Vertreibung in Großstädten : Metallstachel gegen Obdachlose

Sogenannte Anti-Homeless-Spikes sorgen im Internet für Entrüstung: Mit im Boden befestigten Metallstacheln werden in London Obdachlose vor einem Luxus-Wohnhaus verjagt. Allerdings ist das keine englische Spezialität: Auch in Hamburg gibt es Methoden, mit denen Obdachlose vertrieben werden.

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Mit diesen Metallstacheln sollen die Obdachlosen vor dem Luxusbau in London vertrieben werden.

Die Vertreibung von Obdachlosen aus der Londoner Innenstadt sorgt beim Kurznachrichtendienst Twitter für großen Wirbel. Vor einem Luxus-Wohnkomplex hatte der Eigentümer zahlreiche spitze Metallstacheln im Boden angebracht. Offenbar sollte so verhindert werden, dass sich Obdachlose in der wind- und regengeschützten Ecke niederlassen. Diese brutale Form der Vertreibung hat auch in deutschen Medien für Aufsehen gesorgt.

Inzwischen formiert sich Widerstand gegen die Vertreibung der Obdachlosen in London. Eine Petition für den Abbau der Spikes fand innerhalb weniger Stunden bereits mehr als 50.000 Unterzeichner. Auch Bürgermeister Boris Johnson verurteilte dem Guardian zufolge die Maßnahme als „hässlich, selbstzerstörerisch und dumm“.

Die skandalöse Nachricht von den Anti-Homeless-Spikes hat Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer empört. Aber: „Wir erleben auch in Hamburg, dass öffentliche Plätze für Obdachlose rar werden“, sagt er. So wurde vor etwa zehn Jahren bei Peek&Cloppenburg in der Spitalerstraße eine Sprinkleranlage eingerichtet, die nachts den Eingangsbereich bewässerte. Obdachlosen wurde dadurch die Möglichkeit genommen, in dem windgeschützten Eingang Zuflucht zu suchen. Erst massive Kritik auch von Hinz&Kunzt führte dazu, dass die Anlage nach einigen Monaten wieder abgestellt wurde.

Mit Demonstrationen und täglichen Protestkundgebungen reagierten vier Jahre später die Anwohner auf St. Pauli, nachdem Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) einen Zaun unter der Kersten-Miles-Brücke aufbauen ließ. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite wurde zudem ein Flussbett angelegt, das auf die geschützte Liegefläche unter der Brücke Regenwasser  spülte. Durch diese Maßnahmen sollten die Obdachlosen von einer der bekanntesten Obdachlosen-Platten Hamburgs vertrieben werden. Der Zaun ist weg. Zurückkehren konnten die Obdachlosen allerdings nur für kurze Zeit. Denn seit einem Brand im Frühjahr 2013 blockiert ein Baugerüst die beliebte Fläche nahe der Reeperbahn. Und das Flussbett gegenüber wurde nie wieder entfernt.

Am Hauptbahnhof überließ die Stadt der Deutschen Bahn kurzerhand Sondernutzungsrechte. Menschen, die Alkohol trinkend auf dem Gelände herumlungern, werden seitdem regelmäßig vom Sicherheitspersonal vom Bahnhofsvorplatz vertrieben. Die Unterführung am Glockengießerwall, die vom Hauptbahnhof zur Spitaler Straße führte und in der stets viele Obdachlose Zuflucht suchten, wurde komplett verriegelt.

Zu diesen umstrittenen und medial viel diskutierten Maßnahmen gesellen sich weitere kleine und längst nicht so offensichtliche bauliche Veränderungen, die zur Verdrängung von armen Menschen führen. Die Umgestaltungen in der Innenstadt am Gerhardt-Hauptmann-Platz und am Gertrudenkirchhof hätten zu einer stillen Vertreibung geführt, so Karrenbauer. Beide Plätze waren früher deutlich verwinkelter. Die Flächen, an denen sich früher die Obdachlosen versammelten, verschwanden. „Am Ende bleiben offene Plätze, wo man durchgucken kann und auf denen es windig ist“, kritisiert Karrenbauer.

Extra ungemütlich gestaltet die Hamburger Hochbahn AG einige ihrer Haltestellen. Klassische Musik in den U-Bahnstationen oder auch die neuen Bushaltestellen mit ihren abgerundeten Sitzflächen sollen die Verweildauer reduzieren. Hinz&Kunzt-Leserin Ingeborg Mahn hatte sich vor zwei Jahren persönlich bei der Hochbahn über die neuen Sitzgelegenheiten beschwert. „Wäre sie zu komfortabel, würde sie in kürzester Zeit zum Daueraufenthaltsort für sogenannte Randständige werden“, gab das Beschwerdemanagement der Hochbahn unumwunden zu.

Die neuen Bushaltestellen sind ein Beleg dafür, dass sich die  Stadtarchitektur in den vergangenen Jahren massiv gewandelt hat. „Wo man sich früher hinsetzen und etwas abstellen konnte, wird jetzt abgerundet oder es werden Kanten angebracht“, so Karrenbauer. Als Beispiel führt Karrenbauer die S-Bahn-Station Reeperbahn an. Dort, wo vor Jahren zahlreiche Obdachlose ihre Tag verbrachten, verhindert inzwischen ein Geländer das Sitzen.

Text: Jonas Füllner
Foto: Actionpress/Anna Partington