Tochter eines Zwangsarbeiters : Auf der Suche nach der eigenen Geschichte

Gabriele Lapp ist die Tochter einer Deutschen und eines französischen Zwangsarbeiters. Foto: Miguel Ferraz
Hinz&Kunzt Randnotizen

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Einen unbekannten französischen Zwangsarbeiter als Vater, zehn Halbgeschwister und eine Lebensreise von Schwaben nach Hamburg: zu Besuch bei der Bergedorferin Gabriele Lapp.

Wo anfangen? Wie einsteigen? Nehmen wir den Moment, als das Nachbarmädchen, das ein wenig älter ist und mit dem sie öfter spielt, ihr entgegenschleudert: „Du bist gar nicht das richtige Kind von deinen Eltern!“ Die heute 79-jährige Gabriele Lapp sitzt mit ihrem Mann in der gemeinsamen Seniorenwohnung in Hamburg-Bergedorf, sie holt tief Luft und ballt die Fäuste: „Ich habe sie bei ihren Zöpfen gepackt und gegen die Wand gedrückt.“ Zu Hause bringen ihr die Eltern nach und nach schonend bei: Das Mädchen hat recht. Ihre Eltern sind ihre Pflegeeltern, haben sie geholt, als sie mitbekommen haben, dass da im Dorf eine Mutter lebt, die ihre zwei kleinen Kinder nicht haben will. Das eine Kind sei Gabriele ge­wesen, damals zwei Jahre alt; das ­andere und ältere war das Mädchen von ­nebenan, Marianne, somit ihre ­Halbschwester. Die Szene ereignet sich Ende der 1940er-Jahre, nahe der schwäbischen Stadt Ludwigsburg.

„Meine Pflegeeltern haben mich wie ihr eigenes Kind behandelt und deshalb sind das auch meine Eltern“, sagt Gabriele Lapp. „Das Schlimme war, dass die Nachbarn wussten, dass ich ein uneheliches Kind bin.“ Sie nennen sie: das Franzosen-Kind. „Es gab Kindergeburtstage, da wurde ich nicht eingeladen. Mit mir hat man nichts zu tun haben wollen.“

Sie sagt: „Meine Eltern haben nie schlecht über meine Mutter ge­sprochen.“ Sie wechselt kurz ins Schwäbische: „‚Sie hat halt nedd noi saga könne.‘ – das haben meine Eltern manchmal über sie gesagt.“ Ganz ­anders die Pflegeeltern ihrer Halbschwester, das Mädchen mit den ­Zöpfen: „Die haben oft zu ihr gesagt: ‚Du bist genau wie deine Mutter, und die war eine Hure.‘“

Die Mutter der beiden Mädchen, Jahrgang 1915, ist mit einem SS-Mann verheiratet. Das Ehepaar hat sechs Kinder. Ob des hohen Dienstranges des Mannes werden der Familie während des Krieges nacheinander zwei französische Männer als Zwangsarbeiter ­zugewiesen, die im Haushalt helfen müssen. Als der Ehemann zwischendurch von der Front zurückkommt, wird ihm klar: Das siebte Kind seiner Frau, die Marianne, kann nicht von ihm sein. Er lässt sich scheiden, gibt die gemeinsamen Kinder zu Verwandten oder in Kinderheimen ab. ­Zuvor zeigt er seine Frau an wegen des verbotenen Umgangs mit einem Kriegsgefangenen. Das Urteil: sieben Monate Zuchthaus. Nach vier Monaten wird sie vorzeitig entlassen: Sie ist erneut schwanger und wird das Kind Gabriele nennen.

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