„Kommen die ins Museum?“

Kleckern und klotzen: Im Schanzenpark bauen Kinder und Erwachsene zwei Wochen lang Skulpturen und Gebäude aus Lehm

(aus Hinz&Kunzt 175/September 2007)

Noch leuchtet Carlottas Pullover in schönstem Rosa. Die dunkelblonden Haare der Achtjährigen sind zu einem ordentlichen Zopf gebunden, richtig schick sieht sie aus. Aber nicht mehr lange. Carlotta freut’s: „Ich mache mich gerne dreckig“, sagt sie fröhlich. Heute steht das Schmutzigwerden für Carlotta und die anderen Kinder der Klasse 3a von der Grundschule Sanderstraße auf dem Stundenplan. Denn die 3a ist eine der Gruppen, die sich für die neuntägige Baukunstaktion „Lehmbauten“ des Vereins Bunte Kuh angemeldet hat.

Anderthalb Stunden wollen die Schüler dabei unter Anleitung von Künstlern am Lohbrügger Marktplatz mit Lehm matschen und modellieren, kleckern und klotzen, buddeln und bauen. So soll im Laufe der Zeit – durch ein Zeltdach vor Regen geschützt – eine neue Stadt aus begehbaren Lehmbauten entstehen, ganz nach den Vorstellungen der kleinen und großen Helfer.

In diesem Monat findet die gleiche Aktion im Schanzenpark statt. Dort bereits zum dritten Mal. „Im ersten Jahr waren noch kaum Leute da, aber vergangenes Jahr war es trotz Regen und Sturm jeden Tag rappelvoll“, erzählt Initiator Nepomuk Derksen, Leiter von Bunte Kuh. Kein Wunder, denn die Idee hinter dem Projekt ist so einfach wie das Ergebnis erstaunlich: Durch die gemeinsame Arbeit mit dem Naturrohstoff Lehm lernen Kinder und Erwachsene jeden Alters auf spielerische Weise, was Integration bedeutet. Jeder arbeitet mit jedem, jeder kann seine Fähigkeiten und seine Kreativität dort einsetzen, wo er möchte. Auch Menschen, die sich sonst wenig zutrauen oder durch Behinderungen körperlich eingeschränkt sind, schaffen durch die Arbeit mit Lehm sofort sichtbare Ergebnisse.

Dadurch, dass sie ihre Umgebung nach eigener Phantasie gestalten, merken gerade die Kinder, dass Architektur nichts Abstraktes sein muss. Nichts, das andere ihnen vorgeben oder wobei sie nicht mitreden dürfen. Während des Bauens toben sie sich aus und sitzen im nächsten Moment konzentriert bei den Feinarbeiten. „Viele Lehrer, die mit ihren Klassen herkommen, sagen hinterher, dass ihnen die Schüler wie verwandelt vorkommen, ausgeglichener und leistungsfähiger“, so Derksen. Mittlerweile macht er sich keine Sorgen mehr, ob sich genügend Gruppen anmelden, denn seine Lehmbautenprojekte sind der Renner. Nicht nur in Hamburg, sondern auch in anderen Großstädten. Doch bis dahin war es für Derksen ein weiter Weg.

Als Kind prägten ihn seine politisch-kritischen Eltern, die in München eine Schule mit musischem Schwerpunkt gründeten. Nach dem Abitur begann Derksen dann ein Kunst- und Architekturstudium in Hamburg. Vor allem, um das Bild des arroganten Architekten und des weltfremden Künstlers zu verändern. „Ich hatte immer das Gefühl, Kunst soll mehr sein als Selbstzweck. Für mich bilden Kunst und Architektur den Rahmen, um soziales Leben, soziales Miteinander zu gestalten.“ Und mit welchem Werkstoff könnte Derksen diese Ansicht besser durchsetzen als mit Lehm – dem ältesten Baustoff der Welt? Während seines Studiums war Lehm für Derksen nur ein Material von vielen, mit denen er arbeitete. Doch er erkannte gleich den Vorteil für sein langfristiges Ziel, Anwohner in die Planungs- und Bauprozesse in ihrer Umgebung einzubinden. „Lehm ist ein Medium der Partizipation. Es braucht nur ein paar Hände und etwas Wasser und schon können damit ganze Städte entstehen.“ Nach mehr als 20 Jahren Arbeit mit Lehm ist Derksen mittlerweile Profi geworden und kann stundenlang von den Vorzügen des Baumaterials schwärmen. Die Kinder kommen allerdings nicht, weil sie sich für die Nachhaltigkeit des Baustoffs oder seine natürliche Klimaregulierung interessieren. Ihnen macht es einfach Spaß, selber Hand anzulegen und etwas aufzubauen.

Auch Carlotta trippelt ungeduldig herum, sie ist selig, als sie endlich loslegen kann. Zusammen mit ihren Mitschülern Valentin, Lukas und Marten arbeitet sie an einer angefangenen Ritterburg weiter. Begeistert befeuchtet sie das bereits vorhandene Gerüst mit einem kleinen Schwamm und holt rasch neuen Lehm, um ihn vorsichtig obendrauf zu setzen. Die Haare fallen ihr in die Augen und ihr Pulli ist dreckverschmiert. Lukas und Valentin formen einen Schnurrbart aus Lehm für sich selbst und testen, ob er hält. Er hält nicht. Na gut, dann drücken sie den Schnurrbart eben flach und arbeiten weiter. Stimmengewirr und Lachen wehen über den Platz. Einige der Kinder arbeiten aber auch selbstversunken und still vor sich hin.

Carlotta ist zufrieden, aber eine wichtige Frage muss noch geklärt werden, bevor sie weitermacht: „Was passiert mit den Sachen, wenn sie fertig sind? Kommen die ins Museum?“ Derksen schüttelt bedauernd den Kopf, denn nach ein paar Tagen müssen die Skulpturen wieder kaputt gemacht werden. „Die meisten Erwachsenen glauben leider nicht, dass Kinder eine richtige Stadt bauen können“, so Derksen. „Als sie Kinder waren, haben sie nicht gelernt, dass man auch so etwas Verrücktes wie das hier bauen darf. Aber wenn ihr größer seid, könnt ihr dafür sorgen, dass sich die Architektur ändert.“ Carlottas spontane Antwort zeigt, dass sie auf dem besten Weg ist, Derksens Wunsch zu erfüllen: „Aber wieso denn verrückt?“ fragt sie erstaunt. „Was wir hier machen, ist doch ganz normal.“

Maren Albertsen

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