Running-Dinner : Neue Gast-Freundschaften

Alena (links) und Ronja bereiten das Essen in der WG-Küche vor. Foto: Mauricio Bustamante

Hinter jeder Tür ein kleines Fest: So fühlt sich „Running Dinner“ an. Auf den Elbinseln bringen zwei junge Frauen dabei immer wieder neue Leute zusammen.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Es mmert schon vor dem ­Fenster, als in der WG von Alena Rehder (26) der Wecker klingelt. Die Pide sind fertig! Sie öffnet die Backofenklappe, ein Duft von Kreuzkümmel füllt die Küche. „Uuh! Das sieht ja gut aus!“, ruft Ronja Kuchler (25), als ihre Freundin und frühere Mitbewohnerin das Backblech herauszieht. Der goldbraune Rand ist schön aufgegangen, die Füllung aus Paprika und Tomaten dampft. Ronja deckt den Tisch: Servietten, Besteck, Weingläser für fünf Personen. Auf jedem Teller verteilt sie ein wenig Feldsalat und setzt drei kleine Kunstwerke darauf: Badrijani, geor­gische Auberginenröllchen mit ­Walnuss-Granatapfel-Füllung. Dann zündet sie zwei Kerzen an. Die Gäste können kommen.

Zum siebten Mal empfangen Alena und Ronja Freund:innen und solche, die es werden könnten, zum „Running Dinner“. Drei Gäste erwarten sie heute zur Vorspeise, anschließend ziehen Besucher:innen und Gastgeber:innen weiter zum Hauptgang und später zum Nachtisch. Zu jedem Gang klingeln sie an einer anderen Haustür, treffen neue Leute – denn dass sich Gastgeber:innen und Gäste kennen, ist beim Running Dinner die Ausnahme.

Ronja und Alena hingegen kennen sich so gut, dass sie sich kaum abstimmen müssen. Logisch, dass Zwiebeln und Knoblauch nicht auf den Holzbrettern geschnitten werden. Jede weiß, wo das gute Geschirr steht, welcher Stuhl als einziger nicht wackelt – und wie witzig das war, als sie damals den Küchentisch, ein Kauf über eBay Kleinanzeigen, mit der Bahn nach Hause transportierten. Anderthalb Jahre lang waren sie Mitbewohnerinnen, bis Ronja mit ihrem Freund nach Lüneburg ging. „Es war nicht leicht, wegzuziehen“, sagt sie.

Bei der Planung des Running Dinners bleiben die beiden ein ein­gespieltes Team. Die Idee brachte Alena aus Kiel mit, wo sie früher studierte. Die Szene dort ist offenbar groß: „Da kamen schon mal um die 700 Leute zusammen“, erzählt sie. „Ich hatte große Lust, das auch mal auszuprobieren“, sagt Ronja. Sie hörten sich um, wurden aber nicht fündig. „Dann haben wir uns gedacht: So aufwendig kann das ja nicht sein, das selbst zu organisieren.“

An einem Abend mehr als ein ­Dutzend neue Leute kennenlernen, ­gemeinsam etwas Besonderes erleben und sich kreativ ins Zeug legen – das macht ein Running Dinner vor allem für junge Menschen reizvoll, die neu in der Stadt sind. „Es sind einige Freundschaften daraus entstanden“, erzählt Ronja. Dass Alena und sie sich auf ­Wilhelmsburg und die Veddel beschränken, hat nicht nur den Vorteil, dass am Dinnerabend keine Hektik entsteht. Es erleichtert auch das zufällige Wiedersehen unter Leuten, die sich einmal kurz, aber gut gelaunt, an irgendeinem Küchentisch getroffen haben.

Running Dinner auf den Elbinseln

Am 17. Februar gibt es wieder ein Running Dinner auf den Elbinseln. Mitmachen können Zweierteams, die in Wilhelmsburg oder auf der Veddel zu Hause sind und sich bis zum 7. Februar verbindlich anmelden unter: runningdinner.wilhelmsburg@gmail.com – bitte mit Vor- und Nachnamen, Adresse und Hinweis auf etwaige Unverträglichkeiten, die beim Kochen beachtet werden müssen.

Um diese Momente zu schaffen, setzt sich Ronja alle paar Monate hin und jongliert mit Buchstaben, bis ein neuer Running-Dinner-Plan entsteht: Team A macht eine Vorspeise, zu Gast sind die Teams B und C. Team B wiederum kocht einen Hauptgang für E und F. Und Team E empfängt zur Nachspeise zwei weitere Teams – A und G zum Beispiel. Die Buchstaben stehen stellvertretend für neun Zweierteams, die an einem Dinner-Abend teilnehmen. Der Plan steht, wenn alle so verteilt sind, dass sich kein Team zweimal trifft. Und woher weiß ein Team, welchen Gang es kochen soll? Das ­entscheide der Zufall, erklärt Ronja. Wer Team A ist und wer Team F, ­bestimmt sie ganz zum Schluss im Losverfahren und gibt dann den Teilnehmenden Bescheid. Wer die Gäste sein werden, verrät sie nicht.

