Sich selbst überlassen
Sozialarbeiter:innen schlagen Alarm: Die städtischen Fachstellen für Wohnungsnotfälle kommen ihrem Auftrag nicht mehr nach. Dabei sollen sie Menschen helfen, denen Obdachlosigkeit droht.
Sozialarbeiter:innen schlagen Alarm: Die städtischen Fachstellen für Wohnungsnotfälle kommen ihrem Auftrag nicht mehr nach. Dabei sollen sie Menschen helfen, denen Obdachlosigkeit droht.
Die Bürgerschaft hat insgesamt 20 neue Vollzeitstellen bewilligt, um Wohnungslosen bei der Wohnungssuche zu helfen. Beim Unterkunftsbetreiber fördern&wohnen soll ein neues Vermittlungsteam entstehen.
(aus Hinz&Kunzt 123/Mai 2003)
Darum geht es:
Arbeitslosigkeit, Krankheit, Scheidung, Tod eines Familienangehörigen: Es gibt viele Gründe dafür, im Leben plötzlich aus der Bahn geworfen zu werden. Dann ist auf einmal nichts mehr wichtig – auch nicht die monatliche Mietüberweisung. Gut 2500 Hamburger werden Jahr für Jahr aus ihren Wohnungen geräumt, zumeist weil sie ihre Miete nicht mehr zahlen (können). Sie landen in städtischen Notunterkünften – oder auf der Straße.
Die Situation in Hamburg:
Zwar richtete die Stadt Anfang der neunziger Jahre „Bezirksstellen zur Wohnungssicherung“ ein, die den Betroffenen schnell helfen und so Zwangsräumungen verhindern sollen – etwa durch Schuldnerberatung, befristete Mietübernahme oder Verhandlungen mit dem Vermieter. Doch sind die rund 40 Mitarbeiter der sieben Bezirksstellen hoffnungslos überlastet. 6000 bis 7000 neue Räumungsklagen zählen die Hamburger Gerichte jedes Jahr.
Eine Bezirksstellen-Mitarbeiterin kommentiert ihre Arbeitssituation: „Hausbesuche machen wir nur selten. Kündigungen reiche ich ungelesen an die Sozialämter weiter. Wir reagieren erst, wenn eine Klage eingereicht wird – aus Kapazitätsgründen.“ Schon vor anderthalb Jahren räumte die zuständige Referentin der Sozialbehörde ein: „Das Personal reicht nicht aus.“
Prävention sei wichtig, sagte dann Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) zum Amtsantritt und versprach mehr Geld für die Räumungs-Verhinderer. Auf neue Mitarbeiter warten die Bezirksstellen aber bis heute vergeblich. Im Gegenteil, die Arbeitsbedingungen haben sich verschlechtert: „Wir haben kein Geschäftszimmer mehr. Deshalb können wir Termine nicht mehr schnell vergeben“, so die Bezirksstellen-Mitarbeiterin frustriert.
Die Folgekosten dieser Politik sind hoch: Zwischen 2500 und 5000 Euro jährlich zahlt die Stadt für die Unterbringung eines wohnungslosen Menschen. Rund 3000 Hamburger (ohne Flüchtlinge) leben in den städtischen Notunterkünften, viele von ihnen seit Jahren. Und: Je länger sie dort leben, desto schwieriger gestaltet sich der Weg zurück in eigene vier Wände. Nur jeder zehnte Bewohner einer Notunterkunft, so der Senat, habe vergangenes Jahr den Sprung zurück in die Wohnung geschafft. Tendenz: sinkend.
Wie andere es besser machen:
„Zwangsräumungen? So etwas gibt es bei uns nicht mehr“, sagt Peter Reiss, Leiter der Fachstelle für Wohnungsnotfälle in Duisburg. In der 535.000-Einwohner-Stadt haben die Behörden schon lange begriffen, dass Vorbeugung nicht nur viel besser, sondern auch viel billiger ist als Nichtstun: mindestens zehn Mal billiger, hat der gelernte Bankkaufmann und Sozialarbeiter Reiss ausgerechnet. Mehrere Millionen Euro habe die Stadt auf diese Weise gespart.
„Hausbesuch statt Räumung“ lautet die Devise in Duisburg, und die wirkt. „Wir bekommen sofort Wind davon, wenn jemand Schwierigkeiten hat“, erklärt einer der 45 Fachstellen-Mitarbeiter das ebenso einfache wie einleuchtende Erfolgsrezept: schnelle, umfassende und unbürokratische Hilfe für die Mieter in Not. „Im Haushalt hast du ganz andere Chancen, an die Menschen ranzukommen“, so der Duisburger „Akuthelfer“. Ergebnis der Präventionspolitik: Nur noch knapp 100 statt früher 2500 Menschen leben in städtischen Notunterkünften. Das Vorzeige-Modell wird inzwischen von vielen Städten nachgeahmt.
Die Zukunft:
Hamburg bastelt seit Jahren erfolglos an einer „Neustrukturierung des Hilfesystems“. Senat, Bezirke, Wohnungswirtschaft und Parteien finden einfach keinen gemeinsamen Nenner. Es geht vor allem ums Geld: Wer soll die präventive Sozialarbeit bezahlen, der Senat oder die Bezirke? Und wie lassen sich die Wohnungsunternehmen in die Pflicht nehmen, damit sie wieder mehr Wohnungen an Sozialschwache vermieten?
Die internen Papiere hören sich gut an und könnten aus Duisburger Feder stammen: „Die Prävention soll über die Fachstellen so verstärkt werden, dass Kündigungen und Räumungsverfahren durch die Vermieter zum frühestmöglichen Zeitpunkt abgewendet werden, um einen drohenden Wohnungsverlust zu verhindern“, heißt es in einem der vielen Konzeptentwürfe, die über die Behördenschreibtische gewandert sind. Ein fertiger Entwurf soll nun den Bezirken vorliegen, der muss dann mit den Änderungswünschen durch den Senat. „Richtigen Dissens gibt es nicht mehr“, sagt die Sprecherin der Sozialbehörde. „Es geht nur noch um Details – und um die Frage der Finanzierbarkeit.“ Sie hofft im Sommer Ergebnisse vorstellen zu können. Aber versprechen kann sie das nicht.
So sollte es laufen:
– Mehr Mitarbeiter in den Fachstellen, damit das „Frühwarnsystem“ funktioniert.
– Hausbesuche müssen die Regel sein und nicht die Ausnahme.
– Die Mitarbeiter der Fachstellen müssen eigenständig mit den Vermietern verhandeln dürfen und dafür eigene Etats bekommen.
– Die Fachstellen müssen Zugriff auf freie Wohnungen haben.
– Keine Zwangsräumung ohne vorherigen Schlichtungsversuch.
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