„Nur wir haben Einfluss darauf, wie etwas produziert wird“

Unternehmer Michael Otto über seine Vision vom fairen Handel und vom Umgang mit Kritik

(aus Hinz&Kunzt 243/Mai 2013)

Hinz&Kunzt: Herr Dr. Otto, Sie haben viel vor. Was ist Ihre Vision vom fairen Handel?
Michael Otto: Bis zum Jahr 2020 wollen wir unsere gesamte Beschaffungskette noch ­intensiver kontrollieren können im Hinblick auf Umwelt und Sozialstandards. Das ist eine Riesenaufgabe, wir haben schließlich ein Angebot von mehreren Hunderttausend Artikeln. Deshalb ist es ein Prozess, der im Zweifel nie aufhört. Wir fühlen uns verantwortlich dafür, wie und wo unsere Produkte produziert werden. Das wird vom Konsumenten auch immer mehr eingefordert. Denn der Konsument will mit Freuden genießen, aber nicht zu Lasten von Umwelt und Menschen. Und er macht mit Recht den Einzelhandel und die Marktproduzenten dafür verantwortlich: Wir haben ­Einfluss darauf, wie etwas produziert wird.

 Will die SOZIALE Marktwirtschaft neu beleben: der Unternehmer, Stifter und Umweltschützer Michael Otto.
Will die soziale Marktwirtschaft
neu beleben: der Unternehmer,
Stifter und Umweltschützer Michael Otto.

In Fabriken in Bangladesch und Pakistan hat es vor ein paar Monaten Großbrände gegeben, bei denen Hunderte von Arbeiterinnen gestorben sind. Könnte das derzeit auch in einer Fabrik passieren, in der Sie produzieren lassen?
Die Fabriken in Bangladesch, Pakistan und Indien sind hochgradig brandgefährdet. Deswegen kontrollieren wir dort ganz besonders intensiv. Ein Lieferant wird bei uns gesperrt, wenn er das zweite Mal die Mängel nicht beseitigt hat. Doch trotz aller Kontrollen und Weiterbildungen kann es keine absolute Sicherheit geben.

Es gibt ja inzwischen ein Brandschutzabkommen. Aber dem ist bislang nur Tchibo beigetreten, die Otto Group nicht. Warum nicht?
Einen Beitritt zu dem von Ihnen erwähnten Brandschutzabkommen halten wir nicht für sinnvoll: Während das Abkommen nur in Bangladesch greifen soll, umfasst unser Sozialprogramm die Fabriken aller unserer Lieferländer, inklusive Bangladesch. Wir sind zudem überzeugt davon, dass die stetige Zusammenarbeit mit unseren Liefer­fabriken im Rahmen des bereits bestehenden Sozialprogramms effektiver ist. Darüber hinaus prüfen wir Optionen für ein gemeinsames Projekt mit der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammen­arbeit, von dem wir den Eindruck haben, dass wir dafür sehr viel mehr Unternehmen gewinnen können.

Was bezahlen Sie in den Fabriken, in denen Sie produzieren lassen? Die Mindestlöhne reichen ja oft nicht zum Leben aus.
Bei unseren Lieferanten muss auf jeden Fall der Mindestlohn bezahlt werden. Wir achten vor allem darauf, dass es genügend Freizeit gibt – und die Überstunden entlohnt werden. Gerade damit können die Einkommen deutlich erhöht werden. Und wir sorgen dafür, dass entsprechende Sozial­abgaben geleistet werden, damit die Arbeiter eine Grund­absicherung haben. Wir setzen uns für höhere Mindestlöhne ein. Dies ist jedoch auf viele Widerstände gestoßen. Denn die Produktionsländer in Asien befinden sich in einer harten Konkurrenzsituation und fürchten, durch höhere Mindestlöhne an internationaler Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Diese Befürchtung wird selbst von einigen Gewerkschaftsvertretern geteilt.

„Man muss sich auch für andere verantwortlich ­fühlen.“

Sie hatten ja vor, eine soziale Fabrik in Bangladesch zu gründen. Aber bei der Umsetzung gibt es anscheinend massive Probleme.
Die Umsetzung ist leider an der Bürokratie gescheitert. Ich dachte, man nimmt uns mit offenen Armen auf, aber das ­Gegenteil war der Fall. Wir wollten von den Gewinnen beispielsweise ein freies Mittagessen ausgeben, ein kleines Krankenhaus bauen, einen Kindergarten und eine Schule. Davon sollten nicht nur die Mitarbeiter profitieren, sondern auch die Menschen in der Umgebung. Doch die Schwierigkeiten in der Umsetzung begannen damit, dass wir bei einem Neubau jahrelang auf einen Gas- und Energieanschluss hätten warten ­sollen. Dann wollten wir einen bestehenden Betrieb über­nehmen. Für die notwendigen Genehmigungen von zwölf bis 15 Behörden haben wir ein dreiviertel Jahr gebraucht. Und am Ende kam die Auflage, bei unserer Investitionssumme das Unternehmen an die Börse zu bringen. Aber das macht ja keinen Sinn, denn die Gewinne sollten ja nicht ausgeschüttet, sondern für bessere Lebensbedingungen der Arbeiter ausgegeben werden. Wir versuchen jetzt, die Fabrik in einem anderen Land aufzubauen, haben auch schon Gespräche geführt, die allerdings nicht so ermutigend waren. Aber ich habe es noch nicht aufgegeben.

