Kicken an der Copacabana

Seit sieben Jahren fährt Hinz&Kunzt-Fotograf Mauricio Bustamante zur Fußball-Weltmeisterschaft der Obdachlosen. Begeistert hat er uns vom diesjährigen „Homeless World Cup“ in Rio de Janeiro erzählt, von Fußball am Strand und geplatzten Träumen.

213-kickenErst beim Ausflug auf den Zuckerhut haben die deutschen Spieler gemerkt, dass sie wirklich in Rio de Janeiro sind. Bis dahin waren sie die ganze Zeit auf dem Turnierplatz gewesen. Aber an diesem Tag sind die sechs Spieler, ihr Trainer Stefan Huhn und Katrin Kretschmer, die Teamleiterin, mit der Seilbahn auf den Zuckerhut gefahren. Als wir oben waren, wollte ich ein Foto machen, dafür haben alle ihre Trikots angezogen. Und plötzlich war die Hölle los: Brasilianische Kinder kamen auf uns zugestürmt, alle wollten mit den Spielern fotografiert werden. Auf einmal wurden die Jungs behandelt wie richtige Stars! Die Stimmung war in Rio die ganze Zeit über genial. Die beiden Spielfelder waren am Strand von Copacabana aufgebaut – eine unglaubliche Kulisse. Es war angenehm warm, die Leute sind nach jedem Spiel ins Meer gesprungen. Rund um das Turniergelände spielten die Kinder im Sand Fußball – und abends haben sie gebettelt, dass sie noch mit dem deutschen Team kicken durften.
Auf dem Platz waren alle fair. Das ist bei 440 Spielern aus 49 Ländern ja überhaupt nicht selbstverständlich, zumal sie alle in irgendeiner Form Erfahrungen mit Obdachlosigkeit, Armut, Drogen oder Gewalt gemacht haben. Das Niveau der Teams war zum Teil sehr unterschiedlich, aber es gab zum Glück viele gute Verlierer.
Ich fand auch, dass die deutsche Mannschaft als Team gut funktioniert hat. Das war echt eine coole Truppe. Und das, obwohl sie so unterschiedlich sind: Der jüngste Spieler, Patrick Bochmann aus Leipzig, ist gerade mal 18 Jahre, die Ältesten sind mehr als doppelt so alt. Zum Glück war Jiri Pacourek aus Nürnberg dabei, der hat das Team zusammengehalten und öfter mal Streit geschlichtet. Den gab es vor allem gegen Ende des Turniers, als nach der Niederlage gegen die Philippinen am sechsten Spieltag klar wurde, dass das deutsche Team es nicht auf die vorderen Plätze schaffen würde. Am Ende haben sie den 32. Platz erreicht, da waren schon einige enttäuscht.
Ein schwerer Schlag war auch die Verletzung von Torwart Steven Duda aus Bensheim: Der hat sich am dritten Spieltag den Finger gebrochen und musste von da ab vom Spielfeldrand aus zusehen. Und Thiago Keller aus Gifhorn wurde nachts von sechs Jugendlichen mit vorgehaltenem Messer ausgeraubt – zum Glück ist ihm nichts passiert! Aber trotz aller Probleme hat das Team bis zum Schluss super zusammengehalten. Ich freue mich schon darauf, nächstes Jahr nach Paris zu fahren – mal gucken, ob die Brasilianer dort ihren Titel verteidigen können!

Spiele im Rotlicht

Mehr Kunden, mehr Geld, mehr Gewalt: Was Großereignisse wie die Fußball-WM Hamburger Prostituierten bringen

(aus Hinz&Kunzt 160/Juni 2006)

Zur Fußball-Weltmeisterschaft werden Fans aus aller Welt in Hamburg erwartet. Vor allem Männer. Und die, so die Vermutung, haben nicht nur Lust auf Fußball und Bier, sondern auch auf Liebesdienste. Oder wie es in einer Presseerklärung der Gesundheitsbehörde heißt: „Gerade im Zusammenhang mit internationalen Großveranstaltungen – wie etwa der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland – florieren auch die direkten Kontakte von Mensch zu Mensch.“ Für manche eine willkommene Belebung des ältesten Gewerbes der Welt, für andere eine Zunahme von Aggression und Gewalt.

