Sprachkurs bei Hinz&Kunzt

Erste Sätze auf Deutsch

Eine Gruppe von Menschen sitzt an einem Tisch, alle schauen zum Mann am Tischkopf
Eine Gruppe von Menschen sitzt an einem Tisch, alle schauen zum Mann am Tischkopf
Beliebt bei Verkäufer:innen des Straßenmagazins: der Sprachkurs in den Räumen von Hinz&Kunzt (in der Mitte Lehrer Benjamin Key). Foto: Dmitrij Leltschuk

In den Hinz&Kunzt-Sprachkursen lernen Verkaufende des Magazins Deutsch so, dass sie sich schnell verständigen können. Die Kurse sind begehrt.

Auch Personalpronomen wollen gelernt werden. „Sie heißt Benni“, sagt Elena* und blickt erwartungsvoll in die Runde. „Ist Benni eine Frau?“, fragt Cedric Horbach, einer der beiden Lehrer beim Hinz&Kunzt-Sprachkurs. Die Rumänin schlägt die Hand vor den Mund und kichert. „Er heißt Benni“, verbessert sie sich.

Ein Dutzend Menschen sind an diesem Dienstagnachmittag ins Hinz&Kunzt-Haus gekommen, um Deutsch zu lernen. Seit drei Jahren haben Magazinverkäufer:innen hier die Möglichkeit, sich erste Sprachbausteine anzueignen. „Wir bringen den Leuten Alltagsdeutsch bei, das sie sofort anwenden können“, sagt Horbach. Der 34-Jährige arbeitet seit vielen Jahren in der Teamassistenz von Hinz&Kunzt und hat das Konzept für die beiden aufeinander aufbauenden Kurse entwickelt – unterstützt von Didaktik-Expertin Maria Stenico von der Uni Hamburg. Horbachs Freund Benjamin Key hilft ehrenamtlich beim Unterrichten. Er hat in Indonesien Erfahrungen als Sprachlehrer gesammelt und stellt zufrieden fest: „Die Leute kommen immer mehr aus sich heraus.“

Haben viel Spaß beim Lernen: die Hinz&Kunzt-Verkäuferinnen Elena und Elena. Foto: Dmitrij Leltschuk
Haben viel Spaß beim Lernen: die Hinz&Kunzt-Verkäuferinnen Elena und Elena. Foto: Dmitrij Leltschuk

Die Lerninhalte richten sich an der Lebenswelt von Hinz&Kunzt-Verkaufenden aus: Welche Worte brauche ich rund um das Thema Geld und Bezahlen? Wie heißen die Wochentage und Farben im Deutschen? Und welche Fortbewegungsmittel kann ich nutzen, um zum Verkaufsplatz zu kommen? Ein Höhepunkt ist der gemeinsame Ausflug in einen Supermarkt, um vor Ort zu lernen, welche Begriffe zu welchen Waren passen. „Das kommt gut an“, sagt Cedric Horbach. Das Sprechen stehe immer im Mittelpunkt. „Worte wie ,zwei‘ oder ,zwölf‘ fallen manchen sehr schwer auszusprechen. Deshalb wiederholen wir sie oft.“

Sprachkurse haben bei Hinz&Kunzt Tradition – litten aber oft unter dem Umstand, dass die Verkäufer:innen unter dem Druck stehen, für sich und manchmal auch die Familie Geld zu verdienen. Deshalb bekommen Teilnehmende für jeden Besuch des Kurses fünf Magazine umsonst. Wie wichtig der „Lohnersatz“ für manche ist, hat Horbach erlebt, als der Unterricht kurz vor Erscheinen der neuen Ausgabe stattfand. „Ich hatte den Teilnehmenden vorgeschlagen, dass sie den Bonus am nächsten Tag erhalten. Da haben vier gesagt: ,Nein, ich brauche die Zeitungen jetzt, weil ich sie heute noch verkaufen muss.‘“

Cedric Horbach hat die Kurse entwickelt. Foto: Dmitrij Leltschuk
Cedric Horbach hat die Kurse entwickelt. Foto: Dmitrij Leltschuk

Rund 70 Hinz&Kunzt-Verkäufer:innen haben mittlerweile den hausinternen Sprachkurs besucht, im Januar sollen die nächsten starten. Die große Resonanz zeige, dass das Konzept funktioniert, sagt Sprachlehrer Horbach: „Wer einmal angefangen hat, kommt regelmäßig.“

Mattheus hat den Anfänger:innen- und Fortgeschrittenenkurs besucht. Als der Pole vor einem Jahr zu Hinz&Kunzt kam, sprach er kein Wort Deutsch. Weil zumindest rudimentäre Deutsch- oder Englischkenntnisse Voraussetzung für die Aufnahme als Verkäufer sind, war der Sprachkurs eine Bedingung für ihn. „Ich habe zuletzt drei Jahre in Hamburg Wohnungen entrümpelt“, erzählt der 32-Jährige mithilfe eines Dolmetschers. „Da alle Kollegen Landsleute waren, habe ich dabei aber kein Deutsch gelernt.“ Dann verlor er nicht nur den Job, sondern auch das Zimmer: Er konnte die Miete nicht mehr bezahlen. Der Neustart bei Hinz&Kunzt ist ihm gelungen. Und dank des Sprachunterrichts kann er am Verkaufsplatz und anderswo inzwischen zumindest kleine Alltagsgespräche auf Deutsch führen.

Austausch in fremder Sprache: Marian (links) und Traian. Foto: Dmitrij Lltschuk
Austausch in fremder Sprache: Marian (links) und Traian. Foto: Dmitrij Lltschuk

Damit Hinz&Künztler:innen wie Mattheus auch zwischen den Unterrichtseinheiten lernen können, schickt Horbach ihnen die Inhalte des Unterrichts als Lehrvideo aufs Handy. Wer keines hat, erhält ein gebrauchtes Mobiltelefon aus dem Spendenfundus. „Das ist für manche noch mal eine Extramotivation, den Sprachkurs zu besuchen.“

Viel Freude hat den Sprachlehrern zuletzt „Kola“ bereitet. Der 58-jährige Pole kam vor einem Jahr zu Hinz&Kunzt und „wollte unbedingt sofort Deutsch lernen“, erinnert sich Horbach. Obwohl er wenige Monate später einen Job als Maurer auf einer Baustelle fand, kam er bis zum Abschluss des zweiten Kurses einmal die Woche nach der Arbeit zum Sprachunterricht – weil er diesen so sehr schätzte.

Marian ist an der Reihe, die Namen seiner Kolleg:innen zu nennen: „Sie heißt Honorata, Ali, Elena …“ Immer schneller zählt der Hinz&Kunzt-Verkäufer Namen auf, ohne dabei Sätze zu bilden. „Marian! Langsam, bitte!“, ruft Honorata. Die Runde lacht. Dann spricht sie ihm langsam vor: „Er heißt Ali. Sie heißt Elena …“ Sprachlehrer Cedric Horbach lächelt zufrieden: Seine Schüler:innen sind auf einem guten Weg.

Mitarbeit: Norbert Frater

* Um Obdachlose und ehemals obdachlose Menschen vor Diskriminierung zu schützen, nennen wir sie in der Regel nur beim Vornamen.

Artikel aus der Ausgabe:
Ausgabe 395

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Autor:in
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas schreibt seit vielen Jahren für Hinz&Kunzt - seit 2022 als angestellter Redakteur.

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