Weihnachten : Wie ein Weihnachtsmann die Feiertage erlebt

Wir haben den Weihnachtsmann getroffen – den echten natürlich! Foto: Andreas Hornoff

Seit 36 Jahren beglückt Weihnachtsmann Claudius Familien in Norddeutschland mit einer aufwendigen Bescherung. Ein Treffen in der Vorweihnachtszeit.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Falls sich die Verkäuferin über diesen Besucher wundern sollte, lässt sie es sich nicht anmerken. Er sei der Weihnachtsmann, sagt der ältere Herr, bevor er eine Riesencurrywurst mit Pommes und einen Kakao mit Sahne bestellt. Wer weiß, wen sie hier auf dem Hamburger Winterdom Tag für Tag mit Bratwürsten beglücken, vielleicht Staatsmänner und Staatsfrauen, tatsächliche und selbsternannte Stars, und heute eben ihn: den Weihnachtsmann. „Unsere Soße ist super“, sagt die Verkäuferin nur. Es ist ja auch nicht einfach, Prominenz zu erkennen, wenn sie – wie Weihnachtsmann Claudius an diesem Novemberabend – derart inkognito unterwegs ist.

Mit schwarzem Mantel und schwarzem Hut, angereist aus einem Ort im Norden, der hier nicht genannt werden soll; genauso wie sein echter Name. Der Weihnachtsmann ist eine „mystische Figur“, sagt Claudius, und das soll er auch bleiben. Mit Sorge beobachtet er, wie sich im Fernsehen und anderswo vermeintliche Weihnachtsmänner demaskieren. Wie soll so denn bitte der kindliche Glaube an den Weihnachtszauber gewahrt bleiben?

„Die erste Regel des „Weihnachtsmann­Kodex“: Der Weihnachtsmann mag alle Kinder.“– Weihnachtsmann Claudius

Es gibt deswegen ein paar Regeln, die er und andere professionelle Weihnachtsmänner vor ein paar Jahren aufgestellt haben. Den „Ehrenkodex des Weihnachtsmannes“ haben sie ihn genannt. Die erste Regel: Der Weihnachtsmann „mag alle Kinder, von 0 bis 100 Jahren und älter“. Weiter: Der Weihnachtsmann flucht nie. Er trinkt, raucht und telefoniert nicht im Kostüm. Und er ist immer korrekt gekleidet.

Geheimnis gelüftet: Wegen der Schellen an den Stiefeln
klingelt es, wenn der Weihnachtsmann zur Bescherung kommt. Foto: Andreas Hornoff

Weihnachtsmann Claudius trägt bei seinen Besuchen ein Gewand, das ausgefeilt ist bis zu den Schellen seiner Stiefel. Mantel und Mütze in Rot-Weiß, dichter Bart und lange Handschuhe. Sogar weihnachtliche Badekleidung besitzt Claudius; die trägt er allerdings nur auf dem Weltkongress der Weihnachtsmänner, der jeden Sommer in Kopenhagen stattfindet.

Sein erstes Kostüm kauft er 1985. Damals war er selbst noch Student und seine eigenen Kinder noch klein. Eines Abends sah er einen Weihnachtsmann: Der trug nicht nur grüne Stiefel, sondern bestrafte die Kinder auch noch mit einer Rute. Der junge Vater war entsetzt. Er ging in die Bibliothek, las über Weihnachten und seine Bräuche, bei Hans Christian Andersen und Theodor Storm; und schrieb danach ein erstes Drehbuch für seinen eigenen Weihnachtsabend, ein Ritual auf vier DIN-A4-Seiten.

Besondere Begegnungen

Bis heute bereitet er jeden seiner Besuche akkurat vor. Pünktlich müssen die Eltern mehrere Formulare ausfüllen, 55 Fragen beantworten: Wie heißen Kuscheltiere und Großmütter? Hat das Kind den Baum geschmückt? Was hat es gut gemacht im vergangenen Jahr, was weniger? Diese Frage ist übrigens mit einem Sternchen markiert: Wenn es nichts Negatives gibt, umso besser.