Hatten Sie als junger Mann eine Vorstellung, wie Sie als ­Unternehmer sein wollten?
Mich hat der erste Bericht des Club of Rome (siehe Lesetipp) sehr bewegt: Grenzen des Wachstums. Mit einem der Mitverfasser, Professor Eduard Pestel, war ich sehr gut befreundet und habe häufig mit ihm diskutiert. Es ist notwendig, dass solche Schriften das ­Bewusstsein ändern, aber noch wichtiger war es mir, zu handeln. Ich bin immer ein Mensch des Handelns ­gewesen. Für mich war klar: Jeder Bürger und jeder Unternehmer muss bei sich selbst anfangen.

Gab es auch eine menschliche oder soziale Initialzündung?
Mein Vater hat immer gesagt: Wenn es dem Unternehmen gut geht, muss es auch den Mitarbeitern gut gehen. Wir hatten nach dem Krieg noch nicht viel, aber in unserer Familie war klar: Man muss sich auch für andere verantwortlich ­fühlen. Damit bin ich aufgewachsen.

„Wir müssen wegkommen von unserer Wegwerf-Gesellschaft.“

Sie gelten als umweltfreundlicher und sozial engagierter Unternehmer. Trotzdem gibt es auch Kritik. Besonders am Paketdienst Hermes, der auch zur Otto Group gehört. Es geht hauptsächlich um Dumping­löhne, weil nach abgelieferten Paketen bezahlt wurde und nicht nach Stunden.
Auch wenn die Verallgemeinerungen nicht zutreffen, gab es bei Hermes sicher auch einige Dinge, die schiefgelaufen sind. Wir haben die Kritik zum Anlass genommen, um alle Prozesse zu überprüfen und von einem unabhängigen Gutachter auditieren (Anmerkung der Redaktion: nach festen Kriterien kontrollieren und Vorgaben machen) zu lassen. Das ist in der Branche einzigartig. Beispielsweise wurde die Bezahlung auf Stundenlöhne umgestellt. Und schon vor den Presseberichten haben wir einen Ombudsmann engagiert: Jeder Zusteller, jeder Generalunternehmer, der Probleme hat, kann sich anonym an eine Anwaltskanzlei in Frankfurt wenden. Denn nur wenn wir von den Problemen erfahren, können wir sie lösen.

Der Stundenlohn, haben Sie mal gesagt, sollte bei 7,50 Euro liegen …
Das Mindeste sind 7,50 Euro, das können aber auch 10 Euro sein, je nach Region. Die Lebenshaltungskosten in München sind schließlich höher als im Bayerischen Wald.

Apropos Geld: Zahlen die Reichen genug Steuern?
Im Moment haben wir kein Einnahmenproblem, wir haben in Deutschland die höchsten Steuereinnahmen, die wir je gehabt haben. Es gibt eher ein Ausgabenproblem: Da wird mit Wahlgeschenken wieder mehr ausgegeben, als die Kassen hergeben. Ich halte es für ganz wichtig, dass wir uns nicht neu verschulden und unsere Probleme nicht auf künftige Generationen verschieben. Aber wenn der Staat wirklich seine Hausaufgaben macht und dann nicht auskommt, dann können nach meiner Ansicht auch die Spitzensteuersätze angehoben werden. Wenn einer gut verdient, dann kann er auch höhere Steuern zahlen. Ich bin aber absolut gegen eine Vermögenssteuer, nicht nur, weil Versteuertes noch mal versteuert wird, sondern weil es eine Substanzbesteuerung wäre. Gerade wenn mittelständische Unternehmen mal Verlustjahre haben, könnte sie das in die Insolvenz treiben und das kostet Wachstum und Arbeitsplätze.

Der Kirchentag steht ja unter dem Motto „Soviel du brauchst“. ­Bedeutet Ihnen die Losung etwas?
Ja. Wir müssen in der Tat wegkommen von unserer Wegwerf-Gesellschaft. Das fängt bei der Konsumgüterindustrie und beim Handel an: Wir müssen langlebige Produkte in den Markt geben und die Produkte müssen so konzipiert sein, dass sie reparatur- und recyclingfähig sind. Früher gab es nur ein Downcycling, da hatte man Mischkunststoffe. Man konnte beispielsweise aus recycelten Kunststoffen Parkbänke bauen, aber so viele Parkbänke braucht man nicht, wie wir downgecycelten Kunststoff hatten. Wir müssen immer mehr zu ­einem Recycling kommen, bei dem man mit den Wertstoffen wieder dasselbe Gerät oder Produkt herstellen kann oder müssen ­T-Shirts und Kunststofftüten produzieren, die kompostierbar sind. Wir dürfen die Natur nicht überfordern, sondern in dem Umfang nutzen, in dem sie sich selbst regenerieren kann. Das schaffen wir momentan noch nicht.

Interview: Birgit Müller
Foto: Daniel Cramer

Lesetipps: Die Studie „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome ist mehrfach aktualisiert worden. „2052. Der neue ­Bericht an den Club of Rome: Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre“ ist bei Oekom erschienen.

Busrundfahrt zum fairen Handel am 4.5., 11.15–14 Uhr:
„Auf den Spuren unserer Kleider“, Führung: Susanne Hensel,
Waltraud Waidelich, Brigitte Meyn (Kampagne für Saubere Kleidung);
Anmeldung erforderlich unter: Seminare@frauenwerk.nordkirche.de oder 0431-55-779112, Abfahrt Bushaltestelle Rathausmarkt,
Teilnahme: 7 Euro. Mehr zum Thema: www.frauenwerk.Nordkirche.de

Tipp für Kirchentagsbesucher: Michael Otto: „Von wertvollen Waren und wahren Werten. Brauchen wir mehr Ethik in der Wirtschaft?“,
2. Mai, 11–13 Uhr; im Michel, Englische Planke 1