Eine Überraschung ist auch, was am Ende auf den Tisch kommt. Jedes Team entscheidet selbst, frei nach Kochtalent und Gusto. Nur eine Vor­gabe: Das Essen soll vegan sein. Alle, egal ob Fleischesser:in oder nicht, sollen ohne Bedenken alles probieren können. Die Idee kommt offenbar gut an: „Wer schon mal mitgemacht hat, hat meistens total Lust, wieder dabei zu sein“, sagt Ronja. So kommt es doch mal vor, dass sich am Tisch Bekannte treffen. Und manchmal, räumt Alena ein, sei es schwer, nicht schon beim ersten Gang zu versacken: „Es kommen ja auch schnell interessante Gespräche zustande, bei denen man leicht die Zeit vergisst.“

Ronjas Handy summt. Franziska meldet sich, sie wird sich ein wenig verspäten. „Ist ja okay“, sagt Alena und schneidet die Pide in Streifen. Zwischen Vorspeise um 18.30 Uhr und dem Hauptgang um 20.15 Uhr liegt genug Zeit, die Wege dauern nur ein paar Minuten zu Fuß. Kurz darauf klingelt es an der Tür: Lovis und Jannik sind da, die vor Kurzem auf die Veddel ge­zogen sind. Ausnahmsweise kennen sich alle vier schon: Ronja ist mit beiden zur Schule gegangen. „Oh, es sieht richtig lecker aus!“, sagt Jannik begeistert. Lovis erzählt, was für sie noch ansteht: Hauptgang in ihrer Veddeler Wohnung, „danach sind wir noch mal in der Harburger Chaussee“. Sie nennt die Hausnummer. Alena überlegt: „Das ist doch bei …“ „Psst!“, sagt Ronja.

Dann klingelt es wieder. „Hallo, ich bin Franzi“, sagt die Neue. „Wie sind eure Namen?“ Franzi kommt ­allein, ihre Teampartnerin ist krank und musste absagen. Damit müsse man rechnen, sagt Ronja. Bisher fanden sie immer eine Lösung – diesmal die, dass Franzi die Nachspeise für ihre Gäste allein zubereitet. Sie ist zum ersten Mal dabei, seit vier Wochen wohnt sie in Hamburg. Einen Stammladen für den täglichen Einkauf sucht sie noch, vom goldenen Haus auf der Veddel hat sie aber schon gehört. „Wohnt ihr da?“ – „Nicht ganz“, sagt ­Lovis, „aber in der Straße mit dem goldenen Haus.“ Klinge wie im Märchen, findet Alena. „Ob die Mieten da wohl höher sind?“ – „Wenn die Wände da von innen auch mit Blattgold ­verziert sind, bestimmt!“, scherzt Jannik. Unter Komplimenten für die Köchinnen leeren sich Teller und Backbleche. „Ich bin schon satt“, stellt Franziska fest.

Gut, dass es bis zum Hauptgang noch ein paar Meter zu laufen gibt. Jannik und Lovis wollen etwas früher los, bevor sie gleich sechs Leute zum Hauptgang empfangen – wieder eine Ausnahme, weil ein Hauptgang-Team komplett ausgefallen ist. Die Not­lösung beinhaltet, dass auch Ronja und Alena zu ihren Gästen gehören. Das sei zwar gegen die Regel, aber ohne Doppelungen sei es diesmal nicht ­gegangen, erklärt Ronja.

„Es war megalecker!“, schwärmt sie später. Auch Alena ist  beeindruckt: „Es gab selbst gemachte Sushi!“ Auch die Wohnung habe ihr gefallen und die gute Gesellschaft: zwei Running-Dinner-Debütant:innen und einer, der schon mal dabei war und seine neue Mitbewohnerin mitbrachte. „Eine richtig nette Runde“, sagt Ronja. Für Franzi gab es nach kurzem Weg ins Reiherstiegviertel cremiges Kürbis-­Risotto, Salat – und sechs neue Bekanntschaften. „Es war sehr gesellig“, erzählt sie. Ihren Nachtisch-Gästen servierte sie sächsische Quark­keulchen, danach zogen sie zu einer ­Karaoke-Party weiter.

Auch für Jannik und Lovis verlief der Abend kurzweilig: Ihre Gastgeberinnen hatten zum Nachtisch Eis selbst gemacht und mit allerlei Toppings veredelt. „Wir waren selten so satt“, sagt Jannik. Anschließend seien sie noch geblieben, um Spiele zu spielen. „So ein Running Dinner ist eine Super­möglichkeit, um neue Freundschaften zu schließen. Total toll!“

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Pünktlich zum Karneval wird aus einem Gottesdienst in Ottensen eine rheinische Prunksitzung. Hinz&Kunzt hat sich unter die Jecken gemischt. Außerdem: Tod und Trauer im Schwerpunkt. Ein Besuch im Hospiz. Bei einer Bestatterin. Und die Spurensuche nach einem verstorbenen Hinz&Künztler.

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Autor:in
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein schreibt als freie Redakteurin für Politik, Gesellschaft und Kultur bei Hinz&Kunzt - am liebsten über Menschen, die für sich und andere neue Chancen schaffen.

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