Die Flüchtlingshilfe Harvestehude hat sich einst im Zuge der Diskussionen um eine Unterkunft für Geflüchtete im Nobelviertel gegründet. Die Unterkunft schließt nun, die Arbeit der Ehrenamtlichen geht trotzdem weiter.
Als 2015 drei Harvestehuder Anwohnende mit anwaltlicher Unterstützung gegen eine geplante Geflüchtetenunterkunft in der Nachbarschaft vorgehen, scheint mal wieder ein Klischee über den Alster-Stadtteil bestätigt. Was weniger zum Klischee passt: Zur gleichen Zeit gründet sich eine Gegenbewegung im feinen Viertel, die Flüchtlingshilfe Harvestehude.
„Ich habe mir damals gedacht: Das geht nicht, dass sich Harvestehude als so reicher Stadtteil seiner Verantwortung entzieht“, erinnert sich Gründerin und Vorsitzende Hendrikje Blandow-Schlegel gut zehn Jahre später. Blandow-Schlegel, rosa Pullover über der blauen Bluse, Brille im Leomuster, ist Rechtsanwältin, saß für die SPD in der Bürgerschaft und engagiert sich aus voller Überzeugung für Geflüchtete: „Wir alle haben eine soziale Verantwortung!“
Seit Gründung des Vereins ist viel passiert: Nach einem Vergleich zwischen Stadt und Kläger:innen ziehen 2016 tatsächlich Geflüchtete ins ehemalige Kreiswehrersatzamt an der Sophienterrasse. Die Initiative engagiert sich vor Ort, richtet eine Teestube und eine Fahrradwerkstatt ein, bietet Sprachkurse und Beratungen an – und professionalisiert sich. Immer mehr Freiwillige engagieren sich, übernehmen Patenschaften, helfen bei Problemen mit dem Amt. Feste werden gefeiert, sogar ein Buch entsteht, kürzlich ein zweites (siehe Kasten). Heute engagieren sich mehr als 200 Menschen im Verein, manche von ihnen waren einst selbst Hilfesuchende.
Die Initiative, die sich durch öffentliche Gelder, Mitgliedsbeiträge und Spenden finanziert, ist immer auf der Suche nach weiteren Freiwilligen – denn der Bedarf an Hilfe nimmt nicht ab. „Unsere Sprachkurse haben momentan lange Wartelisten“, sagt Blandow-Schlegel. Eine Erklärung: Seit Januar 2025 bezahlt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei Sprachkursen keine Wiederholungsstunden mehr. Offensichtlich füllt das kostenlose Angebot eine Lücke.
Währenddessen geht an der Sophienterrasse Ende Juni ein Kapitel zu Ende. Teil des Vergleichs mit den Kläger:innen war, dass die Unterkunft im September 2024 geschlossen wird. Beide Seiten haben sich zwar auf eine befristete Verlängerung verständigt, die läuft nun aber ungeachtet des weiter hohen Bedarfs nach Unterkünften aus. Auf Hinz&Kunzt-Anfrage betonen die Kläger:innen ihre Verhandlungsbereitschaft, sie seien sogar zu einer weiteren befristeten Verlängerung bereit gewesen. Das bestätigt auch die Sozialbehörde. Weil momentan genug Platz in anderen Unterkünften ist, habe die sich aber für den jetzt gewählten Zeitpunkt entschieden. Familien mit Schulkindern dürfen bis zu den Sommerferien bleiben, um Schulwechsel zu vermeiden. Dann ist Schluss und die Bewohner:innen werden auf andere Unterkünfte verteilt. „Ich finde das schade, weil die Sophienterrasse natürlich eine Verbindung zu diesem Verein hat“, sagt Thomas Dreyer, der sich ehrenamtlich bei der Flüchtlingshilfe Harvestehude engagiert: „Aber solange die Menschen versorgt sind, ist mir jede Regelung recht. Es geht immer um die Menschen, für die müssen Lösungen her.“
Wo bisher bis zu 190 Geflüchtete in der mittlerweile arg in die Jahre gekommenen Unterkunft lebten, plant die Stadt nun Wohnungen, noch dieses Jahr soll der Abriss starten. Weil Geflüchtete und andere Wohnungssuchende gleichermaßen bezahlbare Wohnungen brauchen, begrüßt die Initiative das. „Aber es muss ausschließlich öffentlich geförderter Wohnungsbau sein“, sagt Blandow-Schlegel. Momentan seien 80 Prozent geförderter Wohnungsbau geplant, heißt es von der Behörde. Man sei aber noch in der Planungsphase.
Für die Initiative geht es auch nach der Schließung der Sophienterrasse weiter, Arbeit gibt es genug. Am Sonntag steht wie alle zwei Wochen eine „Tea Time“ an, in der Küche der Vereinsräume wurden schon Schnittblumen auf Gläser verteilt. Von der Politik wünscht sich die Vereinsvorsitzende eine stabile und längerfristige Finanzierung aller Initiativen: „Weil wir eine Lücke überbrücken, die der Staat nicht füllen kann. Es geht um Anerkennung. Anerkennung dafür, dass wir kein vorübergehender Notnagel sind, sondern eine stabile Säule unserer Zivilgesellschaft.“