Science Slam : Science-Superstars

Forschung, originell erklärt: Beim Science Slam stimmt das Publikum über den besten Vortrag ab. Foto: Miguel Ferraz.

In Hamburg finden regelmäßig sogenannte Science Slams statt: Menschen jubeln jungen Wissenschaftler:innen auf der Bühne zu. Was ist hier los?

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Um kurz vor neun steigt eine junge Frau auf die Bühne, vor dieses außergewöhnlich aufmerksame Publikum, das auch noch außerordentlich laut klatschen und trampeln kann, und sagt, es gebe hier möglicherweise ein Problem. Sie habe das ein bisschen falsch verstanden, das Konzept der Veranstaltung: Science Slam. Sie kannte vorher nur Poetry Slams – dort tragen Menschen vor Publikum selbstgeschriebene Gedichte vor, manche werden dabei gefeiert wie Superstars; und deshalb hat sie nun ein Gedicht geschrieben, über ihr Forschungs­projekt. Man muss dazu sagen, dass sie an diesem Abend im April von der Bühne des „Uebel & Gefährlich“ auf einen komplett ausgebuchten Saal blickt. Dass manche Zuschauer:innen sogar vor ihr auf dem Boden sitzen, ­direkt vor der Bühne, um auch ja jedes Wort mitzubekommen. Die Erwartungen sind groß.

Die Slammerin legt also los, sie liest ihr wissenschaftliches Gedicht vor, das auf überraschende Weise durch die Geschichte ihrer Forschung trägt: Es erzählt von den Hoffnungen dieser Wissenschaftlerin an die Matrix im menschlichen Gehirn und ihrer Enttäuschung: Darüber, dass man forscht und forscht, und am Ende kommt etwas ganz anderes heraus, als man erhofft hatte. Um das zu erklären, vergleicht sie die Matrix im Gehirn mit dem Science-Fiction-Film „Matrix“ und seinem Helden Neo. Letztlich schafft sie es, die zehn Minuten, die jedem „Slammie“ zustehen, nicht allzu sehr auszureizen. Das Publikum hängt an ihren Lippen und wird sie später zur Siegerin des Abends küren.

Wer einmal bei einem Science Slam zugesehen hat, der spürt den ordent­lichen Hype. Mit treuen Fans, deren Stühle beim Applaus über Matrix-Gedichte bedrohlich wackeln. Unter ihnen sind Junge und Alte, sie trinken Bier und Mate.

Das Uebel & Gefährlich ist bei Weitem nicht die größte Arena für Science Slams. Sie finden auf riesigen Bühnen statt, es gibt deutsche Meisterschaften und sogar Science-Slam-Agenturen, die Interessierte coachen, möglichst spannend über Wissenschaft zu sprechen.

Denn genau das ist die entscheidende Frage: Wie schafft man es, dass Menschen sich anhören und ver­stehen wollen, was Wissenschaft her­vorbringt und wie sie funktioniert? Die Science Slams betreiben Auf­klärung, testen aber auch Möglich­keiten der Wissensvermittlung, die abseits der Bühnen wertvoll sein könnten, in Schulen oder Universitäten zum Beispiel.

An dieser Stelle mal ein paar Fragen an Julia Offe, Biologin und Wissenschaftskommunikatorin, und vor allem diejenige, die seit 2008 Science Slams wie den im Uebel & Gefährlich organisiert. Sie weiß also ziemlich genau, wer auf solchen Bühnen erfolgreich ist und wieso: Gut funktioniere zum Beispiel, sich über Forschende, und damit über sich selbst, lustig zu machen. Was auf jeden Fall auch ziehe, seien die Weltverbesser:innen. Also die­jenigen, die eine Lösung für ein Pro­blem finden. Generell ist es natürlich von Vorteil, wenn man humorvoll ist, und das Thema auch noch einiger­maßen interessant.

Gleichauf mit der Matrix-Siegerin wird heute ein weiterer Kandidat den Gewinn einfahren. In seiner Powerpoint-Präsentation tritt immer wieder sein Professor als dunkle Figur auf, der ihm – einem in der Slam-Geschichte eher desorientierten Doktoranden – fiese Fragen stellt. Letztlich scheinen ihn genau diese Fragen aber zu interessanten Beobachtungen zu führen, die der echte Doktorand auf der Bühne nun erklärt. Zum Beispiel das „Wurstmodell“, das fragt, warum Würstchen an immer exakt derselben Stelle aufplatzen, wenn man sie in ­heißes Wasser legt. Obwohl er natürlich nicht wirklich die Würstchen ­untersuchte, sondern komplexe biomedizinische Prozesse.

Nach jedem Auftritt setzt sich das Publikum in vorher ausgewählten Gruppen zusammen und einigt sich auf eine Bewertung.

Am Ende eines Science Slams weiß man ein bisschen mehr, vermutlich auch über Dinge, die einen sonst nicht unbedingt beschäftigt hätten. Wenn man aber gerne zugehört hat, was sich zum Beispiel über platzende Würstchen sagen lässt, dann war es ein guter Abend. Das Hamburger Publikum vergibt 86 von 100 mög­lichen Punkten für das Wurstmodell.

Artikel aus der Ausgabe:

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Digital ist schneller, einfacher, besser? Nicht unbedingt, wie unser Schwerpunkt zur Digitalisierung und den Problemen der Teilhabe deutlich macht. Außerdem: In einem ehemalige Hotel im Wienerwald bekommen Obdachlose wieder Boden unter den Füßen – mithilfe von eigensinnigem Federvieh. Und: Warum ein Graffiti auf dem Kemal-Altun-Platz in Ottensen von niemandem angetastet wird.

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Autor:in
Anna-Elisa Jakob
Anna-Elisa Jakob
Ist 1997 geboren, hat Politikwissenschaften in München studiert und ist für den Master in Internationaler Kriminologie nach Hamburg gezogen. Schreibt für Hinz&Kunzt seit 2021.

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