Hüter der Halme

Säen, mähen, striegeln: Ein Jahr lang haben Auserwählte das Grün herangezogen, das in diesem Monat in den WM-Stadien ausgerollt wird. Die Hamburger Fotografin Susanne Katzenberg hat die aufwändige Produktion von Fußballrasen dokumentiert

Kicken mit Wir-Gefühl

Anpfiff zur zweiten Straßenfußball-Weltmeisterschaft in Göteborg

(aus Hinz&Kunzt 138/August 2004, Die Verkäuferausgabe)

Ende Juli begann die Streetsoccer-Weltmeisterschaft der Obdachlosen in Göteborg. Dort treffen sich zum zweiten Mal Straßenfußballer aus rund 30 Nationen. Die Ergebnisse lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor.

Die Champions aus Graz

Wie Obdachlose aus aller Welt die Streetsoccer-Weltmeisterschaft gewannen

(aus Hinz&Kunzt 126/August 2003)

Das Ganze fing chaotisch an, auf dem Hamburger Hauptbahnhof – und beinahe hätte die Streetsoccer-Weltmeisterschaft ohne die Spieler aus der Hansestadt stattgefunden. Hinz & Künztler Blondi stand zwar verabredungsgemäß morgens um 5 Uhr auf dem Bahnsteig; er hatte extra durchgemacht, um bloß nicht zu verschlafen.

Wer fehlte, war Mitspieler Frank, genannt Onkel. Und der hatte die Bahnfahrkarten. Völlig entnervt zog Blondi ab. Dachte schon, dass jetzt alles aus sei. Stunden später wachte Onkel auf, raste zum Bahnhof – und fand keinen Blondi. „Ich wusste nicht, was ich machen sollte, also setzte ich mich in den Zug und fuhr los“, sagt der 37-Jährige.

Nur mit Mühe konnte der Vertrieb den verprellten Blondi überreden, hinterherzufahren. „Als ich ankam, war das Eröffnungsspiel schon um“, sagt Blondi. Dafür gab’s großes Hallo. „Eh, du musst der zweite Spieler aus Hamburg sein“, wurde er gleich am Eingang der Schule begrüßt, in der die obdachlosen Champions aus aller Welt schlafen konnten.

Onkel hatte sich schon eingelebt. Zusammen mit den deutschen Kollegen aus Stuttgart, Freiburg und Regensburg teilte er sich ein Zimmer. Aber er wollte auch die anderen kennen lernen. Sprachschwierigkeiten? „Eigentlich nicht, wir verständigten uns mit Händen und Füßen.“ Zugegeben: Tiefsinnige Gespräche wurden nicht geführt. „Wir haben mehr gefeiert“, räumt Onkel ein. Aber ein bisschen was mitgekriegt hat man schon.

Die Russen zum Beispiel, so glaubt Onkel, wurden von ihrem Trainer ganz schön abgeschottet. „Die hatten erst mehr Kontakt, als der Trainer vorzeitig abgereist ist.“ Noch schlimmer soll es einer anderen Mannschaft ergangen sein. „Die waren sogar woanders untergebracht“, sagt Blondi. „Und wenn sie schlecht gespielt haben, mussten sie zum Straftraining, wie bei der echten Bundesliga.“ Genützt hats ihnen nichts, wie sich später herausstellen sollte.

„Fünf Minuten – und mir brannte die Lunge“

Die Grazer Spieler taten den Hamburgern sogar richtig Leid: „Die mussten morgens noch Zeitungen verkaufen, sonst wurde ihnen der Ausweis entzogen, nachmittags mussten sie trainieren und abends spielen.“ Dafür gehörten die schwarzen Asylbewerber, fast alle jung und sportlich, auf dem Spielfeld zu den Cracks. „Insgesamt gab es wahnsinnige Unterschiede.“ Tolle Spieler waren auch die Engländer. Die hatten im Voraus „gesiebt“, ein Profitrainer hatte die Mannschaft zusammengestellt. „Wenn man denen zugeguckt hat, konnte man richtig was lernen“, sagt Onkel anerkennend.

Meist ging es fair zu auf dem Feld. Einmal allerdings bekam Onkel von einem Waliser Gegenspieler „eine geditscht“. Abends beim Feiern kam der Mann auf ihn zu. „Ich wusste erst gar nicht, was er wollte“, sagt Onkel. „Aber dann war ich ganz baff: Der entschuldigte sich.“ Und die Schweizer („Mit denen verstanden wir uns am besten“) bekamen am Ende sogar noch einen Preis für faires Spiel verliehen. Auf dem Spielfeld gehörten die Schweizer zusammen mit den Deutschen allerdings zu den Losern unter den Mannschaften.

