Streik im Hamburger Hafen : Aufstand der Tagelöhnerinnen

Das Wand­gemälde „Der Streik der Kaffeeverleserinnen“ von Hildegund Schuster in der Frauenfrei­­- luft­galerie erinnert an den Aufstand der Hafenarbeiterinnen.

Kaffeebohnen sortieren war Frauenarbeit im Hamburger Hafen. Ende des 19. Jahrhunderts wagten die Arbeiterinnen den Aufstand – Monate vor dem Streik der Männer.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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„Fast täglich Exzesse, viele Verhaftungen“ – so schilderte die Politische Polizei Hamburg im April 1896 den Aufstand in der Großen Elbstraße. 466 Streikende begehrten auf gegen Hamburgs größten Kaffeehändler Stucken & Andresen, forderten weniger Arbeit und mehr Lohn. Es war ein Arbeitskampf ums Existenzminimum. Unerhört, fanden damals viele. Denn die, die da streikten, waren Frauen.

Der Aufstand der Kaffeeverleserinnen ist ein oft übersehenes Kapitel der Hamburger Geschichte – im Gegensatz zum Hafenarbeiterstreik der Männer, der mit bis zu 17.000 Streikenden und 11 Wochen Stillstand auf Kajen und Schuppen als einer der größten Arbeitskämpfe des Kaiserreichs gilt. Den Kampf der Frauen ­haben Historikerinnen am Museum der Arbeit aufgearbeitet: 550 Kaffeeverleserinnen beschäftigte die Firma Stucken & Andresen im Frühjahr 1896. Es waren Arbeiterinnen, die sich den Kaffee selbst kaum leisten konnten. Das Saisongeschäft bedeutete ein Zubrot von 5 bis 6 Mark pro Woche – ein Lohn, der heute 40 bis 48 Euro entspräche. Wer davon Kinder ernähren musste, lebte im Elend.  Doch auch wenn die Frauen nur „zuverdienten“, um das Einkommen ihrer Männer aufzu­stocken – stundenlang mit gebeugtem Rücken am Sortiertisch sitzen, das tat keine ohne Not. 

Die Frauen arbeiteten im Akkord: Gute, grünlich-blau schimmernde Bohnen sortierten sie nach Farbe und Größe, die vergorenen, weißlich schimmernden kamen weg. Wenn Aufseher:innen einen Fehler bemerkten, musste die Verleserin die gesamte Charge erneut sortieren: Schon eine „Stinkebohne“ konnte beim Rösten die ganze Partie verderben. Oft dauerte es elf Stunden oder länger, bis die Kaffeeverleserinnen nach Hause konnten – mal mit mehr, mal mit weniger Lohn. 

Denn hatte eine gelacht bei der ­Arbeit, wurde ihr Strafgeld abgezogen. Auch Singen war verboten, manchmal sogar das Reden. Die Höhe der Straf­gelder legten Vorarbeiterinnen fest – nach Gutdünken. Auch körperlich wurden die Arbeiterinnen drangsaliert. Die Historikerinnen Maria Beimel und Elisabeth von Dücker zitieren aus Polizei­akten: Eine Streikende der Firma Stucken & Andresen gibt zu Protokoll, „von der Vorarbeiterin mit Schlägen ­gemaßregelt“ worden zu sein. Eine ­andere berichtet von sexuellen Über­griffen männlicher Vorgesetzter. 

Am 26. März 1896 begehrten die Kaffeeverleserinnen auf und wählten, da Frauen sich politisch nicht organisieren durften, eine von Männern besetzte Lohnkommission. Ihre Forderungen: Festsetzung der Arbeitszeit auf maximal 9 Stunden täglich, ein Mindestlohn von 25 Pfennigen pro Stunde – die Hälfte des geringsten Lohns für Männer im Hamburger ­Hafen. Überstunden seien mit 35 Pfennigen zu vergüten, zudem sollte Frauen das Schleppen der Kaffeesäcke ver­boten werden. Und: „Strafgelder dürfen nicht über 10 Pfennige pro Tag und Kopf erhoben werden.“ 

Die Kaffeeunternehmer stellten sich taub. Zwar hoben einige die Löhne leicht an, den Forderungskatalog aber wiesen sie pauschal von sich. Daraufhin riefen die von den Frauen ge­wählten Gewerkschaftsvertreter den Arbeitskampf an der Großen Elb­straße aus. Weitere Streiks folgten.

14 Tage lang dauerte der Aufruhr. Die Polizei ging gegen Demonstrantinnen vor, unterdessen ließen die Firmenchefs von Stucken & Andresen für die wenigen nicht streikenden Kaffeever­leserinnen Essen kochen und Betten aufstellen. Das Ziel: die Solidarität der Frauen zu brechen und das Geschäft am Laufen zu halten. Den Streikenden drohten sie: Sollten sie nicht zurück an die Arbeit gehen, würden eigens an­geworbene polnische Arbeiterinnen ­ihre Plätze einnehmen. Einige Frauen knickten ein. Die Mehrheit nicht.

Am 22. April schien das Ziel erreicht: Die Unternehmer sagten den 9-Stunden-Tag für die Kaffeeverleserinnen zu. Körperliche Belastungen wie das Säckeschleppen verboten sie, allen Streikenden versprachen sie die Wiedereinstellung. Beim Lohn bewegten sie sich nicht. Trotzdem hofften die Kaffeeverleserinnen auf bessere Zeiten.

„Es ist zu bewundern, dass man sich schon wieder mit der Firma Stucken & Andresen beschäftigen muss“, bemerkt jedoch schon im Juli 1896 ein Gewerkschaftsvertreter. Kurz nach Ende des Streiks seien 180 Kaffeeverleserinnen entlassen worden, nach einer Weile 150 weitere. Fast alle, die sich am Arbeitskampf beteiligt hatten, mussten gehen. Während draußen der Hafenstreik der Männer hochkochte und scheiterte, saßen andere Frauen an den Sortiertischen, hoch konzentriert, mit geschärftem Blick und schnellen Händen. So blieb es bis in die 1970er-Jahre. Dann übernahmen Maschinen. 

Artikel aus der Ausgabe:

Frauen im Hafen

Der Hamburger Hafen ist eine Männerdomäne? Von wegen! Wir stellen Frauen vor, die den Hafen verändern. Außerdem: Philosophin Eva von Redecker im Interview über die Rolle von Frauen in Revolten, eine Reportage über Menschen am Hauptbahnhof und ein Porträt von Boxweltmeisterin Dilar Kisikyol, die für Inklusion und Feminismus kämpft.

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Autor:in
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein schreibt als freie Redakteurin für Politik, Gesellschaft und Kultur bei Hinz&Kunzt - am liebsten über Menschen, die für sich und andere neue Chancen schaffen.

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