künstler versichert sind, hat für das letzte Jahr in der Sparte Bildende Kunst bei Männern ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 16.853 Euro errechnet; bei Frauen eines von 12.375 Euro. Gewiss, das sind statistische Werte, und es wird Künstler geben, die deutlich mehr verdienen. Dafür verdienen andere dann weniger. „Es ist uns daher nicht fremd, wenn unsere Mitglieder in wirtschaftlich und auch persönlich schwierige Lebenssituationen kommen und unsere Hilfe brauchen“, sagt Fuhrmann. So gibt es etwa beim BBK eine Künstleraltenhilfe – das ist ein kleiner Fonds für Notfälle, denn viele, lange Zeit durchaus erfolgreiche Künstler, müssen im Alter ihre Rente aufstocken lassen. Passend dazu stellte der BBK Hamburg in seiner Jahresausstellung im vergangenen Jahr Werke von älteren Künstlern aus – im Alter zwischen 70 und 100 Jahren. Von wegen Künstler seien jung, frisch und ungestüm und hätten stets das Leben noch vor sich.

In diesem Jahr dagegen lautet das Thema „Macht“. „Das Thema hat die Menschheit schon immer beschäftigt, auch ist es spannend, sich mal damit zu beschäftigen, wer in unserer Stadt eigentlich bestimmt, was passiert, sowie zu dem Thema künstlerische Positionen zu entwickeln“, sagt Fuhrmann. 96 Künstler haben sich dafür mit ihren Arbeiten beworben, eine Jury hat am Ende 19 Beiträge ausgewählt. Manche hatten etwas in der Schublade liegen oder im Atelier stehen, das zum Thema ideal passte; die meisten aber haben gezielt eigene Arbeiten entwickelt. Etwa das Hamburger Künstlerduo „Kroko“, das aus Julia Konjer und Manfred Kroboth besteht. Beide arbeiten zum einen für sich, kommen aber seit 24 Jahren auch immer wieder für gemeinsame Projekte zusammen. Ein Beispiel für ihr Vorgehen: Für ihre Serie „abgestellt“ haben sie sich nach auf Trümmergrundstücken oder Brachen abgestellten Sperrmüllmöbeln umgeschaut und sich dort für je ein inszeniertes Foto häuslich eingerichtet, passend gekleidet und in Alltagssituationen.

In der kommenden Macht-Ausstellung sind sie allerdings mit einer für sie eher ungewöhnlichen Arbeit vertreten: einer Installation. „Macht haben bedeutet, in einer sozialen Hierarchie oben zu stehen und über die anderen schauen zu können. Es ist dort oben aber nicht ganz ungefährlich, denn wie das Sprichwort sagt: ‚Wer hoch steigt, fällt tief‘“, sagt Manfred Kroboth. Und so werden sie im Kunsthaus einen mobilen Hochsitz aufbauen, eine sogenannte Anlegleiter, wie sie bei der Jagd benutzt wird. Die man nicht nur mit auf dem Rücken verschränkten Händen betrachten kann, die man auch hochklettern kann – um dann vielleicht zu erleben, wie es sich in vier Meter Höhe anfühlt, nach unten zu schauen.

Text: Frank Keil
Foto: Kroko

Am Wochenende startet die Veranstaltungsreihe OFF THE RAILS im Kunsthaus Hamburg:

Sonntag, 14. September 2014, 15 Uhr: Anhand ausgewählter Werke der Jahresausstellung des BBK Hamburg sprechen Tina Oelker (Vorstand BBK) und Stefan Pertschi (Ausstellungsjury) gemeinsam mit den ausstellenden Künstlern Benjamin Appelt und Annette Meincke-Nagy über das Thema Macht. Anschließend ist das Publikum bei Tee und Gebäck herzlich zur Diskussion eingeladen.

Montag, 15. September 2014, 18 Uhr  Georges Adéagbo im Gespräch mit Stephan Köhler, moderiert von Lisa Britzger, im Rahmen des Projekts Stadtkuratorin Hamburg.

Kunsthaus Hamburg, Klosterwall 15, Ausstellung „Macht“. Eröffnung, Montag, 1. September, 20 Uhr . Öffnungs­zeiten: Di–So, 11–18 Uhr; Eintritt: 5/3 Euro