Kennedy-Brücke : Bezirk vertreibt obdachlose Familie

Im Dunkeln hat der Bezirk Mitte am Mittwoch eine Familie mit Kindern von der Alster vertrieben, weil sie dort gezeltet hatte. Ein Beispiel für den hilflosen Umgang der Stadt mit obdachlosen Familien aus Osteuropa.

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Neben der Kennedy-Brücke haben viele ihr Zelt aufgeschlafen. Der vertriebenen Familie gehörte das große vorne links.

Der Bezirk Mitte hat einer obdachlosen Familie mit drei Kindern das Zelten an der Alster untersagt. Obwohl Kinder im Spiel waren, musste die Familie aus Osteuropa am Mittwochabend um 21 ihr Zelt neben der Kennedy-Brücke abbauen und das Areal verlassen. Eine Sprecherin des Bezirksamts Mitte bestätigte Hinz&Kunzt, dass der Bezirkliche Ordnungsdienst (BOD) gegen sie einen Platzverweis ausgesprochen und den Abbau des Zeltes kontrolliert hat. „Sie sind aufgefordert worden, den Platz zu Räumen, weil das Zelt öffentlich sichtbar war“, so Bezirksamtssprecherin Sorina Weiland. Der Räumung wären bereits mehrere Platzverweise vorausgegangen.

Hinz&Künztler Sascha hat die Räumung beobachtet und berichtet: „Die vom Ordnungsdienst haben gesagt, wenn die Familie nicht verschwindet, würden sie das Zelt selber abreißen und ihr die Kinder wegnehmen.“ Sascha macht selbst seit Kurzem unter der Kennedy-Brücke Platte und erzählt, die Familie habe sich „sehr gut“ um die Kinder gekümmert. „Denen hat einfach nur eine Wohnung gefehlt“, sagt er. Bezirkssprecherin Weiland sagt, die obdachlosen Kinder seien nicht der Grund für den Einsatz des BOD gewesen. Der Bezirk könne vielmehr keinen „Präzedenzfall“ geduldeten Campings schaffen: „Sie können sich ja vorstellen, wie die Parks dann aussehen würden“, so Weiland. Sascha verärgert das. „Man darf da keine obdachlosen Familien sehen, schließlich fahren auf der Alster Touristen vorüber“, sagt er. „Man kennt das ja: Aus den Augen, aus dem Sinn.“

Die Kinder hätten nach dem Abbau des Zeltes zusammen mit ihrer Großmutter in einem leerstehenden, kleineren Zelt unter der Kennedy-Brücke geschlafen, erzählt Sascha. Der Rest der Familie sei verschwunden. Eine Alternative für die Nacht hat der Ordnungsdienst ihnen offenbar nicht aufgezeigt. „Es ist nicht die Aufgabe des BOD, für Alternativen zu sorgen“, sagt Weiland und verweist auf die Eigenverantwortung der Familie. „Man kann von Gästen in der Stadt erwarten, dass sie sich selbst darum kümmern, wo sie unterkommen.“

Vertreibung ist keine Lösung

Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer hält dagegen, dass die Familie offenbar durch eine Notlage in der Parkanlage gelandet ist. „Es ist keine Lösung, die Menschen zu vertreiben. Sie sind weiterhin obdachlos.“ Dass die Familie am späten Abend einfach weggeschickt wurde, macht ihn wütend. Gleichzeitig betont er: „Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Familien auf der Straße leben!“

Für obdachlose Zuwanderer aus Osteuropa müsse dringend eine Lösung gefunden werden, denn im Winter würden wahrscheinlich noch mehr kommen. BOD-Mitarbeiter berichten bereits jetzt von einer spürbaren Zunahme der draußen schlafenden Osteuropäer. „Alle Obdachlosen müssen das Recht auf eine Unterkunft haben!“, sagt Karrenbauer. „Wir brauchen Unterkünfte für diese Menschen.“ Mahnend erinnert er an das durchlässige soziale Netz in Südeuropa, wo es viel mehr obdachlose Familien gebe: „Oder ist es gewollt, den sozialen Standard bei uns von Italien und Griechenland einzuführen, um Flüchtlinge abzuschrecken? Dann sollen die Verantwortlichen das auch sagen.“

Text: Benjamin Laufer
Foto: Hinz&Künztler Sascha

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