Obdachlosenbefragung 2018 : Was Sie über Obdachlosigkeit in Hamburg wissen müssen

Fast doppelt so viele Obdachlose wie vor zehn Jahren leben in Hamburg. Viele stammen aus dem Ausland. Foto: BELA

In Hamburg gibt es nicht nur deutlich mehr Obdachlose als noch vor zehn Jahren, auch ihre Zusammensetzung hat sich verändert. Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie der Sozialbehörde lesen Sie hier.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Im Auftrag der Sozialbehörde hat die Bielefelder Gesellschaft für Organisation und Entscheidung im März 2018 Obdachlose in Hamburg befragt. Dabei haben die Forscherinnen und Forscher 1910 Obdachlose angetroffen. Das sind 86 Prozent mehr als im Jahr 2009, als die letzte Untersuchung dieser Art durchgeführt wurde. Begleitet wurde die Erhebung von der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (AGFW), in der Verbände wie Diakonie, Caritas und der Paritätische vertreten sind.

Wie viele Obdachlose leben in Hamburg?

Klar ist, dass es sogar noch mehr als die angetroffenen 1910 Obdachlosen in Hamburg gibt, denn die von der Stadt beauftragten Forscherinnen und Forscher konnten gar nicht alle Obdachlosen erreichen, was sie in der Studie auch einräumen: Sie haben in Einrichtungen für Obdachlose Fragebögen verteilt, jedoch suchen nicht alle Obdachlosen diese Einrichtungen auf. Zudem spricht die AGFW von „organisatorischen Mängeln“, die die Befragung „erheblich erschwert“ hätten. So habe es etwa keine Dolmetscher und zum Teil zu wenige Fragebögen gegeben. Außerdem beklagt die AGFW eine „bedenklich niedrige“ Teilnehmerquote. So seien etwa in einer Einrichtung 233 Personen um ihre Teilnahme an der Befragung gebeten worden, was jedoch 146 abgelehnt hätten. Wie hoch die Dunkelziffer genau sein könnte, darüber wollte von der AGFW am Freitag aber niemand spekulieren. Aus der Sozialbehörde hieß es, 1910 sei nun die Zahl der Obdachlosen, von der man ausgehe.

Wohlfahrtsverbände fordern Kehrtwende in der Obdachlosenhilfe
1910 Obdachlose gezählt
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Wie viele Wohnungslose leben in Unterkünften?

In den öffentlich-rechtlichen Unterkünften der Stadt lebten zum Zeitpunkt der Befragung 4666 Wohnungslose, inzwischen sind es sogar 5008 (Stand: November 2018). Auch das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber 2009. 63 Prozent der Unterkunftsbewohner leben dort bereits seit länger als einem Jahr. „Es ist natürlich ein großer Fortschritt, wenn Menschen von der Straße geholt werden und erstmal in eine Unterkunft kommen“, sagt AGFW-Geschäftsführerin Sandra Berkling. „Aber das prioritäre Ziel muss sein, die Menschen in Wohnraum zu bringen und nicht in öffentlich-rechtliche Unterbringung.“

Wieso werden Menschen in Hamburg obdachlos?

Etwa ein Viertel der Obdachlosen landet durch ein sogenanntes „formalisiertes Verfahren“ auf der Straße, also durch eine fristlose Wohnungskündigung, eine Räumungsklage oder eine Zwangsräumung. 25,6 Prozent der befragten Obdachlosen gaben das als Grund an, bei den Bewohnern der Unterkünfte waren es 28,3 Prozent. Insbesondere Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit werden so obdachlos. Weitere 23,2 Prozent der Obdachlosen und 17,9 Prozent der Wohnungslosen waren vorher bei einem Partner oder Freund untergekommen und mussten dort raus. Das betrifft vor allem Menschen ohne deutschen Pass. Andere Gründe sind zum Beispiel der Auszug aus der elterlichen Wohnung oder das auf die Straße Entlassen aus Knast, Psychiatrie oder Krankenhaus. Stark abgenommen hat gegenüber 2009 der Anteil derjenigen, die ohne Kündigung aus ihrer Wohnung ausgezogen sind.

Wie lange leben die Obdachlosen auf der Straße?

Wie lange die Obdachlosen zum Zeitpunkt der Befragung auf der Straße lebten, ist extrem unterschiedlich. Die kürzeste angegebene Zeit war ein Tag – die längste 37 Jahre. Durchschnittlich waren Frauen 45,6 und Männer 43,2 Monate obdachlos.

Woher stammen die Hamburger Obdachlosen?

Das Verhältnis von deutschen Obdachlosen zu Obdachlosen mit Migrationshintergrund hat sich seit 2009 in etwa umgekehrt. 2018 hatten nur noch 36,1 Prozent eine deutsche Staatsangehörigkeit. Es folgen Polen (15,1 Prozent), Rumänen (13,8 Prozent) und Bulgaren (6,4 Prozent). Als Grund für die Veränderung wird in der Studie die ausgeweitete Arbeitnehmerfreizügigkeit im Rahmen der EU-Osterweiterung genannt. Ob es in absoluten Zahlen weniger deutsche Obdachlose gibt als 2009, ist nicht ganz klar. An der Befragung haben 205 weniger als noch 2009 teilgenommen. Offen bleibt, woran das lag. Außerdem haben zahlreiche Obdachlose keine Angaben zur Nationalität gemacht.

Warum kommen Zuwanderer, die hier obdachlos werden, nach Hamburg?

Die allermeisten Obdachlosen sind nach Hamburg gekommen, weil sie hier Arbeit suchten (59,4 Prozent) oder sogar ein konkretes Jobangebot hatten (11,6 Prozent). Am größten ist die Motivation Arbeitssuche bei Rumänen: 73,9 Prozent gaben an, deswegen nach Hamburg gekommen zu sein. „Der Faktor Arbeit ist somit uneingeschränkt der größte Pull-Faktor“, heißt es in der Studie. Allerdings fanden nur 24,9 Prozent dann auch tatsächlich einen Job. Nur sehr wenige kamen in der Hoffnung auf Sozialleistungen (1,5 Prozent) oder wegen des guten Gesundheitssystems (1,2 Prozent) nach Hamburg. Über die Hälfte der Obdachlosen ist ohne Fremde Hilfe nach Hamburg gekommen (59,8 Prozent), die meisten anderen mit der Hilfe von Freunden (14,2 Prozent) oder Verwandten (11,2 Prozent). Nur 5,5 Prozent gaben an, mithilfe von Vermittlern gekommen zu sein, die sie nicht fair behandelten.

Wovon leben die Obdachlosen?

Knapp jeder dritte Obdachlose lebt von Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld II, Rente oder Sozialhilfe. Die AGFW geht davon aus, dass mehr Menschen einen Anspruch auf solche Leistungen hätten, das aber zum Teil gar nicht wissen. Insbesondere nicht deutsche Obdachlose leben vom Flaschensammeln (15,2 Prozent) oder Betteln (9,3 Prozent). 11,7 Prozent gaben als Haupteinkommensquelle Arbeitslohn an, darunter auch Gelgenheitsjobs und Schwarzarbeit (7,1 Prozent). 4,3 Prozent verkaufen Hinz&Kunzt. Über gar kein Einkommen verfügen 14,3 Prozent. Die AGFW spricht deshalb von einer „besorgniserregenden Unterversorgung“ der Obdachlosen. Wohnungslose in Unterkünften leben zum Großteil von Sozialleistungen (73,7 Prozent) oder von Arbeitslohn (18,4 Prozent).

Autor:in
Benjamin Laufer
Benjamin Laufer
Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD Digitales.

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