Fachstellen für Wohnungsnotfälle

Sich selbst überlassen

Hinz&Kunzt-Sozialarbei­terin Isabel Kohler musste mächtig Druck machen, bis die Fachstelle Hinz&Künztler Norbert half. Foto: Mauricio Bustamante.

Sozialarbeiter:innen schlagen Alarm: Die städtischen Fachstellen für Wohnungsnotfälle kommen ihrem Auftrag nicht mehr nach. Dabei sollen sie Menschen helfen, denen Obdachlosigkeit droht.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Hinz&Künztler Norbert kam vor vier Jahren nach Hamburg, weil er einen Job suchte. Der 39-jährige Slowake wurde fündig, arbeitete als Lager- und Küchenhilfe. Nur mit einer Wohnung klappte es nicht, er schlief auf der Straße. Bis er davon hörte, dass er als EU-Bürger womöglich Anspruch auf einen Platz in einer Wohnunterkunft hat.

Dafür sind in Hamburg die „Fachstellen für Wohnungsnotfälle“ zuständig. Sie sollen Menschen vor einem Leben auf der Straße bewahren und jene, die obdachlos sind, in eine Unterkunft oder Wohnung vermitteln. Sieben bezirkliche Fachstellen gibt es in der Stadt. Eine zusätzliche Außenstelle betreut eigens Menschen ohne festen Wohnsitz, die bisher nicht hier gemeldet waren. Sie befindet sich in der Kleinen Reichenstraße. Doch davon weiß Norbert nichts. Als er fälschlicherweise in der Fachstelle des Bezirksamts Mitte vorspricht, wird er nicht an die Kleine Reichenstraße verwiesen, sondern direkt abgewimmelt: „Die Mitarbeiterin war nett, aber sie sagte gleich: ,Sie haben keine Chance.‘“

Norberts Erfahrung ist kein Einzelfall. Sozialarbeiter:innen berichten gegenüber Hinz&Kunzt sogar von unzumutbaren Zuständen in den Fachstellen. Offen äußern will sich aus Angst vor Konsequenzen kaum jemand, doch die Aussagen gleichen sich: Die Fachstellen arbeiten nicht mehr so, wie sie sollen. Eine Behördenmitarbeiterin bestätigt gegenüber Hinz&Kunzt: Offene Stellen würden monatelang nicht nachbesetzt, viele Kolleg:innen seien krank, dauernd werde umstrukturiert. Die Sozialbehörde beantwortet eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion mit dem Hinweis, dass einige Stellen „innerhalb mehrerer Auswahlverfahren“ nicht hätten besetzt werden können. Die Folgen für die Hilfesuchenden sind jedenfalls dramatisch. Obwohl sie in einer Notlage sind, müssten sie teils Monate auf einen Termin warten oder würden erst gar nicht zu den Mitarbeiter:innen vordringen. Sicherheitsdienste würden mittlerweile den Zugang zu den Ämtern kontrollieren und erste Anlaufstelle sein: „Die tun ihr Bestes, aber die schicken die Leute auch mal wieder weg. Die sind ja auch nicht vom Fach“, sagt die Mitarbeiterin der Fachstelle. Ihr Fazit: „Die Klienten leiden auf jeden Fall darunter.“

Regelmäßig werden Menschen an Hilfsorganisationen verwiesen, berichten Sozialarbeiter:innen, oder von einer Fachstelle zur anderen geschickt, weil Zuständigkeiten nicht klar sind.

Zuletzt hieß es zudem immer öfter: Die Wohnunterkünfte sind voll, Betten nur noch in Notschlafstellen frei. Die Zahl der öffentlich-rechtlich untergebrachten Menschen ist tatsächlich stark gestiegen: Während 2021 rund 30.000 Menschen in einer städtischen Unterkunft lebten, waren es ­Ende April 2023 bereits 45.000 – vor allem wegen des Zuzugs von Ukraine-Geflüchteten. Und: Obwohl nur als Übergangslösung gedacht, mussten Wohnungslose schon vor dem Krieg im Schnitt mehr als vier Jahre in den Unterkünften leben – weil es kaum bezahlbare Wohnungen in Hamburg gibt.

Auch eine „verzögerte Platzzuweisung“ in die ­Unterkünfte räumt die Behörde auf Anfrage der Linksfraktion ein. Der Grund: Personalmangel. Die Fachstellen würden Antragstellende aber „zeitnah“ vermitteln.

Noch schwerer haben es Menschen, die obdachlos und krank sind. So wie Hinz&Künztler Miroslav. Er sitzt im Rollstuhl, wird von seiner Freundin Barbara versorgt. Die Suche nach einer gemeinsamen Unterkunft für das obdachlose Paar beschäftigt Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter:innen seit Monaten, unzählige Telefonate und Termine bei der Fachstelle inklusive. „Die werden immer wieder von A nach B geschickt. Manche Unterkünfte sind barrierefrei, andere wieder nicht“, beklagt Hinz&Kunzt-Sozialarbeiterin Isabel Kohler. Erst nach langem Hin und Her wird dem Paar im Juni ein zeitlich befristeter Aufenthalt in einem Hotel bewilligt. Wie es danach mit ihnen weitergeht? Ungewiss.

Während Barbara und Miroslav weiter auf eine gemeinsame Lösung warten, hat Norbert mittlerweile eine Wohnung bekommen – dank einer Stiftung. Sein erneuter Besuch bei der Fachstelle verlief positiver, Hinz&Kunzt-Sozialarbeiterin Isabel Kohler machte mächtig Druck. Norbert ist sich sicher: „Ohne eine Organisation im Hintergrund hätte ich keine Chance gehabt.“

Artikel aus der Ausgabe:

„Wir wollen arbeiten“

Alle reden vom Fachkräftemangel, dabei sind viele potenzielle Fachkräfte schon in Deutschland, scheitern aber an den Hürden der Bürokratie. Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen. Außerdem: Hamburg feiert den CSD. Im Interview spricht Michael Rädel, Herausgeber der queeren Zeitschrift „hinnerk“ über das Thema Sichtbarkeit. Und: Ein Wilhelmsburger Lehrer verhandelt mit seinen Schüler:innen Themen wie interkulturelle Verständigung oder die Shoa auf der Theaterbühne.

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Autor:in
Simone Deckner
Simone Deckner
Simone Deckner ist freie Journalistin mit den Schwerpunkten Kultur, Gesellschaft und Soziales. Seit 2011 arbeitet sie bei Hinz&Kunzt: sowohl online als auch fürs Heft.

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