Die geplanten Verschärfungen beim Bürgergeld könnten gegen das Grundgesetz verstoßen. Arbeitsministerin Bas spricht selbst von der „Grenze dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist“.
Die Spitzen von SPD, CDU und CSU haben sich auf Verschärfungen beim Bürgergeld geeinigt und damit eine Debatte ausgelöst, ob diese gegen die Verfassung verstoßen. So soll etwa Grundsicherungsempfänger:innen, die drei Mal unentschuldigt einem Termin beim Jobcenter fernbleiben, der Regelsatz komplett gestrichen werden. Bei einem vierten verpassten Termin sollen künftig sogar die Mietzahlungen eingestellt werden – es droht also Obdachlosigkeit.
Die Zweifel, ob das alles so mit dem Grundgesetz vereinbar ist, hatte Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) am Donnerstag selbst gesät. „Wir verschärfen die Sanktionen bis an die Grenze dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist“, sagte sie bei der Vorstellung der Pläne in Berlin.
„Wir verschärfen die Sanktionen bis an die Grenze dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist.“– Arbeitsministerin Bärbel Bas
Dass diese Grenze überschritten sei, beklagt der Verein „Sanktionsfrei“, erklärter Gegner von Grundsicherungskürzungen. In einer Mitteilung sprach der Verein von einem „kalkulierten Verfassungsbruch“. Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband meint, die geplanten Regelungen würden der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts widersprechen.

Wieso Sanktionen verfassungswidrig sein können
Hintergrund ist eine Entscheidung des höchsten Gerichts aus dem Jahr 2019 zu Sanktionen, damals noch bei Hartz IV. Das Gericht hatte die zu dieser Zeit möglichen Kürzungen von mehr als 30 Prozent für verfassungswidrig erklärt. Zur Begründung erklärten die Richter:innen, es mangele an plausiblen Erklärungen, dass dadurch die Integration in den Arbeitsmarkt gefördert würde. „Durchgreifende Bedenken gegen die Eignung der Sanktion in dieser Höhe ergeben sich insbesondere daraus, dass der Verlust der Wohnung droht“, heißt es in dem Urteil.
Allerdings ging es in der Entscheidung nicht um Sanktionen aufgrund versäumter Termine im Jobcenter, sondern wegen unterlassener Mitwirkung bei der Arbeitsvermittlung. Deshalb halten die Koalitionsspitzen ihre Pläne für verfassungskonform: „Wir sind fest davon überzeugt: Das ist verfassungsrechtlich sicher“, sagte Arbeitsministerin Bas – auch, weil Totalsanktionen erst am Ende einer „Sanktionskaskade“ stünden.
Jura-Professorin findet geplante Sanktionen problematisch
Die Frankfurter Sozialrechtsprofessorin Andrea Kießling hält dagegen: „Für bloße Meldeversäumnisse kann man meiner Meinung nach nicht die Leistungen für die Unterkunft streichen und auch mit der Streichung des vollen Regelsatzes habe ich meine Probleme“, schreibt sie auf der Plattform Bluesky. Der Gesetzgeber müsse nach dem Verfassungsgerichtsurteil außerdem Studien anführen, die die Wirksamkeit der geplanten Sanktionen belegen.
Hat das Bundesverfassungsgericht 2019 entschieden, dass Sanktionen beim Bürgergeld in Höhe von 100% in jedem Fall verfassungswidrig sind? Nein. Sind die von der Regierung geplanten Sanktionen unproblematisch verfassungsgemäß? Wohl auch nein. 1/
— Andrea Kießling (@andkiessling.bsky.social) 2025-10-10T10:03:28.374Z
Der Bundestag muss den Plänen noch zustimmen.
