Hamburger Seenotretter vor Gericht : „Dieser Prozess ist eine Blendgranate“

Dariush Beigui auf dem Seenotrettungsschiff Iuventa. Foto: Selene Magnolia

Der Hamburger Hafenschiffer Dariush Beigui steht ab Samstag in Italien vor Gericht, weil er dabei geholfen hat, mehr als 14.000 Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten. Die Staatsanwaltschaft sieht das als Beihilfe zur Schlepperei. „Surreal“ nennt er das im Interview.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Hinz&Kunzt: Herr Beigui, Sie sind mit drei anderen Crewmitgliedern der „Iuventa“ wegen „Beihilfe zur unerlaubten Einreise“ in der Zeit zwischen 2016 und 2018 angeklagt. Am Samstag beginnt in Trapani die Vorverhandlung. Rechnen Sie mit einem Prozess?

Dariush Beigui: Ja, in Italien ist das nur eine Pro-forma-Sache, sagen unsere Anwältinnen. Die Ermittlungsbehörden haben fünf Jahre gegen uns ermittelt, die Akten haben 30.000 Seiten, dazu kommen 400 DVDs mit Audioaufnahmen. Es wäre schon komisch, wenn die jetzt sagen würden: „Och, war doch nicht so gemeint.“

Amnesty International hat gefordert, das Verfahren sofort einzustellen. Vor Ort und auch in Hamburg finden Solidaritätsbekundungen statt, zum Beispiel am Samstag ab 11 Uhr am Neuen Kamp. Bekommen Sie das mit?

Ich bin wirklich überwältigt davon. In Hamburger Fenstern sehe ich gefühlt alle 100 Meter eine Flagge von uns. Es ist aber auch seltsam. Ich bin ja seit 30 Jahren selbst linker Aktivist und renne seither auf Solidemos. Jetzt auf einmal der Empfänger zu sein, ist sehr ungewohnt. Es gibt uns natürlich sehr viel Kraft zu sehen, dass so viele Leute auf unserer Seite sind.

Gehen Sie optimistisch ins Gerichtsverfahren?

Zur Person

Hafenschiffer Dariush Beigui (43) ist seit 2016 ziviler Seenotretter. Für seine Einsätze im Mittelmeer auf der Iuventa zwischen 2016 und 2018 steht der Kapitän nun in Italien vor Gericht. Bei einer Verurteilung drohen ihm 20 Jahre Gefängnis.

Erst einmal: Ich bin Punker, ich habe eigentlich so eine ‚No future‘-Haltung (lacht), aber ich weiß es nicht genau … Einen Großteil meines Lebens habe ich mir nicht mal überlegt, was ich nächstes Wochenende mache und ich bin einfach nicht der Typ, der sich jetzt Sorgen macht um etwas, was in zehn Jahren ist. Da habe ich mehr Angst vor dem Klimawandel und vor Nazitruppen bei der Polizei. Unsere Anwältinnen können auch nicht einschätzen, was passieren wird. Wenn es zum Hauptprozess kommt, gehen sie davon aus, dass der zwischen fünf und zehn Jahren dauern kann.

Die Angeklagten habt das Verfahren als „politischen Showprozess“ kritisiert – warum?

Aus den Akten ist ersichtlich, dass auch geklärt werden soll, ob die Boote, die wir auf dem Mittelmeer getroffen haben, überhaupt in Seenot waren. Die Staatsanwälte sind ja keine Trolle bei Twitter, die haben sich ja mit der Thematik beschäftigt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der sich ernsthaft damit beschäftigt hat, voller Überzeugung sagt: „Dieses Boot ist nicht in Seenot. Das hätte es alleine nach Europa geschafft.“ Diese Boote sind völlig überfüllt, die haben nicht genug Sprit und Nahrungsmittel dabei, da sind Schwangere und Verletzte an Bord und die fahren drei Knoten, also 5 Kilometer die Stunde. Niemand mit etwas nautischem Wissen kann meinen, dass sie das so nach Europa schaffen und damit sind sie in Seenot. Damit müssen sie gerettet werden. Das schreibt das Gesetz vor.

Und dennoch sind Sie wegen Beihilfe zur Schlepperei angeklagt.

Wir haben das Gefühl, die italienischen Behörden wollen sich durch den Prozess ihr eigenes Nichthandeln legitimieren. Sie könnten dann sagen: Wir haben gar keine Verpflichtung zu retten. Zum anderen ist es auch eine Blendgranate: Unser Prozess bekommt gerade medial viel Aufmerksamkeit, statt dass darüber geredet wird, dass da draußen beinahe täglich Menschen ertrinken.

Dariush Beigui drohen 20 Jahre Haft

Rechnen Sie trotzdem mit einem Freispruch?

Also, ich fände es nicht schlecht (lacht). Mein Go haben sie. Ich kann es aber nicht einschätzen. Für mich ist so klar, das wir gegen kein Gesetz verstoßen haben, deswegen ist es so absurd, dass wir überhaupt diesen Prozess haben. Aber: Auch in Italien gibt es, wie in ganz Europa, seit Jahren einen krassen politischen Rechtsruck. Wenn wir verurteilt werden, ist es eher ein Zeichen an die Rechte in Europa, als das sie wirklich glauben, dass wir etwas Ungesetzliches gemacht haben.

Sie meinen, es soll ein Exempel statuiert werden?

Genau, das soll Leute abschrecken. Wir und unsere Freund:innen sind seit Monaten mit der Prozessvorbereitung beschäftigt, statt sinnvolle Sachen zu machen. Es bindet auch total viel Geld: Wir gehen davon aus, dass der Prozess uns insgesamt 750.000 Euro kosten wird. Das ist alles totaler Wahnsinn! Wenn wir jetzt verurteilt werden, würde das natürlich einen Rieseneinfluss auf die zivile Seennotrettungsszene haben. Verständlicherweise werden Leute dann vielleicht Angst haben, auf so ein Schiff wie die Iuventa zu gehen als Freiwillige. Weil ihnen auf einmal Knast dafür droht.

Die „Iuventa“ im Einsatz im Mittelmeer. Foto: Moritz Richter

20 Jahre Haft drohen Ihnen nach italienischem Recht. Wie groß ist Ihre Angst davor?

Ich kann jetzt nicht Angst haben vor etwas, was mir vielleicht in zehn Jahren droht, wenn der Prozess so lange dauern sollte. Natürlich habe ich null Bock auf Gefängnis, so gar nicht, weder in Deutschland noch in irgendeinem anderen Land. Ich habe ja nicht mal was gemacht. Eigentlich ist der ganze Prozess noch total surreal für mich.

Denken Sie manchmal, dass Sie das alles nur träumen?

Ich würde es den Menschen, die in meinen Träumen die ganze Zeit ertrinken, wünschen, dass sie nicht wirklich ertrunken sind. Die Iuventa wurde im August 2017 beschlagnahmt, seitdem sind mindestens 10.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken.

Autor:in
Simone Deckner
Simone Deckner
Simone Deckner ist freie Journalistin mit den Schwerpunkten Kultur, Gesellschaft und Soziales. Seit 2011 arbeitet sie bei Hinz&Kunzt: sowohl online als auch fürs Heft.

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