Armut

Dating auf der Straße

Ein Smartphone würde Achim zum Daten nie benutzen. Foto: Mauricio Bustamante.

Wie lernt man Menschen kennen und lieben, wenn man auf der Straße oder in Armut lebt? Hinz&Kunzt-Verkäufer:innen berichten von ihren Erfahrungen.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Kim ist arm und verkauft Hinz&Kunzt – und macht da­raus beim Dating keinen Hehl: „Das ist ein Teil von mir“, sagt Kim, der*die sich als nicht-binär identifiziert und mit dem männlichen und weiblichen Pronomen angesprochen werden möchte. „Wenn die Leute oberflächlich reagieren, weiß ich: Alles klar, dann kann ich auch in Zukunft nicht mit denen zusammenkommen.“ Hinge, Tinder, Bumble, Lavoo – Kim hat schon eine ganze Reihe Dating-Apps durchprobiert. „Aber es ist jedes Mal ein Graus. Ich brauche tiefer­gehende Gespräche. Aber dann kommt da teilweise einfach eine Antwort mit ein oder zwei Sätzen und kein Input.“

Und gibt es auch ablehnende Reaktionen darauf, dass Kim das Straßenmagazin verkauft? Die meisten würden mit ihrer Haltung erst mal hinter dem Berg halten. Doch wenn Kim das Gefühl hat, dass Chatpartner:innen oberflächlich reagieren, ist klar: „Wenn du meine derzeitige Lebenssituation nicht akzeptierst, brauche ich meine Zeit nicht investieren. Da bin ich knallhart.“ Auch wegen solcher Oberflächlichkeiten zieht Kim das Kennenlernen im echten Leben vor. „Ich flirte auch mal während des Magazinverkaufs, und auch da sind schon Dates zustande gekommen. Der Vorteil, wenn ich ­Menschen direkt am Verkaufsplatz anspreche: Da wissen alle von vornhinein Bescheid.“

Bekanntschaften am Verkaufsplatz knüpfen? Damit hat auch Hinz&Künztler Achim schon Erfahrungen gemacht. „Wir quatschen dann aber nur“, sagt der 60-Jährige. Ein Smartphone für das Dating würde er nie benutzen. „Ich lerne auch so immer noch und immer wieder Frauen kennen“, sagt der selbst ernannte Womanizer selbstbewusst. „Ich will nicht angeben. Aber es ist tatsächlich so: Die Mädels quatschen mich an.“

Es gibt aber auch ganz praktische Gründe, warum manch Obdachloser es noch nicht mit Online-Dating ausprobiert hat. „Ich habe ja nicht mal eine E-Mail-Adresse. Ich habe keinen Internetzugang“, sagt zum Beispiel Frank. Um solche Voraussetzungen müsse er sich nach seiner kürzlich abgesessenen Haftstrafe erst einmal kümmern. Dann würde sich der 50-jährige Hinz&Künztler mit der markanten Kapitänsmütze vielleicht auch mal eine App herunterladen. Aber eher aus Neugier. Denn grundsätzlich sei es kein Problem für ihn, Frauen kennenzulernen. „Auch auf der Straße entsteht etwas zwischen Menschen. Auch auf der Straße entsteht eine Form von Liebe. Nur können wir das nicht so richtig leben“, erklärt Frank: „Man hat kein Zimmer, man hat viele Dinge nicht, die man braucht, um Intimität und Nähe herzustellen. Dass dann vielleicht auch mal jemand heult oder so was. Das geht nicht, wenn man immer in der Öffentlichkeit lebt.“

Die Zeit, in der Marcel auf der Straße lebte, liegt zum Glück schon lange zurück. „Da ging das mit dem Handy gerade erst los“, erzählt der 49-Jährige. Seitdem ging es für ihn bergauf: Er hat heute eine eigene Wohnung in der City, einen Job – nur keine Partnerin. Deswegen hat er sein Glück auch beim Online-Dating gesucht. Meistens auf kostenlosen Seiten. Das sei wichtig zu erwähnen, sagt Marcel. „Auf diesen Seiten sind viele merkwürdige Menschen unterwegs. Da schreiben dir Frauen: ,Ohhh, ich finde dich so toll. Aber um mit dir weiter chatten zu können, brauche ich 50 Euro oder eine iTunes Karte.“ Alles „Verarsche“, meint Marcel. „Ich bin ehrlich. Wenn jemand mit mir zu tun haben möchte, soll derjenige auch wissen, dass ich ein schwieriges Leben hatte.“ Natürlich würde er so was nicht direkt in sein Profil schreiben, sagt er. „Aber dafür suche ich bewusst das hässlichste Bild von mir aus. Dann sind die Frauen positiv überrascht, wenn sie mich treffen.“ Dass er kein leichtes Leben hatte, schreibe er sehr früh während des Chats. Trotzdem überwiegt bei Marcel die Skepsis: Wenn Frauen ihm zu schnell Komplimente machen, könne er sie nicht ernst nehmen. „Weil ich denke, die wollen mich verarschen, die meinen das nicht ehrlich.”