Bei den Deutschen kein Wunder: Die Mannschaft hat sich erstmals in Graz vollzählig gesehen. Zwar trugen sie auf ihrem orangefarbenen Trikot die Aufschrift „Venceremos“ („Wir werden siegen!“). Aber das mit dem Siegen war eher symbolisch zu verstehen, fanden die Spieler. Auch die Farbe des Trikots war irritierend. Denn Orange ist die Farbe der Niederländer. „In der Stadt wurden wir deswegen öfter auf Holländisch angesprochen“, sagt der Hinz & Künztler. Was ja noch nett war. Aber im Spiel gegen die Niederländer machte Onkel einen fatalen Fehler: „Wir spielten an dem Tag zwar in grünen Trikots, aber ich habe automatisch einen Orangenen angespielt.“ 

An den Ergebnissen hätten andere Trikots wohl nichts geändert. Die Kondition der Deutschen war einfach schlecht. „Fünf Minuten auf dem Spielfeld, und mir brannte die Lunge“, sagt Onkel. Aber das soll sich ändern. Blondi und Onkel wollen bei den Hobbykickern in der Mannschaft von H&K-Fotograf Mauricio Bustamante mitspielen.

Birgit Müller

„Das jagt dir eine richtige Gänsehaut ein“

0:14 im Auftaktspiel gegen Holland, 1:8 gegen Südafrika in der zweiten Partie, am Ende der Vorrunde 0 Punkte und 4:44 Tore aus sechs Spielen – perfekt kann man den Start der deutschen Fußballer ins WM-Turnier nicht wirklich nennen. Doch der Teamchef war bestens gelaunt: „Was für eine grandiose Atmosphäre. Wenn im vollen Stadion 1500 Zuschauer La Ola machen, das jagt dir eine Gänsehaut ein“, schwärmte Reinhard Kellner, der im Hauptberuf Geschäftsführer eines Regensburger Sozialverbandes ist und ehrenamtlich Chefredakteur der Straßenzeitung „Donaustrudl“. „Die Resultate sind da nebensächlich.“

Denn bei dieser Streetsoccer-Weltmeis-terschaft in der Europäischen Kulturhauptstadt traten – auf kleinem Straßenpflaster-Feld mit Banden – Obdachlose und Straßenzeitungsverkäufer aus 18 Ländern an. Menschen, die in soziale Not geraten sind und hier zeigten, was sie leisten können, wenn man ihnen eine Chance gibt und sie motiviert. In Graz boten sie teils erstklassigen Sport und packende Partien.

Träume wurden wahr: für die einen die erste Auslandreise ihres Lebens (alles finanziert von Sponsoren), für andere, die herausragenden Kicker, Verträge als Profifußballer (wirklich wahr!), für das österreichische Team, allesamt afrikanische Asylbewerber, nach dem gewonnenen WM-Titel vielleicht sogar die Einbürgerung. „Die Resonanz war unglaublich“, freut sich Judith Schwendtner vom Ausrichter, der Grazer Straßenzeitung „Megaphon“, über das Interesse der Medien. „Hier waren Fernsehteams und Zeitungen aus aller Welt. Und die waren nicht nur stolz auf ihre Spieler und haben über den Sport berichtet, sondern eben auch über Armut und Obdachlosigkeit in ihren Ländern.“

Deutschland wurde am Ende Sechzehnter. Mit mehr hatte Reinhard Kellner nicht gerechnet, eher mit dem letzten Platz. Sein Team jedenfalls, das als einziges nicht im Original-Nationaltrikot auflief, sondern in – vom Greenpeace Magazin gesponsorten – Orange-Schwarz, nahm’s undeutsch locker. „Auf meinen Wunsch war ‚Venceremos!‘ auf unsere Trikots gedruckt. Das heißt ‚Wir werden gewinnen!‘“, sagte der Bundestrainer. „Das stimmt ja auch“, fand sein Verteidiger Günther Bieda trotz eines Muskelfaserrisses: „Jeder, der dabei war, hat was gewonnen: Respekt, Selbstvertrauen und Freunde.“

Michael Friedrich