Flüchtingsunterkünfte : Ganz besondere Standorte

Ist Harvestehude zu schön für Flüchtlinge? Ein paar besondere Anwohner pochen auf ihr „besonders ­schützenswertes Wohngebiet“. Dabei herrscht in Hamburg Platzmangel – jedenfalls an Land. In das ehemalige Hotelschiff „Transit“ sind jetzt die ersten 46 Flüchtlinge eingezogen.

Transit
Zum Glück ist der Harburger Binnenhafen kein „besonders schützenswertes Wohngebiet“. Seit dem 26. Februar leben auf der Transit bis zu 216 Flüchtlinge.

(aus Hinz&Kunzt 265/März 2015)

Harvestehude ist ganz besonders. Im Eimsbütteler Stadtteil stehen besonders viele besonders schöne Villen, in denen besonders viele Wohlhabende leben. Noch besonderer ist offenbar das Gebiet um die Sophienterrasse zwischen Mittelweg und Außenalster. Das Verwaltungsgericht hat im Januar entschieden, dass die geplante Unterkunft für bis zu 220 Flüchtlinge dort nicht sein darf, weil es sich um ein „besonders schützenswertes Wohngebiet“ handelt. Besondere Anwohner hatten gegen das Vorhaben der Sozialbehörde geklagt – mit vorläufigem Erfolg.

Die geplante Unterkunft im ehemaligen Kreiswehrersatzamt würde eine „Veränderung des Gebietscharakters“ bewirken, urteilten die Richter: „Denn mit der Anzahl der gemeinsam untergebrachten Personen (…) wächst die Möglichkeit sich auf das umgebende Wohngebiet störend auswirkender sozialer Spannungen.“

15 Quadratkilometer Hamburgs sind als „besonders schützenswertes Wohngebiet“ ausgewiesen, das sind zwei Prozent der Gesamtfläche. Besonders groß ist der Anteil in den Stadtteilen Harvestehude, Groß Flottbek, Sasel, Wellingsbüttel und Poppenbüttel. Das Gesetz, das diese Wohngebiete ermöglichte, stammt aus dem Jahr 1938. Wohnen und Arbeiten sollte damit strikt getrennt werden können, in der bauintensiven Zeit nach dem Krieg wollten die Stadtplaner damit die Wohngebiete erhalten. Seit den 1960er-Jahren kennt das Baurecht nur noch „reine Wohngebiete“: Dort kann die Stadt auch soziale Einrichtungen erlauben.

Für die Sozialbehörde ist das vorläufige Verbot ein herber Rückschlag: Eigentlich sollte die Unterkunft im März eröffnet werden. „Das ist schon schwierig“, sagt Sprecher Marcel Schweitzer. 700 neue Plätze sollten stadtweit eigentlich im März entstehen. Die Bemühungen, anderswo Standorte für Unterkünfte zu finden, seien nun noch einmal verstärkt worden – gerade auch in Gewerbegebieten und Randlagen. Denn die Flächen, auf denen das möglich ist, werden immer knapper. 5000 neue Unterkunftsplätze will die Behörde in diesem Jahr schaffen, 2014 kamen 4600 hinzu.

Ob das Umfeld der geplanten Standorte tatsächlich für die Unterbringung von Flüchtlingen geeignet ist, gerät angesichts dieser Zahlen immer mehr in den Hintergrund. „Der Zuzug ist weiterhin so stark, dass wir darauf keine Rücksicht nehmen können“, sagt Rembert Vaerst immer wieder. Der Geschäftsführer des städtischen Unterkunftsbetreibers ­fördern und wohnen (f&w) eröffnet umstrittene Unterkünfte in letzter Zeit gerne persönlich. Dann betont er die Alternativlosigkeit der Standortwahl. So war es auch, als er im Januar die neue Unterkunft an der Berzeliusstraße in Billstedt vorstellte.

Diese Unterkunft ist wegen ihrer Lage mitten im Gewerbegebiet umstritten. Die einzigen Nachbarn der 600 Asylbewerber, die hier bis März einziehen sollen, sind 650 weitere Flüchtlinge in einer anderen Unterkunft in Sichtweite. Auch gab es an der gleichen Stelle in den 1990er-Jahren schon einmal eine Flüchtlingsunterkunft, in der katastrophale Zustände herrschten. Fördern und wohnen beteuert, dass die neue Unterkunft nicht mit der alten vergleichbar sein wird. Insbesondere die Unterbringung in abgeschlossenen Wohnungen sei ein großer Unterschied zu der früheren ­Gemeinschaftsunterkunft, sagt Bereichsleiter Till Kobusch. „Der ganze Charakter dieser Einrichtung ist ein anderer“, sagt Kobusch. Die Modulhäuser aus Containern, die f&w anstelle gewöhnlicher Wohncontainer einsetzt, erinnern ihn an „Urlaub“.

Die „Transit“ war sogar wirklich mal ein Hotel. Auf dem Wohnschiff im Harburger Binnenhafen sollen 216 Flüchtlinge einziehen. Die Räume erinnern innen an die ­Zimmer in den Containerunterkünften von f&w. Schöner ist hier vor allem die Aussicht: Die künftigen Bewohner blicken  auf den Hafen mit seinen Schiffen. Flüchtlinge, die auf der Reise über das Mittelmeer traumatische Erfahrungen ­gemacht haben, würden hier nicht untergebracht werden, verspricht Geschäftsführer Vaerst.

Der begrenzte Platz an Land bringt die Behörden derzeit dazu, weitere Standorte für Wohnschiffe zu prüfen. Ob die Flüchtlinge in Harvestehude einziehen dürfen, muss das Oberverwaltungsgericht entscheiden, denn der Bezirk Eimsbüttel hat Beschwerde eingelegt. Im Frühjahr wird sich ­zeigen, ob wohlhabende Stadtteile mit „besonders schützenswerten Wohngebieten“ sich davor drücken können, Flüchtlinge aufzunehmen.

Text: Benjamin Laufer
Foto: Mauricio Bustamante