Hinz&Künztler Andrzej

„Ich bin ein freier Mensch“

Foto von einem grauhaarigen Mann im Flanellhemd, das Gesicht ist verpixelt
Foto von einem grauhaarigen Mann im Flanellhemd, das Gesicht ist verpixelt
Hinz&Künztler Andrzej möchte im Internet nicht erkannt werden. Foto: Mauricio Bustamante

Andrzej, 63, arbeitet bei „Spende dein Pfand“ und verkauft Hinz&Kunzt bei Rewe in der Dorotheenstraße.

„Am 2. Dezember 1997 bin ich zu Hinz&Kunzt gekommen. Als einer der ersten polnischen Verkäufer.“ Das Datum hat Andrzej sich eingeprägt, weil es von da an wieder langsam bergauf ging in seinem Leben. Zunächst ging es aber bergab.

Geboren wurde Andrzej 1959 in einem polnischen Dorf, 50 Kilometer nördlich von Krakau, wo er mit seiner Schwester bei den Eltern aufwuchs. Mit 15 Jahren verließ er sein Zuhause und ging auf eine Berufsschule für Indus­triemontage. Er fand einen Job und half beim Bau von Stahlfabriken. Eine harte, aber gute Arbeit, mit gutem Lohn, wie er sich heute erinnert. Mit dem Zerfall des Ostblocks veränderte sich die Lage. Andrzej verlor seinen Job und sah keine Perspektive auf einen neuen.

Stattdessen fuhr er gen Westen. In Wien fand er Gelegenheitsjobs auf Baustellen, schlief mal hier, mal dort – und fing an zu trinken. Mitte der 1990er-Jahre verschlug es Andrzej nach Hamburg, wo er weiter jobbte, oft schwarz. Er schlief mal in seinem Auto, mal bei Bekannten, mal auf der Straße – und trank weiter. Eines Tages hörte er von Hinz&Kunzt.

Endlich ging es wieder bergauf: Andrzej wurde Hinz&Kunzt-Verkäufer und lernte an seinem Verkaufsplatz Menschen kennen, die ihm immer wieder Gelegenheitsjobs verschaffen, manchmal auch eine Unterkunft. „Manche sind echte Freunde geworden“, sagt Andrzej.

Mit dem Trinken aufzuhören schaffte Andrzej allerdings erst 2005. Gesundheitlich war er da schwer angeschlagen: „Meine Leber war komplett kaputt.“ Doch er hatte Glück im Unglück: Zwar war er in Deutschland nicht krankenversichert, über seine Schwester allerdings in Polen. Die organisierte alles, und Andrzej unterzog sich dort einer erfolgreichen Behandlung. Zum Abschied machte ihm der Arzt deutlich, dass Andrzej sein Leben in den eigenen Händen hält. Er v­er­stand die Warnung und fasste den Entschluss, keinen Alkohol mehr anzurühren. Leicht war das nicht, sagt Andrzej. Viele seiner Hamburger Bekannten, bei denen er immer wieder unterkam, waren schließlich selbst alkoholkrank. Doch Andrzej blieb stark – und bis ­heute trocken. Sogar mit dem Rauchen habe er mittlerweile aufgehört, sagt der 63-Jährige und grinst stolz unter seinem Schnauzbart hervor.

Vor einem Jahr ist Andrzej ins Hinz&Kunzt-Haus gezogen. Nebenbei hat der Autofreak, der sich seinen ersten Wagen einst selbst zusammengeschraubt hatte, sein Hobby zum Beruf gemacht: Andrzej unterstützt das Team von „Spende dein Pfand“ am Flughafen als Fahrer. Erfreulicher Nebeneffekt: Durch den Job ist er endlich in Deutschland krankenversichert.

Hat er Pläne für die Zukunft? „Ich weiß nicht“, sagt Andrzej. Nur so viel: Eine feste Partnerin, darauf hat er
keine Lust. „Ich bin schon mein ganzes Leben ledig. Ich bin ein freier Mensch.“ Das soll auch so bleiben.

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Autor:in
Lukas Gilbert
Lukas Gilbert
Seit 2019 bei Hinz&Kunzt. Zunächst als Volontär, seit September 2021 als Redakteur.