Marcel würde sich vielleicht mit Petra gut verstehen. Die Hinz&Kün­zt­lerin hat „keinen Bock“ mehr auf Partner. „Ich habe Kontrolle durch, ich habe Prügel durch, ich habe Typen durch, die auf meine Kosten gelebt haben“, sagt die 61-Jährige. Vor etwa 20 Jahren habe sie sich dann gesagt: „Lasst mich in Ruhe. Ihr könnt mich alle mal.“ Mit der Entscheidung gehe es ihr gut. Nie wieder Rechenschaft­ ablegen. Keine Kompromisse mehr machen. „Und gerade jetzt, wo man eh nicht so viel hat, da muss ich nicht auch noch teilen“, sagt Petra und muss selbst über ihre Aussage schmunzeln. Dann erzählt sie, dass sie vor zwei Jahren zwei Katzen übernommen habe. Die seien „schweineteuer“. „Dann noch einen Kerl?“, fragt Petra und schüttelt energisch den Kopf. „Und wenn es ganz doll drückt: Du weißt ja, was die Kerle können, können Frauen auch.“

Doch nicht allen Hinz&Künzt­ler:innen fällt es leicht, so offen und direkt zu sprechen. Matas* etwa reagiert, angesprochen auf sein Dating-Verhalten, irritiert und läuft leicht rot an: „Frauen?“ Der gebürtige Litauer hatte wohl mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass jemand von ihm wissen will, wann er sein letztes Date hatte. Der große, sportliche Mann hat andere Sorgen. Sein Verkaufsausweis wurde ihm geklaut. Jetzt wartet er vor dem Hinz&Kunzt-Haus auf ­Ersatz. Ihn treibt der Wunsch nach Arbeit um, nach einer Wohnung. „Ohne Wohnung, ohne Auto, ist schwer Frau kennenlernen“, sagt er in ge­brochenem Deutsch. Dabei geht der 43-Jährige mit seinen kurz geschorenen Haaren und dem gepflegten ­Äußeren locker als Frauenschwarm durch. Er sei auf der Suche nach ­Bekanntschaften, beteuert Matas. Dann beugt er sich vor und erklärt, dass er Mitglied einer freikirchlichen Gemeinde sei. Nicht das, sondern was jetzt folgt, ist sein Geheimnis: Matas ist unglücklich verliebt. In eines der Gemeindemitglieder. „Die Frau hat nicht Nein gesagt“, erklärt er. „Aber auch noch nicht Ja.“ Der Litauer wirkt schüchtern, zurückhaltend. Bei einer Dating-App hätte er womöglich längst Gewissheit, wenn seine große Liebe beim Anblick seines Fotos in der App den virtuellen Daumen ge­hoben oder gesenkt hätte. So aber wird er weiter warten und regelmäßig zu den Gemeindetreffen gehen müssen.

Falsche Liebe

Die Polizei Hamburg warnt vor sogenanntem „Love Scamming“ oder „Romance Scamming“. Betrüger:innen würden sich auf Social-Media-Plattformen oder Dating-Portalen falsche Profile erstellen und ihrem Gegenüber echtes Interesse an einer Partnerschaft vortäuschen. Misstrauisch werden sollten Sie laut Polizei etwa, wenn Sie schon nach kurzer Zeit mit Liebes­erklärungen überhäuft werden oder Sie um Geld oder die Eröffnung eines gemeinsamen Kontos gebeten werden. Weitere Infos: www.huklink.de/romance-scamming

Artikel aus der Ausgabe:

Dating für Arme

Alle daten heutzutage mit Apps – was bedeutet das für Menschen mit wenig Geld? Dating-Apps sind „ein fucking Business-Case“, warnt die Sozialpsychologin Johanna Degen im Interview. Außerdem: ein Treffen mit Schlagerstar Kerstin Ott und die spannende Suche nach den Autor:innen eines gefälschten Umberto-Eco-Buchs.

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Autor:in
Jonas Füllner
Jonas Füllner
Studium der Germanistik und Sozialwissenschaft an der Universität Hamburg. Seit 2013 bei Hinz&Kunzt - erst als Volontär und inzwischen als angestellter Redakteur.
Annette Woywode
Chefin vom Dienst und stellvertretende Chefredakteurin
Lukas Gilbert
Lukas Gilbert
Studium der Politikwissenschaft in Hamburg und Leipzig. Seit 2019 bei Hinz&Kunzt. Zunächst als Volontär, seit September 2021 als Redakteur.

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