Hartz IV : Jobcenter verhängen vorerst keine neuen Sanktionen mehr

Detlef Scheele ist seit 2015 Chef der Bundesagentur für Arbeit. Foto: Andreas Hornoff

Die Bundesagentur für Arbeit reagiert auf das Verfassungsgerichtsurteil und lässt vorerst keine Sanktionsbescheide mehr an Hartz-IV-Empfänger verschicken. Das sagte Agenturchef Detlef Scheele in einem Interview. Im kommenden Jahr soll das Sozialgesetz überarbeitet werden.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Das Urteil des Bundesverfassungsgericht war eindeutig: Wenn Jobcenter Hartz-IV-Empfängern die Leistungen um mehr als 30 Prozent kürzen, dann ist das verfassungswidrig – wegen der „außerordentlichen Belastung“ der Betroffenen. Solche Sanktionen sind also verboten – und zwar ab sofort.

Als Reaktion darauf verzichtet die Bundesagentur für Arbeit (BA) offenbar vorerst komplett darauf, Leistungen zu kürzen. „Wir verschicken zurzeit keine Sanktionsbescheide“, sagte BA-Vorstand Detlef Scheele den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Bestehende Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger, deren Leistungen um 60 oder gar 100 Prozent gekürzt sind, werden demnach auf zulässige 30 Prozent abgemildert. Bis Ende November soll es eine „verbindliche Übergangslösung“ geben, bevor im kommenden Jahr das Gesetz geändert werde.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte noch am Tag des Urteilsspruchs in der vergangenen Woche angekündigt, das Sozialgesetzbuch zu überarbeiten: „Wir werden in der Koalition miteinander in Ruhe in Auswertung des Urteils besprechen, was das an gesetzgeberischer Weiterentwicklung bedeutet“, sagte Heil.

Hartz IV
„Sanktionen greifen immer in das Existenzminimum ein“
Dass Hartz-IV-Sanktionen nur zum Teil mit dem Grundgesetz vereinbar sind, hat im November das Bundesverfassungsgericht entschieden. "Sanktionsfrei"-Sprecherin Helena Steinhaus erklärt, warum sie sich nur mit einer vollständigen Abschaffung der Sanktionen zufrieden geben hätte.

Scheeles Weisung ist auch im Hamburger Jobcenter angekommen, wie es von dort auf Nachfrage heißt. Sie betreffe auch Unter-25-Jährige, obwohl das Gericht sich nicht mit den härteren Sonderregeln für junge Hartz-IV-Empfänger befasst hatte.

Auch vorher schon wäre einer Sanktion immer eine Einzelfallprüfung vorangegangen, betonte der stellvertretende Geschäftsführer des Hamburger Jobcenters, Oliver Weiße. „Diese Einzelfallprüfung wird nun an weitere besondere Umstände geknüpft“, sagte Weiße gegenüber Hinz&Kunzt. „Unter anderem muss dafür noch auf Bundesebene miteinander geklärt werden, was unter einer außergewöhnlichen Härte zu verstehen ist, die bei Sanktionen zu berücksichtigen wäre.“ Das hatte das Bundesverfassungsgericht zur Bedingung für eine Sanktionsverhängung gemacht.

Scheele für weitere „kleinere Korrekturen“ an Hartz IV

BA-Chef Scheele sprach sich in dem Interview auch für weitere „kleinere Korrekturen“ an Hartz-IV aus. So hält er etwa eine „Schonfrist“ für Hartz-IV-Empfänger für denkbar. Dann müssten diese in den ersten zwei Jahren Leistungsbezug nicht wie bislang ihr Vermögen antasten und ihre möglicherweise zu teure Wohnung verlassen. „Eine solche Schonfrist würde für viele die Lage leichter machen“, sagte Scheele, der früher Sozialsenator in Hamburg war. Außerdem sollten die Jobcenter künftig Menschen ohne Berufsausbildung auch eine dreijährige Ausbildung finanzieren können. Bislang seien nur zweijährige Ausbildungen förderbar.

Autor:in
Benjamin Laufer
Benjamin Laufer
Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD Digitales.

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