G20 und Klimawandel : „Egoistisch und scheinheilig“

Karsten Smid (59) beschäftigt sich seit 27 Jahren für Greenpeace mit erneuerbaren Energien und dem Klimawandel. Foto: Dmitrij Leltschuk.

Greenpeace-Experte Karsten Smid spricht im Hinz&Kunzt-Interview über Menschen, die vor dem Klimawandel fliehen, den G20-Gipfel und die Fehler des Hamburger Senats.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Hinz&Kunzt: Herr Smid, Greenpeace hat im Mai eine Studie veröffentlicht, nach der der Klimawandel weltweit mehr Flüchtlinge produziert als Kriege. Die Rede ist von einer „unterschätzten Katastrophe“. Ist es wirklich so schlimm?

KARSTEN SMID: Ja. Wir sehen zwar die schrecklichen Bilder von Flüchtlingen im Mittelmeer und die wenigen, die es schaffen, zu uns nach Europa zu kommen. Die Mehrzahl der Menschen jedoch wird innerhalb ihrer Herkunftsländer vertrieben, durch wetterbedingte Katastrophen wie etwa Überschwemmungen. Weltweit sind das 20 Millionen Menschen.

 Der Klimawandel trifft die, die am Rand des Existenzminimums leben. – Karsten Smid

Naturkatastrophen gab es schon immer. Welche Rolle spielt der Klimawandel?

Die Intensität und Häufigkeit der Katastrophen nehmen deutlich zu. Es gibt keine kausale Beziehung zwischen der Klimaerwärmung und der Zahl der Vertriebenen. Doch der Klimawandel wirkt als Risikomultiplikator. Und er trifft gerade die Menschen, die besonders verletzlich sind, die ohnehin schon am Rand des Existenzminimums leben.

Nun hat US-Präsident Donald Trump den Pariser Klimaschutzvertrag aufgekündigt. Ist die vereinbarte Begrenzung des Temperaturanstiegs ohne die USA überhaupt zu schaffen?

Sie sollten den Präsidenten nicht mit den USA gleichsetzen. Kalifornien und andere US-Bundesstaaten haben gesagt: „Wir machen weiter.“ Und über 600 Industrieunternehmen wollen weiter in erneuerbare Energien investieren, auch weil die kostengünstiger sind als Kohle. Und was die G20 angeht: Die USA verursachen 14 Prozent der Treibhausgasemissionen weltweit, die anderen 19 immerhin 66 Prozent. Von denen kann ich weiterhin erwarten, dass sie sich an das Pariser Übereinkommen halten.

Wie wird es beim G20-Gipfel und danach weitergehen?

Ich erwarte, dass die G19 – Trump ist ja weltpolitisch isoliert – deutlich machen, wie sie Treibhausgasemissionen reduzieren und aus der fossilen Energieversorgung aussteigen. Kohle, Öl und Gas werden von den meisten Staaten ja weiterhin stark subventioniert – auch bei uns.

Welche Rolle sollte Deutschland einnehmen?

Die deutsche Politik agiert heuchlerisch. Die Bundesregierung hat zugesichert, bis 2020 40 Prozent der Treibhausgase gegenüber 1990 zu reduzieren. Dieses Ziel werden wir aber meilenweit verfehlen, weil wir den Kohleausstieg viel zu langsam vorantreiben. Städte erzeugen weltweit bis zu 80 Prozent der Treibhausgase. Hamburg will deshalb seinen CO2-Ausstoß bis 2030 halbieren.

Moorburg abschalten

Überzeugt Sie der Klimaplan des Senats?

Nein. Da wird geschummelt und hingebogen, wie es passt. Das Kohlekraftwerk Moorburg verursacht jährlich 8,5 Millionen Tonnen CO2, taucht in der Klimabilanz aber nicht auf, weil der Senat eine andere Bilanzierungsmethode wählt. Und diese Dreckschleuder war ja nur deshalb politisch durchsetzbar weil eine Abscheideeinrichtung versprochen wurde, um den CO2-Ausstoß zu senken. Die aber ist nie gebaut worden und wird auch nie gebaut werden. Das ist Betrug.

Und jenseits von Moorburg?

Hamburg baut für Hunderte Millionen Euro riesige Deiche, etwa am Baumwall, um sich vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Die sind immer 50 Zentimeter höher als die der umliegenden Bundesländer. Das zeigt, wie egoistisch und scheinheilig Hamburg vorgeht: Die Stadt heizt mit Moorburg die Atmosphäre auf und baut die Deiche dann höher als die Nachbarn, damit es sie selbst nicht trifft.

Was müsste der Senat machen, um Sie zu überzeugen?

Moorburg abschalten. Ein Fernwärmekonzept entwickeln, das auf erneuerbaren Energien aufbaut. Und was den Verkehr angeht, sagt die Willy-Brandt-Straße eigentlich alles: Hamburg ist eine Autostadt, in der der Fahrradverkehr anders als in vielen europäischen und auch deutschen Städten extrem vernachlässigt wird. Schauen Sie sich nur die Hafencity an: überall Tiefgaragen, riesige Kreuzungen.

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Seit 2010 berät die Caritas einkommensschwache Haushalte und zeigt Hilfeempfängern, wo und wie sie Energie sparen können. Das Angebot wirkt. Das Problem: Viele, die Anspruch hätten, haben noch nie davon gehört. 

Greenpeace misst an Hamburger Schulen die Feinstaubbelastung …

Ja, und wir stellen regelmäßig dicke Luft und massive Grenzwertüberschreitungen fest.

Was macht Greenpeace, um das Klima zu retten?

Wir haben einen eigenen Stromanbieter aufgebaut, bei dem Sie zu 100 Prozent erneuerbare Energien bekommen.

Wir haben gemeinsam mit anderen intensiv gegen den Neubau von Kohlekraftwerken gekämpft – und viele auch verhindern können. Und wir machen seit mehr als zehn Jahren mit beim Braunkohle-Widerstand, wo es darum geht, die Erweiterung von Braunkohle-Tagebau zu verhindern – und letztlich den Kohleausstieg zu organisieren.

Es ist einfach, über die Politik zu schimpfen. Was kann ich persönlich fürs Klima tun?

Ich kann den Stromanbieter wechseln. Mich auf den Fahrradsattel schwingen und das Auto stehen lassen. Meinen Fleischkonsum minimieren. Mein Haus wärmedämmen. Und möglichst wenig fliegen. So kann ich meine persönliche CO2-Bilanz immerhin halbieren.

Artikel aus der Ausgabe:

G20. Heiße Luft?

Anfang Juli tagen die G20 in den Hamburger Messehallen und es ist derzeit völlig ungewiss, wie die ursprünglich vereinbarten Ziele des Pariser Klimaabkommens umgesetzt werden können. Die Kündigung der Vereinbarung durch US-Präsident Donald Trump war für uns Anlass genug, um sich in der aktuellen Ausgabe anzuschauen, wie sich der Klimawandel sich in Hamburg auswirkt.

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Autor:in
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas schreibt seit vielen Jahren für Hinz&Kunzt - seit 2022 als angestellter Redakteur.

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