Als Student bekam Claudius pro Besuch noch 20 DM, heute sind es rund 100 Euro. Ein gängiger Preis für Weihnachtsmänner, wenn man sich im Netz umsieht. Die meisten Familien, die Claudius buchen, müssen für seinen Besuch nicht sparen. Der Großteil sind Gutverdienende. Mag sein, dass es daran liegt, dass er, wie er sagt, ein „Professional“ ist – professioneller Bart, professioneller Mantel, professioneller Auftritt.

Aber vielleicht ist ihm deswegen diese Familie besonders in Erinnerung geblieben: Die Tochter hatte zwei Wünsche, ein Fahrrad und den Weihnachtsmann. Weil die Eltern sich nur eines leisten konnten, buchten sie ihn, Claudius, für den Weihnachtsabend. Nach seinem Besuch fragte er das Mädchen, ob es zufrieden sei mit den Geschenken. Das Mädchen nickte. Und das, obwohl es noch gar nicht wusste, dass im Treppenhaus ein Fahrrad wartete. Die Eltern hatten doch noch ein gebrauchtes Rad bekommen.

Menschen freuen sich, umarmen ihn, sind dankbar

Neben solchen Besuchen in Familien gibt es auch in diesem Jahr Weihnachtsmänner in Hamburg, die zu denjenigen gehen möchten, die sonst alleine wären. Bei Essenausgaben, in Kinder- und Seniorenheimen. Einer erzählt am Telefon, was auch Claudius seit Jahren beeindruckt: dass Menschen sich über die Aufmerksamkeit freuen, ihn umarmen, dankbar sind.

Ein Anruf bei Thomas Hauschild, Weihnachtsmann-Experte. Vor knapp zehn Jahren hat der Ethnologe ein Buch veröffentlicht: „Die wahre Geschichte des Weihnachtsmannes“. Darin beschreibt er den Streit, den es um dessen multiple Ausprägungen gibt. Und auch, wie dieser Streit immer häufiger politisch instrumentalisiert wird. Nikolaus, Santa Claus – wer ist denn nun der richtige? Hauschild sagt: Den gibt es nicht, der Weihnachtsmann sei eine „kollektive Fantasiebildung“.

„Figuren wie der Weihnachtsmann ermöglichen ein Ritual, durch das Menschen Hilfen und Gaben annehmen können, ohne sich finanziell abhängig fühen zu müssen.“– Thomas Hauschild, Weihnachtsmann-Experte

Denn in vielen Kulturen gebe es seit jeher ähnliche Figuren, die im Winter plötzlich auftauchen und Gaben verteilen. Egal ob Christkind oder Väterchen Frost: Sie alle richten sich an die Armen und Schwachen einer Gesellschaft. Mit Religion haben sie nur bedingt zu tun. Vielmehr ermöglichen sie ein Ritual, durch das Menschen Hilfen und Gaben annehmen können, ohne sich von denjenigen abhängig fühlen zu müssen, die finanziell bessergestellt sind.

Weihnachtsmann Claudius besucht nun seit 36 Jahren die Wohnzimmer unterschiedlicher Familien, glücklicher und weniger glücklicher. Er war inmitten streitender Familien und solcher, die friedlich wirkten und im nächsten Jahr getrennt lebten. Der Weihnachtsmann, sagt Claudius, stehe dabei immer auf der Seite der Kinder. Er erwartet, dass die ganze Familie mithilft, das Geheimnis seiner Identität zu wahren. Zumindest bis die Kinder neun Jahre alt sind. Dann fragt er die Eltern, ob sie sicher sind, dass ihr Kind noch an den Weihnachtsmann glauben sollte. Manche sagen dann: An ihn, den Weihnachtsmann Claudius, schon.

Artikel aus der Ausgabe:

Ich sehe was, was ihr nicht seht

Über den Ehrenkodex des Weihnachtsmannes, das Leben mit Behinderung in Hamburg und die Anfänge der Hamburger Graffiti-Szene. Im Interview: EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit über Obdachlosigkeit und Mindestlöhne in Europa.

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Autor:in
Lukas Gilbert
Lukas Gilbert
Studium der Politikwissenschaft in Hamburg und Leipzig. Seit 2019 bei Hinz&Kunzt. Zunächst als Volontär, seit September 2021 als Redakteur.

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