Lampedusa-Geflüchtete : In Hamburg angekommen

Der leidenschaftliche Basketballer Ousmane Kabore hat in Hamburg eine Familie gegründet. Foto: Dmitrij Leltschuk
Hinz&Kunzt Randnotizen

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Vor zehn Jahren kamen 300 Lampedusa-Geflüchtete nach Hamburg. Wie geht es ihnen heute? Wir haben Stephen Takyi, Ali Sudan, Ousmane Kabore und Kodjo Anabisa getroffen.

Ousmane Kabore

Ousmane Kabore trainiert in jeder freien Minute auf dem Spielfeld im „Park Fiction“, direkt gegenüber der St. Pauli Kirche, in der er fast anderthalb Jahre lang wohnte. Heute lebt er mit seiner Freundin und ­seinem fünf Jahre alten Sohn in einer Wohnung um die Ecke, jobbt im Jugend­zentrum und in einem Restaurant im Viertel. Und er spielt ­Basketball in der Kreisliga für den FC St. Pauli. Zu schreiben, er sei „angekommen“, wäre wohl eine Untertreibung.

Ousmane ist 30 Jahre alt und kommt aus Burkina Faso. Er war einer der Jüngsten in der Lampedusa-Gruppe, hatte aber schon eine lange ­Leidensgeschichte hinter sich, als er in Hamburg landete. Er war vier, als seine Mutter als „Hexe“ verfolgt und aus dem Heimatdorf vertrieben ­wurde. Ousmane wuchs unter Anfeindungen auf und verließ mit 14 sein Dorf, suchte sich erst in Niger und später in Libyen Arbeit. Als dort der Krieg eskalierte, bestieg er mit 200 anderen Geflüchteten ein Boot ­Richtung Lampedusa. Das Boot sei fast untergegangen, erinnert er sich, er habe die Löcher im Rumpf mit seinen Klamotten gestopft. Noch Jahre ­später sei er Menschen begegnet, die auf demselben Boot waren wie er und sich für seinen Einsatz bedankten.

Lampedusa in Hamburg

Plötzlich waren sie da: 300 Männer aus afrikanischen Ländern stranden im Frühjahr 2013 in Hamburg auf der Straße. Sie waren wie viele andere aus Ländern wie Ghana und Nigeria nach Libyen ausgewandert, mussten später von dort vor dem Krieg fliehen – auf die italienische Insel Lampedusa. Weil Italien sich mit der großen Zahl überfordert fühlte, schickte das Land die Männer einfach weiter nach Norden. Hamburg war rechtlich nicht zuständig – und wollte sie wieder nach Italien abschieben. Doch die Geflüchteten wollten bleiben und arbeiten. Sie fanden Unterstützung: 80 von ­ihnen nahm die St. Pauli Kirche auf, 150 fanden bei Privatleuten Obdach (etwa in Wohnprojekten), viele Tausend Menschen demonstrierten für das Bleiberecht der Gruppe.

Ihr Schicksal war zum Symbol für die gescheiterte Flüchtlingspolitik der EU geworden. Nach zähen Verhand­lungen versprach der SPD-Senat schließlich, dass alle bis zum Ende ihres Verfahrens in Hamburg geduldet würden, wenn sie sich einer Einzelfallprüfung stellten. Das war umstritten, die juristischen Chancen standen schlecht; nur ein Drittel der Gruppe ließ sich darauf ein. Zehn Jahre später ist klar: Die allermeisten, die den Deal annahmen, durften ganz offiziell bleiben. Viele andere leben in der Illegalität – oder sind weitergezogen. bbu

Als klar war, dass es in Italien keine Zukunft für ihn gebe, wollte er ­eigentlich nach Frankreich, wegen der Sprache. Doch die Frau am Schalter verkaufte ihm ein günstiges Ticket nach Hamburg. So landete er hier, lebte zwei Monate lang auf der Straße, knüpfte in einem Wettbüro Kontakte zu anderen Afrikanern und stieß zur Gruppe der Protestierenden. „Es war nicht leicht, Anschluss zu finden und zu verstehen, worum genau es ging“, erinnert er sich heute, „denn die meisten sprachen Englisch untereinander, ich kann aber nur Französisch, Arabisch und meine Stammessprache.“

Über den Kreis der Unterstützer:innen lernte Ousmane später seine Freundin kennen, und seit der Geburt seines Kindes hat er eine sichere Aufenthaltserlaubnis. Einfach waren die letzten Jahre trotzdem nicht. ­Sein Sohn erkrankte mit zwei Monaten an Leukämie, musste lange im Krankenhaus behandelt werden. Der ständige Kontakt mit Ärzt:innen und Pfleger:innen habe viel dazu beigetragen, dass sein Deutsch sich so verbessert habe, sagt Ousmane.

Heute ist der Kleine wieder gesund und war sogar schon zweimal mit in Burkina Faso, erzählt Ousmane. In seinem Heimatdorf Loumbila unterstütze er inzwischen eine Schule, mit Spenden, die er mithilfe von ­Freund:innen und Unterstützer:innen sammele. Die Leute, die seiner Mutter und ihm damals das Leben schwermachten, seien inzwischen alt oder ­verstorben und er hege keinen Groll mehr, sagt Ousmane. Auch wenn er das nur schwer erklären könne und in St. Pauli ein Zuhause gefunden habe: „Meine Heimat ist immer noch in Burkina Faso.“

Stephen Takyi

Stephen Takyi sitzt in der Bar im Erdgeschoss des historischen Eckhauses in Wilhelmsburg, dessen Miteigentümer er ist. Er und seine rund 40 Mitbewohner:innen kauften das viergeschossige Haus vor acht Jahren. Sie sind Teil des linken Wohnprojekts „GoMokry*“. Das Ladenlokal, in dem Stephen Besuch empfängt, ist Veranstaltungsort für regelmäßige „Soli-Partys“.

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Artikel aus der Ausgabe:

Zehn Jahre Lampedusa in Hamburg

Nach der Solidaritätswelle: Wie die Lampedusa-Geflüchteten in Hamburg angekommen sind – und wie die EU sich an ihren Grenzen immer weiter abschottet. Außerdem: Wieso Hamburgs Wohnunterkünfte überfüllt sind wie sich ein Festival gegen Antisemitismus stark macht. 

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Autor:in
Yasemin Ergin
freie Journalistin

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